Tauchsieder

Der unerträgliche Narzissmus der SPD

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Gegen die Partei-Programmatik

Trotzdem hat es noch mal zehn Jahre gedauert, bis die SPD auch das Vertrauen der Deutschen gewinnen konnte - und zum ersten Mal den Kanzler stellte. Doch schon „Willy Brandt“ war nicht das Produkt einer genuin sozialdemokratischen Politik, sondern (mindestens auch) das Ergebnis einer günstigen Konstellation: Die Deutschen gönnten sich eine SPD-geführte Regierung und meinten, sie sich leisten zu können. Erstens, weil die Arbeitslosigkeit besiegt schien. Zweitens, weil die „Ostpolitik“ dank der unumkehrbaren Verankerung der Bundesrepublik im westlichen Bündnis möglich war. Und drittens, weil die Bürger sich nach dem ökonomischen Erfolg auch einen kulturellen Aufbruch zutrauten.

In den Jahren darauf, unter Helmut Schmidt, stand die SPD im Zenit ihrer Macht, weil der Staat von der Substanz zehren, aus dem Vollen schöpfen und verteilen konnte, was die Deutschen sich erarbeitet hatten: Vollbeschäftigung, Acht-Stunden-Tag, „Samstag gehört Papi mir“… Aber was die Partei schon damals nicht begriff: Der zum Arbeitnehmer und Wohlstandsbürger beförderte Arbeiter wählte vielleicht noch die SPD, aber er bedurfte ihrer nicht mehr. Bereits im Herbst 1973, im Jahr der Ölkrise, kündigte sich der Niedergang der Sozialdemokratie an: Die keynesianischen Boom-Jahre waren vorbei, das Vertrauen in die Planungsfähigkeit des Staats war erschüttert - und das traditionelle „Vorwärts“ der SPD büßte mit den „Grenzen des Wachstums“ seinen Zauber ein.

Die SPD hat diesen Zauber nie wieder herstellen können. Sie war groß geworden als Partei des Fortschritts und der Weltverbesserung, des langen, steinigen Weges „zur Sonne, zur Freiheit“. Sie hatte sich das Fernziel einer neuen, besseren Gesellschaft auf die roten Fahnen geschrieben und an das aufklärerische Ideal einer Vervollkommnung der Lebensverhältnisse angeknüpft. Sie war mit den Menschen, den Zukurzgekommenen zumal, "Seit' an Seit'“ einer immer besseren Zukunft entgegen gestrebt - und sie verdankte ihre Macht nun ausgerechnet einem Mann, der gesellschaftspolitische Visionen unter Pathologieverdacht stellte: Helmut Schmidt.

Seither kann die SPD paradoxerweise nur noch dann den Kanzler stellen, wenn er sich gegen das auflehnt, was eine Mehrheit in der Partei für richtig hält - und wenn viele „bürgerliche“ Wähler zugleich der Auffassung sind: „Das ist ein guter Regierungschef, wenn auch leider in der falschen Partei.“ Helmut Schmidt bezog seine Macht vor allem aus der Standfestigkeit, mit der er den Friedensbewegten widerstand. Und Gerhard Schröder sicherte sich seinen Platz in den Geschichtsbüchern durch die Konsequenz, mit der er vor 15 Jahren angesichts von fünf Millionen Arbeitslosen seine Sozialreformen durchboxte. Kurzum: Schmidt und Schröder haben sich nicht als standfeste Genossen Ansehen bei den Deutschen erworben, sondern als geläuterte Sozialdemokraten: gegen die Partei-Programmatik.

Tatsächlich war es ironischerweise Margaret Thatcher, die der Sozialdemokratie in den Achtzigerjahren einen „Dritten Weg“ aus der programmatischen Sackgasse wies. Die liberalkonservative britische Premierministerin animierte über Tony Blairs „New Labour“ auch die Schröder-SPD zu einem Update ihres Fortschrittsbegriffs. Ziel war eine Balance zwischen bastardliberaler Marktverheiligung und ordnungspolitischer Wirtschaftssteuerung, zwischen forderndem Leistungsdenken und fördernden Hilfen des Sozialstaates.

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