Tauchsieder

Multikulti - diesmal besser?

Was macht Angela Merkel so sicher, dass "wir" es "schaffen"? Über Fehler der Ausländerpolitik von gestern - und kulturelles Selbstbewusstsein als Prämisse einer gelingenden Integration.

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Wird Merkels Flüchtlingspolitik diesmal funktionieren? Quelle: dpa Picture-Alliance

Es ist gerade mal fünf Jahre her, da geisterte der Sarrazinismus durchs Land. Viele Deutsche fürchteten, Deutschland werde wegen zu vieler „Kopftuchmädchen… auf natürlichem Wege durchschnittlich dümmer“. Auch gebe es „gute Gründe“ für Vorbehalte gegen Muslime: Keine andere Migrantengruppe trete „so fordernd“ auf, betone so sehr ihre Andersartigkeit. Bundeskanzlerin Angela Merkel kam damals zu dem Schluss: „Multikulti ist gescheitert“. Tatsächlich gescheitert aber war die deutsche Ausländerpolitik. 

Sie weigerte sich zunächst von rechts, „Gastarbeitern“ eine deutsche Perspektive zu eröffnen – und verhimmelte dann von links ein buntkulturelles Nebeneinander. Vom Anwerbestopp 1973 bis hin zur „Kinder-statt-Inder“-Kampagne im Jahr 2000 hielten vor allem CDU-geführte Regierungen an ihrer Devise fest, Arbeitsemigranten nur auf Zeit zu integrieren. 

Was Flüchtlinge dürfen

Mit der Folge, dass der Anpassungswille der Ausländer sowie die Bildungschancen und beruflichen Qualifikationsmöglichkeiten ihrer Kinder drastisch eingeschränkt waren. Zu den Nebenwirkungen eines Einwanderungsprozesses, den niemand wollte, gehörte eine aus Unkenntnis und Desinteresse erwachsende Angst vieler Deutscher vor „Überfremdung“. Die multikulturelle Gesellschaft wurde als Bedrohung verstanden, vor allem von den sozial Schwachen, die mit den „Fremden“ um Arbeitsplätze, Wohnungen und Sozialleistungen konkurrierten.

Einwanderung wurde zum Reizthema, das Wahlen entscheiden konnte. Obwohl spätestens seit den Achtzigerjahren offensichtlich war, dass die Mehrheit der verbliebenen Migranten in Deutschland bleiben würde, suggerierte die Politik, sie würden auch in Zukunft in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Dieser Widerspruch, so der Historiker Ulrich Herbert, war die „wichtigste Ursache für die sich verschärfenden Auseinandersetzungen um die Ausländerfrage“, die ihren Höhepunkt fanden im Streit um die Asylpolitik und in ausländerfeindlichen Gewaltaktionen: Anfang der 1990er Jahre kam es nicht nur zu xenophoben Schlagzeilen über angebliche Nichtstuer und Schmarotzer, zu ressentimentgeladenen Anti-Ausländer-Kampagnen der Union (der damalige CSU-Chef Edmund Stoiber zum Beispiel warnte vor einer „durchrassten Gesellschaft“), sondern auch zu Brandanschlägen und Pogromen, in Hoyerswerda, Mölln und Solingen, die das Verhältnis zwischen Deutschen und Migranten auf lange Zeit belasten sollten.

Während sich die Stimmung der Mehrheitsgesellschaft gegen den Ausländer „an sich“ richtete, erschien er manchen Linken als Erlöser, der die Deutschen von sich selbst befreit und einer postnationalen Gesellschaft den Weg ebnet. Beides, die blinde Angst vor dem Fremden und seine blinde Idealisierung, diente nicht der Integration von Ausländern, sondern förderte die Entstehung „pluraler Monokulturen“ (Amartya Sen), die ihre Identität in Distanz, zuweilen sogar in Gegnerschaft zur Wahlheimat ausbildeten. Vor allem „Deutsche“ und „Muslime“ begegneten einander nicht mit Interesse, sondern mit Befangenheiten und Vorurteilen. Der Hauptvorwurf an die Adresse der Muslime: Mangelnde Integrationsbereitschaft. Das unterschwellige Motiv: Angst vor schleichender Islamisierung. Am Ende lud die Bundesregierung Muslime nicht als Bürger, sondern als Muslime zu „Islamkonferenzen“ ein, um sich von ihnen die Harmlosigkeit ihres Glaubens bestätigen zu lassen. 

Was macht Merkel so sicher, dass es diesmal besser wird, dass „wir“ es diesmal „schaffen“? Die Mehrzahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, sind Syrer, Afghanen, Iraker – Muslime aus Ländern mit großem kulturellen Abstand. Wird uns die Integration dieser Menschen gelingen? Was werden wir ihnen – und uns – abverlangen müssen, damit sich das Scheitern des Multikulturalismus nicht wiederholt?

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