Tauchsieder

Was der Glaubenskrieg der Hayek-Gesellschaft zeigt

Der Richtungsstreit in der Hayek-Gesellschaft um den rechten Weg offenbart einmal mehr die Krise des Liberalismus in Deutschland.

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Ökonom und Sozialphilosoph Friedrich August von Hayek zählt zu den wichtigsten Denkern des 20. Jahrhunderts. Quelle: dpa Picture-Alliance

Der Liberalismus ist die politische Ideologie der Ideologiefreiheit. Zu seinen größten Leistungen gehört seit dem 18. Jahrhundert die ethische Säuberung der Staatstheorie. Danach widersteht ein guter Staat der Versuchung, seinen Mitgliedern, die ihn bilden, eine bestimmte Auffassung vom Leben zu diktieren.

Der liberale Staat ist ein Rechtsstaat, nichts weiter, moralisch blind wie Justitia – ein Staat, der nicht denkt. Zu den größten Defiziten des Liberalismus gehört, dass er bis heute blind ist für seinen eigenen Dogmatismus, dafür, dass ausgerechnet seine moralische Neutralität – die Auffassung, die Welt vor allen ideologischen Teufeleien beschützen zu müssen – eine doktrinäre Kehrseite hat.

Nur noch komisch

Nun ist inmitten der liberalen Glaubensgemeinde ein Krieg der Schriftgelehrten ausgebrochen. Der Vorwurf der Häresie und Sektiererei macht die Runde; man streitet darüber, wie die kanonischen Texte des Säulenheiligen Friedrich August von Hayek ausgelegt gehören – welche „Wahrheit“ sich hier und heute hinter seinen Worten verbirgt. Das kann man, zumal im Jahre acht einer Krise, die von der Zerstörungskraft unregulierter Finanzmärkte kündet, nur noch komisch finden. Ist es aber nicht.

Denn die beiden Spielarten des Liberalismus unterscheiden sich nur darin, dass der eine falsch, der andere fürchterlich falsch liegt. Gemeinsam bewegt man sich noch immer auf dem Feld der religiösen Staatsfeindschaft – weshalb der Liberalismus nun auf verdoppelte Weise demonstriert, dass er für die Komplexität der historischen Parallelbewegung von „Staat“ und „Markt“ (Sozialmoral und Individualismus) noch immer keinen aufklärerischen Sinn entwickelt hat.

Entzündet hat sich der Streit vor vier Wochen in der Hayek-Gesellschaft, einem Gralsverein zur rituellen Denkmalpflege, wie es so einige in der liberalen Landschaft gibt. Sie sind geprägt durch Personenkreise, die publizistische Zeugnisse ihrer Rechtgläubigkeit ablegen und sich dafür wechselseitig zitieren, auszeichnen, nobilitieren: (Selbst-)Erwählte, die von der Kanzel des eingebildeten Freigeistes herab wider die Übergriffigkeit von „Gleichmachern“ und „Gutmenschen“ agitieren.

Es ist sehr leicht, sich im Kreise dieser Leichtliberalen der Häresie verdächtig zu machen – etwa dadurch, dass man den Mindestlohn nicht ausschließlich für eine Versündigung an der Tarifautonomie, eine Bedrohung der unternehmerischen Freiheit und ein bürokratisches Monster hält.

Noch leichter ist es, den Rosenkranz der Hayekianer nachzubeten: Dazu muss man die Sozialgesetzgebung und die Technikfeindlichkeit der Deutschen verteufeln, ihnen einen „Mangel an Reife zur Freiheit“ attestieren und sie überdies dem Vorwurf aussetzen, willenlose Herdentiere zu sein, die nur darauf warten, sich von einem fürsorglich-paternalistischen Staat auf sattgrüne Weidegründe führen zu lassen.

Die Leichtliberalen, vereint im Erfolg, sind bis 2008 sehr erfolgreich unter einem Zeitgeist gesegelt, der Deregulierung und Steuersenkungen mit Politik verwechselte. Damit ist es seit der Finanzkrise und der Vertreibung der FDP aus dem Bundestag vorbei. In ihrem heiligen Zorn auf die Brüsseler Bürokratie, die große Koalition der Berliner Sozialisten und das Meinungskartell der Mainstream-Journaille sind einige nun auf die famose Idee verfallen, das liberale Himmelreich im Neonationalismus oder auch in Russland zu suchen.

Auf den Internet-Seiten von „eigentümlich frei“ etwa stand vor einigen Wochen zu lesen, dass Russlands Staatspräsident Putin der Sache der Freiheit doch viel mehr zugetan sei als zum Beispiel der Grüne Cem Özdemir; schließlich finde man in Moskau noch Lokale, in denen man ungeniert Steaks verzehren könne und noch dazu das Rauchen erlaubt sei.

Das rettende Ufer

Dass 50 Mitglieder – darunter der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, der Unternehmer Randolf Rodenstock, die Ökonomen Lars Feld und Michael Hüther – sich nun aus der Hayek-Gesellschaft zurückziehen, um sie doktrinären Libertären und Nationalliberalen zu überlassen, ist daher einerseits überfällig. Andererseits droht Hayek damit vollends in die Hände von Obskurantisten zu fallen, die vor ihm als einem bloßen Zitat-Tabernakel niederknien.

Das rettende Ufer – für Hayek und den Liberalismus – wäre erst dann erreicht, wenn die Sezessionisten sich endlich daran machten, einen gründlich säkularisierten Hayek für sich zu entdecken: einen Denker, dessen Worte man nicht als religiöse Weisung versteht, sondern im Licht der Gegenwart kritisch prüft.

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