Tauchsieder

Die Ausweglosigkeit des Liberalismus

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Liberalismus ist nicht gleich Freiheit

Die FDP ist aus dem Bundestag geflogen. Der freie Geist des Liberalismus wurde von der politischen Korrektheit erwürgt. Die Frage, was Liberalismus ist, impliziert dass es Liberalismus gibt, der entdeckt werden muss.
von Bettina Röhl

An dieser Stelle reißt heute der Unterschied zwischen einem gründlich trivialisierten Liberalismus auf, der eine "Freiheit zu geteilten Werten" meint und einem gründlich trivialisierten Liberalismus, der einer "Freiheit vom Staat" das Wort redet. Die Quintessenz dessen, was Liberalismus im Kern ist, bekommt man weder auf dem einen, noch auf dem anderen Weg zu fassen, weil beide Liberalismen eine Freiheit protegieren, die dieselbe Freiheit zugleich bedroht: Der Werteliberalismus, indem er freie Bürger auf geteilte Ziele hin verpflichtet, die sie möglicherweise gar nicht teilen wollen. Und der Individualliberalismus, indem er freie Bürger in eine ideelle Opposition zu den demokratischen Institutionen bringt, die sie sich selbst vor 200 Jahren blutig erkämpft und aus freien Stücken gegeben haben.

Vielleicht sollten wir uns eingestehen, dass man die Quintessenz des Liberalismus nicht mit dem Begriff der Freiheit zu fassen bekommt - und es statt dessen mit dem Begriff der Unfreiheit versuchen. Die amerikanische Politologin Judith N. Shklar hat diesen Versuch bereits in einem 1989 erschienenen Essay unternommen, der vor einigen Wochen, hervorragend ediert von Hannes Bajohr, auf deutsch erschienen ist. Es ist ein Liberalismus, der nicht von hehren Zielen seinen Ausgangspunkt nimmt (sei es der Schutz des Privateigentums, sei es die Organisation des gesellschaftlichen Fortschritts), sondern von der Lebenssituation der Machtlosen. Es ist ein Elementarliberalismus, der, so Shklar, "die Fortschrittsannahme hinter sich gelassen hat und keiner spezifischen Wirtschaftsordnung anhängt", ein Liberalismus, der sich allein der Überzeugung verpflichtet fühlt, "dass Toleranz eine Kardinaltugend ist" - und der sich deshalb in einer Art permanenten Widerstand gegen jede Form von konzentrierter und angemaßter Macht befindet, ein "Liberalismus der Furcht" vor Grausamkeit, der "kein summum bonum bietet, nach dem alle politische Akteure streben sollten", sondern der von einem summum malum ausgeht, das wir alle kennen und nach Möglichkeit zu vermeiden trachten".

Weist uns Shklars "Liberalismus der Unfreiheit" einen Weg aus den Aporien der Liberalismen der Freiheit? Finden wir in Shklars "Liberalismus der Furcht" einen verbindlichen Kern dessen, was Liberalismus meint? Seien Sie gespannt. Nächste Woche erfahren Sie's!

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