Terroranschlag in Berlin „Das war ein bitterer Fehler“

Nach Angaben von Bundesinnenminister de Maizière wurden in diesem Jahr bereits drei Terroranschläge verhindert. Auch der Berliner Attentäter Amri stand intensiv im Visier der Behörden. Doch warum griffen sie nicht zu?

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Die Bildkombo zeigt die vom Bundeskriminalamt veröffentlichten Fahndungsfotos von Anis Amri, der im Dezember 2016 am Berliner Breitscheidplatz ein Blutbad anrichtete. Der Tunesier stand offenbar viel früher und intensiver im Blick der Geheimdienste als bislang bekannt. Quelle: dpa

Berlin Deutsche Sicherheitsbehörden haben nach Angaben von Bundesinnenminister Thomas de Maizière in diesem Jahr bereits drei Terroranschläge verhindert - „also drei Anschläge, bei denen die Vorbereitung schon so weit gediehen war, dass man von einer echten Vorbereitung und nicht nur von einer Idee sprechen kann“, wie er der „Bild am Sonntag“ sagte. „Ohne Zweifel ist das ein Ergebnis der sehr guten Arbeit unserer Behörden und des Zusammenspiels mit ausländischen Diensten“, sagte der CDU-Politiker. „Die Behörden greifen heute teilweise schneller zu als früher, um Gefahren abzuwehren.“ Sicher sei: Seit dem Jahr 2000 hätten Sicherheitsbehörden 16 geplante Terroranschläge vereitelt.

Die Ermittlungen zum Berliner Terroranschlag vor einem Jahr gingen weiter, betonte de Maizière. Am 19. Dezember 2016 war der Tunesier Anis Amri mit einem Laster in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gerast. Zwölf Menschen wurden getötet, annähernd 100 verletzt. Amri wurde später auf der Flucht von italienischen Polizisten erschossen.

Nach Recherchen der „Welt am Sonntag“ haben Polizei und Geheimdienste Amri viel früher und intensiver im Blick gehabt als bislang bekannt. Spätestens seit November 2015 sei er gezielt überwacht worden. Warum er trotz aller Erkenntnisse nicht vor dem Anschlag verhaftet wurde, geht laut „WamS“ aus den ihr vorliegenden Akten aber nicht hervor.

De Maizière (CDU) spricht von einem „bitteren Fehler“ der zuständigen Behörden, die die Gefährlichkeit von Amri falsch eingeschätzt hätten. Die Ermittlungen zu dem Terroranschlag vor einem Jahr gingen weiter, versicherte er in der „Bild am Sonntag“: „Amris Umfeld wird weiter ausgeleuchtet. Wir erhoffen uns auch aus dem Prozess gegen den Hassprediger und führenden Salafisten Abu Walaa, der mit Amri Kontakt hatte, weitere Erkenntnisse.“ Der Iraker Walaa, mutmaßlicher Deutschlandchef der Terrormiliz Islamischer Staat (IS), muss sich seit Ende September vor dem Oberlandesgericht Celle verantworten.

Am 19. Dezember 2016 war Amri mit einem Laster in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gerast. Zwölf Menschen wurden getötet, annähernd 100 verletzt. Amri wurde später auf der Flucht von italienischen Polizisten erschossen. Dieser sagte jetzt der Zeitung „La Repubblica“: „Es war er oder ich“ - wenn er den Attentäter nicht getötet hätte, wäre er selbst von Amri erschossen worden.

Bereits am 14. Dezember 2015 hatte Amri laut „WamS“ mit seinem rund um die Uhr überwachten Smartphone detaillierte Anleitungen zum Mischen von Sprengstoff sowie zum Bau von Bomben und Handgranaten heruntergeladen. Spätestens vom 2. Februar 2016 an telefonierte Amri demnach auf diesem abgehörten Handy mit zwei IS-Kadern in Libyen und bot sich als Selbstmordattentäter für einen Anschlag in Deutschland an.

Die Recherchen sollen laut der Zeitung zudem belegen, dass Amri schon vor seiner Ankunft in Italien im April 2011 über enge persönliche und sogar familiäre Verbindungen zu Kämpfern und Führungskadern der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Libyen verfügte.

Weiter berichtet das Blatt, dass US-Bomber am 19. Januar 2017 exakt jenes IS-Wüstencamp in Libyen angegriffen hätten, in dem die Hintermänner des Attentats vom Weihnachtsmarkt vermutet wurden. Hans-Christian Ströbele (Grüne), damals Mitglied des Geheimdienst-Kontrollgremiums des Bundestags, vermutet deshalb die „ordnende Hand“ eines US-Geheimdienstes oder des US-Militärs hinter der „ansonsten unerklärlichen“ Nicht-Festnahme Amris.

Ein Jahr nach dem Anschlag wird in Berlin an die Opfer erinnert. An diesem Montagnachmittag empfängt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Kanzleramt Verwandte der zwölf Todesopfer, damals verletzte Menschen und ihre Angehörigen sowie andere Opfer des Attentats. Am Dienstag, genau ein Jahr nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz, nehmen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Merkel an einer religionsübergreifenden Andacht in der Gedächtniskirche nahe dem Tatort teil.

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