Tauchsieder

Giftendes Triumphgeheul

Das, was sich heute vollmundig Satire nennt, trainiert nicht unsere Freiheitsmuskel. Sondern unsere selbstgefällige Blödigkeit.

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Quelle: dpa Picture-Alliance

Satire darf alles - an diesem Satz, so wie er heute verwendet wird, ist maximal ein Drittel richtig. Es ist bezeichnend und auch ein klein wenig beschämend, das die Böhmermann-Diskussion nun schon seit fast zwei Wochen um das „alles“ kreist, nicht aber um das „dürfen“ und schon gar nicht um das, was wir unter „Satire“ verstehen wollen.

Es ist den Deutschen offenbar wahnsinnig wichtig, dass sie - Achtung, verbotene Schmähkritik: - zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel eine „rotweinsaufende Permissivitätsschranze“ oder „ungläubige Schweinefickerin“ nennen dürfen, solange „rotweinsaufende Permissivitätsschranze“ und „ungläubige Schweinefickerin“ in die Anführungszeichen so genannter Kunst oder Satire gesetzt sind.

Zwei Dinge, argumentieren Rechtsexperten, werden bei der juristischen Bewertung der Böhermannschen Reimzeilen entscheidend sein.

Erstens: Die in fünffacher Hinsicht kunstformale Einkleidung der Beleidigung (Der Comedian /1/ Böhmermann veranschaulicht in (s)einer Comedy-Sendung /2/ das ausdrücklich Verbotene /3/, indem er das Erlaubte beispielhaft übertritt /4/, um dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan, der zuvor die Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland kritisiert hatte, eine satirische Lehrstunde zu erteilen /5/): Sie macht das Gesagte als satirisch Gemeintes kenntlich.

Zweitens: Das gesellschaftliche Anliegen, das Böhmermann für sich in Anspruch nehmen kann, genauer: das Anliegen, mit seinem Beitrag das Bewusstsein der Deutschen (und natürlich das von Erdogan) für die Meinungs- und Kunstfreiheit schärfen zu wollen. Aus beiden Gründen werden die Gerichte mutmaßlich entscheiden: Jan Böhmermann ist unschuldig. Satire darf alles.

Reaktionen auf den Entscheid der Regierung im Fall Böhmermann

Was allerdings, wenn die Parteigänger Erdogans in Deutschland bei ihrer nächsten Roadshow für den Präsidenten in der Köln-Arena ihr kabarettistisches Potenzial entdeckten? Wenn ein türkisch(stämmig)er Comedian mit deutlichem Bezug auf die Böhmermann-Affäre die Grenzen der Meinungs- und Kunstfreiheit austesten und den Deutschen seinerseits eine satirische Lehrstunde erteilen wollte, etwa über deren kulturelle Superioritätsgefühle? Dieser Comedian /1/ würde zum Beispiel in einem Comedy-Format /2/ (sagen wir: mit Erdogan-Maske) einen vom Anything goes des Westens irritierten Türken mimen /3/, der sich von einer Conedy-Kollegin in Merkel-Maske mit Bezug auf das ausdrücklich Verbotene /4/ erklären lässt, welche Vorzüge eine Gesellschaft hat, in der sie sich als „rotweinsaufende Permissivitätsschranze“ und „ungläubige Schweinefickerin“ bezeichnen lassen darf /5/

Als ihr überpersönliches Anliegen könnten die beiden anführen, eine Diskussion über den inhaltsleeren Liberalismus des Westens führen zu wollen, über die postreligiöse Dekadenz der Deutschen und ihre schier unverbesserlichen Ernährungsgewohnheiten - zweifellos Dinge, die unbedingt diskutiert gehören. Könnte ein Gericht zu dem Schluss kommen, dass die türkischen Comedians sich der Verhetzung schuldig gemacht haben? Nein: Satire darf alles.

Eine Politik der Politiklosigkeit

Wenn wir sie indes schon heute für „alles“ in Anspruch nehmen können - was wäre mit der satirischen Kunst- und Meinungsfreiheit für Deutschland (und nicht gegen Autokraten) noch zu gewinnen? Muss man sich in liberalen Gesellschaften, in denen prinzipiell „alles“ zustimmungspflichtig geworden ist, nicht umgekehrt die Frage stellen, ob das Toleranzgebot totalitäre Züge annimmt und zu einem Toleranzdiktat verkommt, genauer: zu einem schwachtoleranten Mentalitätsregime, das uns eine allumfassende Gleich-Gültigkeit antrainiert? Toleranz heute ist auf Nachsicht und Nachgiebigkeit hin angelegt, auf Duldung und Schulterzucken.

Sie ist ausgedünnt zu Indifferenz und dezidierter Interesselosigkeit. Sie hat ihren kleinsten gemeinsamen Nenner in der Formel „Jeder nach seiner Facon“ gefunden. In einer solchen Situation des Laisser-Faire ist Satire unmöglich - wogegen sollte sie sich richten? Allein die Wenigen, die auf Unterschiede pochen und auf die Unzeitgemäßheit qualitativer Urteile, können Satiriker heute noch ins Säurebad ihrer routinierten Ironie tauchen. Sie sind die neuen Machtlosen, zu deren Anwalt sich Satire, traditionell ein Instrument der Machtbegrenzung, eigentlich machen müsste.

Tatsächlich hätte Satire sich daher heute vor allem gegen die Pegidisten des Guten zu richten, die einem allabendlich als witzboldende Wüteriche im Fernsehen begegnen: gegen die Böhmermanns und Welkes, die sich in bruchloser Übereinstimmung mit dem Common Sense und auf billigst mögliche Weise mit dem Allerselbstverständlichsten gegen das Allerselbstverständlichste verbünden - und ihren aggressiven Regressionshumor Satire nennen. In diesem Humor kommen beispielsweise Politiker und gläubige Menschen, wenn sie etwa Gegner der Schwulenehe oder Kritiker der Reproduktionsmedizin sind, nur noch als „Vollpfosten“ vor.

Dieser Humor will keine Fronten aufbrechen wie die Satire, sondern die Reihen schließen: gegen alles, was nicht auf der Höhe der Zeit ist. Dieser Humor ist giftendes Triumphgeheul, weil er Conchita Wurst benötigt, um Vladimir Putin über das westliche Freiheitsverständnis zu belehren und „Ziegenficker“ in Anspruch nimmt, um Erdogan Mores zu lehren.

Dieser Humor spielt einer Politik der Politiklosigkeit in die Hände, weil er darauf ist, auf keinen Fall widerständige Gedanken zu mobilisieren, alle Welt in selbstbezügliche Albernheit auflöst und hinter dem Vorhang des medialen „Spiels“ und „Fakes“ zum Verschwinden bringt. Dieser Humor trainiert nicht den „Freiheitsmuskel“, wie Teile des deutschen Feuilletons meinten, sondern raubt ihm, ganz im Gegenteil, die letzte Kraft. Er macht Erdogan zur Referenz unserer restlos ausgedünnten Freiheit. Ärmer geht’s nicht. Sehen Sie sich nur mal das Video der FDP-Politikerin Lencke Steiner an - dann werden Sie wissen, was ich meine:

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