Tauchsieder

Deutschland profitiert von einer Großen Koalition

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SPD suhlt sich im politischen Versagen

Der eigentliche Grund aber, warum die deutsche Sozialdemokratie nur bei 25,7 Prozent landet (und die Union bei 41,5 Prozent), ist ein anderer: Die SPD versteht sich selbst nicht mehr als Volks-, sondern als Klientelpartei, ja: Sie ist geradezu definiert als Partei, die immer neue Betreuungsgruppen erschließt, um sie zum Zielgebiet ihrer politischen Dauerfürsorge erklären zu können. Konkret: Die SPD spricht nicht die überragende Mehrheit der Deutschen an, die sich über saubere, gut bezahlte, immer noch recht sichere Jobs freuen, sondern sie erfindet eine Republik der Niedriglöhner, Teilzeitjobber, Leiharbeiter und Dauerpraktikanten, um diese Republik sozial-, programm- und ausgabenpolitisch zu kolonialisieren. Kurzum, die SPD leidet, ganz wie die FDP, an einem Wahrnehmungsproblem, nur unter anderen, linken Vorzeichen: Sie prekarisiert Deutschland als Ganzes statt im Einzelnen Gerechtigkeitsdefizite zu benennen. Sie schürt steuerpolitische Ressentiments gegen die Erfolg-Reichen, anstatt Aufstiegschancen für alle einzuklagen. Sie ruft den sozialpolitischen Notstand aus, anstatt sachlich darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit zur Eigenvorsorge an materielle Voraussetzungen gebunden ist.

Leider haben einige Sozialdemokraten die Nachricht vom 22. September noch immer nicht wirklich begriffen. Sicher, keiner wagt, RotRotGrün auch nur zu denken, immerhin. Und doch gibt es ein paar Verblendete, die durchaus der Auffassung sind, die Deutschen hätten eine linke Mehrheit in den Bundestag gewählt. Tatsächlich ist, wenn man zu denkfaul ist, das altblöde Lagerdenken hinter sich zu lassen, natürlich das Gegenteil der Fall: Die Deutschen haben eine rechte Mehrheit versehentlich aus dem Bundestag gewählt: Mehr als vier Millionen Wähler (9,5 Stimmenanteile für FDP und AfD) sind in den nächsten vier Jahren nicht repräsentiert. Doch die eigentliche Nachricht ist eine ganze andere, nämlich, dass Angela Merkels CDU die einzige Partei ist, die die politischen Lager überlagert: Während die einen (FDP) nominell für „Wachstum, Wohlstand, Wirtschaft“ stehen und die anderen (SPD, Linke, Grüne) für „soziale Gerechtigkeit“, steht allein die Union für die Verbindung beider Prinzipien: für Unternehmertum und Fürsorge, Risiko und Sicherheit, Wachstum und Umweltschutz –für die arbeitende Mitte, für die „Soziale Marktwirtschaft“.

Der Frust darüber, die Mitte verloren zu haben, muss unendlich groß sein in den Reihen der SPD (und auch der Grünen). Gerhard Schröder und Joschka Fischer hatten sie mal als „neue Mitte“ gewonnen – jetzt ist sie weiter entfernt von SPD und Grünen denn je. Als linke Politik bringt Rot-Grün gerade mal 34,3 Prozent auf die Waage, das ist Ergebnis dieser Wahlen, als neubürgerliche Politik waren es mal 47,6 Prozent (1998) und 47,1 Prozent (2002).

Peinlich, wenn jetzt ausgerechnet SPD-Politiker sich in ihrem politischen Versagen suhlen und der Union gegenüber die Sittensau rauslassen, bloß weil sie fürchten, die Große Koalition könne der SPD schaden – als hätte sich die SPD nicht ganz allein in ihre desolate Lage hineinmanövriert. Der Sprecher des „konservativen“ Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, bollert allen Ernstes, die SPD verlange von der Union „fifty-fifty“, und das nicht nur inhaltlich, sondern auch personell, versteht sich: fifty-fifty bei Steuern, Mindestlohn, Betreuungsgeld und Quote also – und fifty-fifty bei der Vergabe der Ministerposten. Nun gut, mag man denken, als Koalitionspokerei mag das hingehen. Das Problem ist nur, dass die SPD es auch jenseits des Koalitionspokers ernst damit meint. Dass sie fast sieben Millionen(!) Stimmen weniger eingesammelt hat als die Union, ficht sie nicht an. Dass das Politikangebot von Angela Merkel gewählt wurde und nicht das von Peer Steinbrück, offenbar auch nicht. Aber Gott, soll die SPD noch ein paar Tage bocken, sie wird sich schon erbarmen. Aber vielleicht sollte die Union, statt immer neue Signale der Gesprächsbereitschaft zu senden, mal langsam die Folterwerkzeuge auf den Tisch legen: Neuwahlen – mit der fast sicheren Aussicht, liebe SPD, dass die FDP den Einzug dann locker schafft.

Aber wie auch immer: Mit 65 Prozent Union und 35 Prozent SPD wäre dem Land nicht schlecht gedient – und eine Einigung jederzeit möglich: Einkommensteuer moderat anheben (45 Prozent) und gleichzeitig die kalte Progression abschaffen. Kapitalertragssteuer dem Individualsteuersatz anpassen, dafür keine Vermögenssteuer. Kein flächendeckender Mindestlohn sofort, sondern ein regionale gestaffelter Mindestlohn, in Stufen, nicht politisch festgelegt, sondern nach britischem Vorbild von einer Kommission.

Eine zugleich wirtschafts- und umweltpolitisch ehrgeizige Energiepolitik, die weder Konzerne schädigt noch Windmüller päppelt. Die Förderung von Wohneigentum statt Mietpreis- und Investorenbremsen – das alles könnten nur einige der Elemente sein für eine schwarz-rote Wirtschaftspolitik, die Deutschland nicht etwa in den linken Abgrund stürzt, sondern festigt und stabilisiert – so wie sich Deutschland insgesamt in den vergangenen 20 Jahren, wirtschaftspolitisch gefestigt und stabilisiert hat. Und wenn Schwarz-Rot an der ein oder anderen Stelle tatsächlich einmal übers Ziel hinausschießt und sich zum Sozialingenieur aufschwingt? Nun, dann wird die APO-FDP an dieser Regierung ihre stumpfgewordenen, liberalen Argumente schärfen können. So leicht wie beim nächsten Urnengang kommt sie nie wieder in den Bundestag. Oder anders gesagt: Wird den Liberalismus will, muss jetzt Schwarz-Rot wählen.

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