Tauchsieder

Es regiert: Die nackte Angst

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Rechtspopulismus ist mittlerweile Regierungspolitik

Warum sonst ist plötzlich „geboten“, was vor wenigen Wochen noch nicht „geboten“ war? An Tatbeständen, Projektionen und Zahlen hat sich nichts geändert, im Gegenteil: SPD-Chef Sigmar Gabriel klebte sich vor ein paar Monaten noch (im Namen der Bild-Zeitung!) einen „Refugees welcome“-Button ans Revers und vermeldete, dass Deutschland nach einer Million Migranten in 2015 jedes Jahr weitere 500.000 spielend leicht verkraften könne. Deutschland sei „ein starkes und mitfühlendes Land“, so Gabriel damals, habe eine „exzellente, wirtschaftlich gute Situation.“ Davon ist heute keine Rede mehr. Statt dessen eifern die Regierenden, den Angstschweiß förmlich auf der Stirn, mit jeder weiteren Maßnahme der AfD hinterher und nähern sich mit jedem weiteren „sicheren Herkunftsland“ und abgeschobenem Ausländer einer Rhetorik an, die noch vor wenigen Monaten allein den Rechtspopulisten vorbehalten war. „In NRW werden Frauen wie Freiwild verfolgt“, sagte beispielsweise Finanzstaatssekretär Jens Spahn nach der Silvesternacht in Köln, während Julia Klöckner, die stellvertretende CDU-Vorsitzende, jetzt endlich ein „Zeichen an Flüchtlinge“ verlangt, dass man nach Deutschland „nicht einfach so reingeschwappt kommt“. Die AfD-Vorsitzende Frauke Petry wäre für so einen menschenverachtenden Satz vor einem halben Jahr noch sehr zu Recht geteert und gefedert worden. Heute ist der Rechtspopulismus, dank Angela Merkel, Regierungspolitik - und die rhetorische Differenz zur AfD kann nur noch sehr mühsam, zum Beispiel unter Hinweis auf das völkisch-rassistische Geraune des AfD-Rechtsextremen Björn Höcke, markiert werden. 

Angela Merkel kann sich bei der CSU bedanken, dass die Union bei vielen Deutschen noch nicht viel mehr Kredit verspielt hat in den vergangenen Wochen. Denn es ist mitnichten so, dass die CSU von bürgerlich-nationalkonservativer Seite aus Brücken gebaut hätte zur rechtspopulistischen AfD. Selbst politischen Unsympathen wie Horst Seehofer und CSU-General Andreas Scheuer, die angesichts „massenhaften Asylmissbrauchs“ polemisieren, Deutschland könne „nicht die ganze Welt retten“, kann so lange kein Rechtspopulismus nachgewiesen werden, wie sie bloße Tatsachen und Selbstverständlichkeiten benennen. Die Grenze zum Rechtspopulismus wäre erst dann überschritten, wenn Seehofer und Scheuer den Eindruck erweckten, sie wollten nicht die schiere Zahl der Migranten, sondern „die Ausländer“ oder „den Islam“ zur Bedrohung erklären. Nicht einmal der Vorschlag, dass man in Europa darauf bedacht sein möge, vor allem christlichen Flüchtlingen künftig die Migration zu erleichtern, ist rechtspopulistisch. Der britische Migrationsforscher Paul Collier hat auch dafür in seinem Buch “Exodus“ bereits vor anderthalb Jahren gute Gründe zusammengetragen: Gründe, die diskutiert, nicht mit gespieltem Entsetzen zurückgewiesen gehören, will man verhindern, dass sie von Rechtspopulisten ausgebeutet werden.

Wird die AfD langfristig erfolgreich sein?

Anders gesagt: Das Erstarken der AfD hat auch damit zu tun, dass es vielen Deutschen heute zunehmend schwer fällt, einerseits zwischen diskutablen politischen Positionen auf der Basis von Zahlen und Gründen und andererseits indiskutablen Ressentiments zu unterscheiden, denen diffuse Statusängste und xenophobe Einstellungen zugrunde liegen. Der Unterschied ist keine semantische Kleinigkeit, im Gegenteil: Diskutable Positionen sind das Lebenselixier einer Demokratie der gelebten und starken Toleranz, die sich durch Widerspruchsgeist und Argumentationsfreude auszeichnet: Ihre Diskussion baut Schwellen und Ängste ab. Ressentiments hingegen zersetzen die schwachliberale Toleranz des Leben-und-Leben-Lassens; sie zersetzen das Miteinander und stören den Meinungsaustausch, weil sie sich Stimmungen zur Beute machen: Wer sie in Umlauf bringt, baut Schwellen und Ängste auf.

An dieser Stelle - und nur an dieser Stelle - wird die AfD mit Blick auf die drei Landtagswahlen in sechs Wochen zu stellen sein: Woran ist sie interessiert? An Streit um der Sache willen? Oder an einem Beutezug auf der Basis von Selbstviktimisierung und Desinformation, von hässlichem Protest und Ressentiment? Keine leichte Sache für die „etablierten Parteien“ - es sei denn, das AfD-Personal fährt freundlich fort, sich selbst ins Knie zu schießen wie erst gestern wieder Frauke Petry. Union und SPD haben die Flüchtlingspolitik der AfD (in der Sache) weitgehend nachvollzogen und sind der AfD dabei zuweilen (rhetorisch) sehr nahe getreten. Umgekehrt versucht die AfD in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erkennbar, sich des rechtspopulistischen Ruchs zu entledigen - und als rechtskonservative Kraft zu reüssieren, als lautere Alternative zum Kanzlerinnen-Kurs der „Alternativlosigkeit“. Es ist schwierig zu sagen, welchen Weg die AfD gehen wird (und will), ob sie mit Argumenten gehört oder aber, wie in Thüringen, das System der „linksgrünen Gutmenschen“ und „Lügenpresse“ wutbürgerlich verhetzen will, um schwachintelligenten Menschen auch künftig Vorwände dafür zu liefern, ihr Mütchen an ausländischen Sündenböcken zu kühlen.

Der Union vor allem fällt in den nächsten Wochen eine wichtige Wächter-Aufgabe zu - und es macht nicht gerade Mut, diese Wächter-Aufgabe in der Hand von Julia Klöckner oder Andreas Scheuer zu wissen. Noch viel weniger Mut aber machen die Wahlaussichten. Während die Union in den nächsten sechs Wochen alles daran setzen wird, um die „massenhaften Abwanderung“ in Richtung AfD zu unterbinden, wird die CDU zugleich und paradoxerweise vom mutmaßlichen Einzug der AfD in die drei Landesparlamente profitieren - und drei MinisterpräsidentInnen stellen statt bisher einen. Eine Palastrevolution steht damit nicht etwa bei der Union ins Haus, sondern bei der SPD: Marginalisiert zur 15-Prozent-Partei in Baden-Württemberg, wird sich Sigmar Gabriel am 13. März einmal mehr mit der Frage konfrontiert sehen, ob sein SPD-Vorsitz noch „geboten“ ist.

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