Terror-Angst in Deutschland Warten auf den großen Anschlag

Reisebewegungen deutscher Islamisten nach Syrien oder in den Irak alarmieren den Verfassungsschutz: Kehren die Kämpfer zurück, stellen sie ein unkalkulierbares Risiko dar. Ein Anschlag ist nur eine Frage der Zeit.

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Die Kämpfer der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) verbreiten im Irak Furcht und Schrecken - ihre Sympathisanten könnten in Deutschland Anschläge verüben.

Berlin Islamisten aus Deutschland, die in Konfliktgebiete gehen und kampferprobt zurückkehren, stellen für die Sicherheitsbehörden eine große Herausforderung dar. Das Thema hat durch die Dschihadistengruppe Islamischer Staat (IS), die sowohl in Syrien als auch im Irak Gebiete kontrolliert und ein „Kalifat“ ausgerufen hat, deutlich an Brisanz gewonnen. Selbst die Bundesregierung ist in Alarmstimmung. „Diese Männer haben gelernt zu töten und zu hassen. Sie stellen eine Gefahr für unser Land dar“, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maiziere der „Bild am Sonntag“.

Doch während de Maizieres britische Kollegin Theresa May schon neue Gesetze gegen radikale Islamisten ankündigte und die Bürger auf einen langen Kampf gegen eine „tödliche Extremistenideologie“ einstimmte, hat die deutsche Politik bisher kein Rezept gegen die Radikalisierung junger Muslime gefunden, die als „Gotteskrieger“ in arabische Krisenregionen ziehen. Dabei wächst die Angst vor Anschlägen, die diese Kämpfer auch in Deutschland verüben könnten.

Aus Sicht des Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, hat sich die Rückkehr von Syrienkämpfern inzwischen zu einem europäischen Problem entwickelt. „Wir müssen uns auf die Möglichkeit von Anschlägen in Europa einstellen“, sagte Maaßen auf Anfrage von Handelsblatt Online. „Diese Dimension stellt eine große Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar, bei der eine enge Kooperation unabdingbar ist.“

Der Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), André Schulz, sprach von einer abstrakten Gefährdung. „In Sicherheitskreisen fragt man sich eigentlich nicht mehr, ob ein Anschlag in Deutschland passieren wird, sondern wann“, sagte Schulz Handelsblatt Online.

Laut Maaßen ist der Strom der aus Deutschland nach Syrien ausreisenden Dschihadisten ungebrochen. „Wir wissen mittlerweile von über 400 Ausreisen“, sagte er. Aus BDK-Sicht dürfte die tatsächliche Anzahl aber „deutlich darüber“ liegen. „Einige von ihnen sind bei Kämpfen getötet worden, einige sind mittlerweile aber auch schon wieder zurück in Deutschland“, sagte Schulz. „Nicht alle der Rückkehrer haben Kampferfahrungen und zahlreiche sind stark traumatisiert.“

Chef-Geheimdienstler Maaßen sprach von etwa 25 Rückkehrern, die Kampferfahrung in Syrien gesammelt hätten. Es gebe aber derzeit keine Anhaltspunkte, dass diese Personen einen konkreten terroristischen Auftrag in Deutschland verfolgen.


„Einige Extremisten können tickende Zeitbomben sein“

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, schätzt die Lage ernster ein. Die heimkehrenden islamistischen Fanatiker aus Syrien und dem Irak hätten an Kämpfen teilgenommen und wüssten, wie es ist, zu töten und extremen Hass zu verbreiten. „Sie stellen ein unkalkulierbares Risiko dar. Einige dieser Extremisten können tickende Zeitbomben sein“, sagte Wendt Handelsblatt Online. Wendt hält auch die Zahl von 400 ausgereisten deutschen Islamisten für untertrieben. Europaweit gehe man von etwa 2000 ausgereisten Fanatikern aus, sagte er. „Die Dunkelziffer wird in dem Zusammenhang als hoch eingeschätzt, nicht zuletzt wegen der offenen Grenzen in Europa.“

Nach Wendts Kenntnis stehen einige der Rückkehrer unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden. Je nach Erkenntnislage werde ein Gefährdungsprofil erstellt, das dann dazu führe, dass für identifizierte „Gefährder“ ein individueller Beobachtungsplan greift. „Ausgeschlossen ist jedoch, dass alle Rückkehrer beobachtet werden“, fügte der Polizeigewerkschafter hinzu. „Dazu würde schon das Personal bei den Sicherheitsbehörden nicht ausreichen.“

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte daher ein härteres Vorgehen gegen ausländische Extremisten in Deutschland. „Wünschenswert wäre, bereits den Aufenthalt und die Ausbildung in einem Terrorcamp unter Strafe zu stellen, auch ohne dass die Polizei einen konkreten Plan zu einem schweren Anschlag nachweisen muss“, sagte der GdP-Bundesvize Jörg Radek Handelsblatt Online. „Aus Sicht der Polizei ist es schwer verständlich, jemandem noch lautere Absichten zu unterstellen, der sich in direkter Nähe eines Krisenherdes an Waffen und Sprengstoff ausbilden lässt. Ausbildungslager der Terroristen sind keine Abenteuerspielplätze.“

Der Bund Deutscher Kriminalbeamter sprach mit Blick auf gewaltbereite Islamisten von einem gesamtgesellschaftlichen Problem, das man nur politisch lösen könne. „Man darf bei aller berechtigten Sorge nicht in Panik verfallen“, sagte der BDK-Chef Schulz. Einen 100-prozentigen Schutz vor Kriminalität und auch vor Terroranschlägen gebe es nicht. Daran änderten auch noch schärfere oder grundrechtseinschneidende Gesetze nichts. „Wir dürfen nicht unsere Freiheit für eine vermeintliche Sicherheit opfern“, warnte der BDK-Chef. Die Sicherheitsbehörden müssten vielmehr hinsichtlich der personellen und materiellen Ressourcen in die Lage versetzt werden, „das Mögliche für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland tun zu können“. Hier gebe es noch „erheblichen“ Handlungsbedarf.


„Ausreiseverbote sind ein stumpfes Schwert“

Wie der GdP-Vize Radek wies auch BDK-Chef Schulz auf das Problem hin, dass viele terroristische Handlungen, wie die Ausbildung in einem Terrorcamp, zwar bereits heute strafbar seien, aber diese Taten „so gut wie nie beweiskräftig nachgewiesen“ werden könnten. Schulz gab zudem zu bedenken, dass Ausländern bei einem konkreten Terrorismusverdacht, die Einreise untersagt werden könne, dies aber bei deutschen Staatsangehörigen nicht möglich sei. „Zudem kann man nicht garantieren, dass solche Gefährder dann erfolgreich über ein anderes Land nach Deutschland einreisen“, sagte der Gewerkschafter.

Auch seien Maßnahmen wie ein Ausreiseverbot nur „relativ schwierig“ durchzusetzen. „Ausländer, von denen eine Gefahr ausgeht, können zwar theoretisch ausgewiesen werden, dieser Vorgang unterliegt aber ebenfalls dem Rechtsweg und ist langwierig.“

In diese Richtung argumentierte auch die Deutsche Polizeigewerkschaft. „Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben: das Instrument der Ausreiseverbote ist ein stumpfes Schwert. Wer bereit ist, in den Krieg zu ziehen, wird sich von der Verfügung einer Behörde nicht abhalten lassen“, sagte Verbandschef Rainer Wendt Handelsblatt Online.

Von der Politik erwarte er vielmehr, dass sie endlich ausreichend in Nachrichtendienste und Polizei investiert. „Das Kaputtsparen bei den Sicherheitsbehörden muss ein Ende haben“, sagte Wendt. „Wir brauchen Milliarden- und keine Millioneninvestitionen. Und das nicht nur in Personal, sondern auch in moderne Beobachtungs- und Analysetechnik.“ Die vielen weltweiten Konflikte, die derzeit grassieren, müssten „konzeptionell zu einer nachhaltigen und langfristig angelegten Sicherheitsstrategie in Deutschland führen“.


Ermittlungen gegen 139 deutsche Dschihadisten

Dem „Spiegel“ zufolge ermitteln die Staatsanwaltschaften des Bundes und der Länder gegen mindestens 139 mutmaßliche Dschihadisten aus Deutschland, die in die Kriege in Syrien oder im Irak verwickelt sein sollen. Das gehe aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor. Die Personen würden verdächtigt, Mitglieder oder Unterstützer von Gruppen wie dem Islamischen Staat (IS) zu sein oder schwere staatsgefährdende Gewalttaten zu planen.

De Maiziere sagte, die deutschen Sicherheitsbehörden wollten derartige Pläne früh erkennen und die Ausreise unterbinden. „Das Problem ist nur: Nicht jeder, der nach Syrien, in den Libanon oder in die Türkei reist und dann zurückkehrt, ist ein potenzieller Terrorist“, sagte der CDU-Politiker. Deutschland brauche deswegen eine gute Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten von Ländern wie den USA oder der Türkei.

Auch die geplanten Waffenlieferungen an die irakischen Kurden für den Kampf gegen den IS könnten nach de Maizieres Worten die Gefahr für Deutschland erhöhen. Dies dürfe aber nicht zum Maßstab der Außenpolitik werden. „Ich bin stolz darauf, dass Deutschland immer Partei für die Freiheit ergreift und ein Land ist, das Terroristen hassen“, sagte der Minister

Die Diskussion über islamistische Kämpfer aus dem Westen ist auch aufgeflammt, weil der Mörder des amerikanischen Journalisten James Foley britischer Staatsbürger sein soll. Die IS-Miliz hatte ein Video veröffentlicht, auf dem die Enthauptung des 40-Jährigen zu sehen ist. Bei dem Täter, den britische Medien als „Dschihad-John“ bezeichnen, handelt es sich um einen Mann mit Londoner Akzent.

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