Terror in Deutschland Die Aufruhr-Gesellschaft

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„Terroristen sind Fallensteller“

Das aber setzt die Institutionen des Westens unter Druck: Der liberale Rechtsstaat darf mindestens auf mittlere Sicht in den Augen seiner Bürger nicht weniger effizient gegen die terroristische Bedrohung kämpfen als die Erdogans und Putins.

Das aber ist nicht ganz einfach zu lösen. „Terroristen sind Fallensteller“, schrieb eben jener Münkler, „und der Staat geht umso häufiger in die gestellte Falle, je schneller er sich provozieren lässt und blindwütig reagiert." Terrorbekämpfer seien gut beraten, wenn ihre Gegenmaßnahmen in Ruhe und bedacht erfolgten.

Die Frage ist, wie sich das in Gemengelagen wie jener nach Berlin umsetzen lässt. Die „kluge, langfristig angelegte und nachvollziehbare Gegenstrategie“, die viele „Experten“ nun fordern, ist so eine Sache, wenn gleichzeitig der Bilderstrom vom Ort des Grauens nicht abreißt.

Das UBS-International Center of Economics in Society, der Thinktank der Schweizer Großbank, lud vor einiger Zeit Ökonomen nach Zürich, um zu diskutieren, ob sich auf diese Bedrohung nicht eine ökonomische Antwort finden lasse. Und in der Tat argumentierte vor allem der Friedensnobelpreisträger und langjährige Chef der Internationalen Atomenergieagentur Mohammed el-Baradei genau dafür. „Jungen Leuten in Nahost und Afrika fehlt die wirtschaftliche Perspektive“ und den „neuen“ Attentätern aus Europas Vorstädten gehe es ähnlich.

Je mehr Schrecken, desto höher der Nutzen

Aber stimmt das wirklich? Francois Heisborug, ein Konfliktforscher aus London, hielt sofort dagegen: Die meisten Attentäter, zumindest mit Anschlagszielen im Westen, seien meist besser gebildet und ökonomisch alles andere als abgehängt. Deswegen, waren sich die Ökonomen einig: Es gehe Tätern vor allem darum, Angst zu sähen und staatliche Institutionen zu unbedachten Gegenreaktionen zu reizen, die langfristig ihre eigene Basis unterminierten.

Ökonomisch motiviert seien Attentäter lediglich insofern, als dass sie die Aufmerksamkeitskurven, die ihre Taten nehmen werden, von vornherein minutiös berechneten und nach dem Motto handelten: je mehr Schrecken, desto höher der Nutzen. Ein Weihnachtsmarkt in Berlin vier Tage vor Heiligabend ist in dieser perversen Ökonomik ein rentables Ziel.

Die einzige Währung mit der diese Täter handeln ist Angst. Das aber tun sie äußerst rational. „Sie trachten danach, mit kleinem Budget und wenigen Leuten maximale Wirkungen zu erzielen“, sagt der Freiburger Ökonom Tim Krieger. Es war aber noch nie eine gute Idee, einen rationalen Krieger mit irrationalen Gegenmitteln zu bekämpfen, was wilder herumschrauben an Sicherheitsgesetzen und die Proklamation eines neuen Kampfs gegen den Terror sind. Was also tun?

Macht der Wert der "Freiheit" uns schwach?

„Wir können“, schrieb Karl Popper unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs in „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“, „niemals zur angeblichen Unschuld und Schönheit der geschlossenen Gesellschaft zurückkehren.“ Es bleibe nur der ununterbrochene Weg in die offene Gesellschaft. Nun ist dieser Angang von Liberalen wie Ralf Dahrendorf ebenso widerlegt worden wie von Konservativen wie Nikolaus Fest, die auf die Schwächen eines maximal offenen Staates ohne Wertegerüst hinwiesen: „Der freiheitlich säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

Das aber muss ja nicht heißen, dass Freiheit als Grundwert automatisch zur Schwäche der Institutionen führt. Es heißt aber, dass einer unverbindlichen Freiheit eine Begrenzung gesetzt werden muss. Nicht im Sinne von Verboten, das wäre das Ende der liberalen Gesellschaft. Aber durch die Diskussion von Grenzen und Leitplanken, die den Raum der Freiheit gegenüber dem Raum der Unfreiheit, aus dem die Angriffe erfolgen, abgrenzt. Dann wäre auch klar, wo gegen die Freiheit zu schützen wäre.

Die amerikanische Autorin Judith Shklar hat schon vor einiger Zeit geraten: Die westliche Gesellschaft solle im Kampf gegen äußere Bedrohung sich zunächst einmal von innen selbst vergewissern, was sie will und wofür sie steht. Liberalismus wäre demnach nicht die maximale Freiheit, sondern vor allem die möglichst maximale Abwesenheit von Unfreiheit.

Ein solcher Liberalismus würde sich definieren über die exakte Überprüfung seiner Ränder: Wie viel Begrenzung braucht die freie Gesellschaft? Wie viele Grenzen braucht der Staat, der eine liberale Bevölkerung schützt? Wie viele Leitplanken braucht ein Markt, der Werte schafft statt Frust? Wie viel Einschränkung braucht die Freiheit des Individuums, ohne andere zu schädigen?

Das wäre ein Thema für dieses Wahljahr. Aber das ist natürlich schwieriger als Schreie nach neuen Polizeigesetzen, mehr Kameras, weniger Flüchtlingen, Entschuldigungen von Muslimen und Verteidigung der multikulturellen Gesellschaft, wie nun gefordert wird.

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