Tauchsieder

Ein Erdbeben - mit Folgen?

Seite 4/4

Schwere Zeiten für Sigmar Gabriel

Beinahe noch interessanter stellt sich die Lage in Rheinland-Pfalz dar, in der die Linke wohl erneut an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern wird. Nach dem mutmaßlichen Einzug von AfD und FDP in den Landtag werden wahrscheinlich weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün eine Koalition bilden können. Bleibt eine Große Koalition, in der sich Malu Dreyer oder Julia Klöckner mit der Rolle der Juniorpartnerin abfinden müssten - für beide eine undenkbare Option. Dreyer oder Klöckner - eine der beiden wird sich heute Abend von der politischen Bühne in Rheinland-Pfalz verabschieden.

Und Baden-Württemberg? Vielleicht der interessanteste Fall. In Stuttgart brächte eine „große Koalition“ aus Union und SPD gerade noch knapp über 40 Prozent auf die Waage. Wird die FDP gegen den beliebten Winfried Kretschmann tatsächlich in eine „Deutschland-Koalition“ einsteigen? Was könnte die FDP in einer solchen Konstellation gewinnen? Warum sollte sie sich als Stütze einer schwarz-roten Koalition in Berlin hervortun wollen, die inhaltlich leer und politisch schwach ist? Oder wird die FDP am Ende doch noch über ihren Schatten springen und ihre mutmaßlichen Wahlerfolge in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nutzen, um über Regierungsbeteiligungen in Ampelkoalitionen zurück ins bundespolitische Machtspiel zu kommen?

Aus Sicht der FDP spräche alles, aber auch wirklich alles dafür: Die Kretschmann-Grünen und auch die SPD in Baden-Württemberg sind so wirtschaftsfreundlich, so bürgerlich, so ideologiefern wie nirgends sonst in Deutschland. Und in Rheinland-Pfalz hat eine mit der SPD liierte FDP eine lange Tradition. Hinzu kommt, dass die FDP in Rheinland-Pfalz nicht als kleinster Partner am Verhandlungstisch sitzen würde, sondern Seit’ an Seit’ mit mutmaßlich halbierten Grünen - keine schlechte Ausgangsposition, um inhaltlich zu punkten.

Darüber hinaus würde die FDP auch ein Ausrufezeichen in Richtung Union setzen: Seht her, wir können auch anders! Vor allem aber wäre eine Ampel in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ein Befreiungsschlag für liberale Politik: für einen Pragmatismus der Lösungen jenseits von Merkels großkoalitionärer „Alternativlosigkeit“ und jenseits von neurechter Ideologie. Und schließlich: Nicht mit einem Einzug ins Parlament, wohl aber mit Regierungsbeteiligungen würde die FDP auch von den Medien wieder wahrgenommen als politische Kraft, mit der zu rechnen ist. Wird die FDP die Chance nutzen? Zuletzt schien Parteichef Christian Lindner auf dem besten Wege, sie mit großem, Aplomb zu vertun.

Und die SPD? Wenn die FDP sich ihrer Chance verweigert und Malu Dreyers Popularität nicht soeben noch zum Wahlsieg reicht, wird der 13. März für die deutsche Sozialdemokratie zu einem Desaster. In Rheinland-Pfalz wird sie abgewählt. In Baden-Württemberg wird sie Mühe haben, 15 Prozent zu erreichen. In Sachsen-Anhalt wird sie sich nur mit Glück gegenüber der AfD als drittstärkste politische Kraft behaupten - schwere Zeiten für Parteichef Sigmar Gabriel.

So oder so - ein „weiter so“ wird es nach heute Abend, 18 Uhr, nicht geben. Die Zeit der großen Koalitionen, die einen „Konsens“ der politischen Mitte in Deutschland repräsentieren, ist vorerst vorbei. Die Oppositionen sind zu groß, als dass sich sich mit dem Hinweis auf eine „alternativlose“ Politik in den nächsten Jahren erledigen ließen. Und der Union ist am rechten Rand eine Konkurrenz erwachsen, die sich nicht so leicht wird marginalisieren lässt wie ehedem die Republikaner. Spannende Zeiten.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%