Teurer Strom und „Monstertrassen“? So sieht Deutschlands Energiewende 2016 aus

Die Energiewende ist ein Megaprojekt: Sie ist längst in vollem Gange, Risiken inklusive. Steigt dadurch die Stromrechnung? Und könnte es irgendwann einen großen Blackout geben? Der Faktencheck.

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"Das war unglaublich vertrauenszerstörend"
Bei RWE rumort es gewaltig hinter den Kulissen: Angesichts der Krise des Energiekonzerns trommeln die Kommunen vor der Aufsichtsratssitzung am Freitag für Ex-Bundeswirtschaftsminister Werner Müller als künftigen Chefaufseher. Er soll mit seinen politischen Kontakten das Ruder herumreißen. Amtsinhaber Manfred Schneider kämpft dagegen offenbar für den Ex-SAP-Finanzvorstand Werner Brandt als seinen Nachfolger. Bei der Herbstsitzung des Aufsichtsrats in Essen könnten die Weichen gestellt werden, offiziell gewählt wird im kommenden Frühjahr. Bei der Sitzung muss RWE-Chef Peter Terium außerdem den weiter dramatisch fallenden Aktienkurs erklären und Ängste vor weiteren Dividendenkürzungen zerstreuen. Es schaut nicht gut aus für den Energieriesen – die Krise von RWE in Zitaten. Quelle: dpa
„Das Unternehmen geht durch ein Tal der Tränen.“ (RWE-Chef Peter Terium bei der Quartalsbilanz im November 2013) Quelle: dpa
„Die niedrigen Strompreise hinterlassen ihre Blutspuren in unserer Bilanz.“ (RWE-Finanzvorstand Bernhard Günther, im Mai 2014) Quelle: Presse
„Das Tal der Tränen ist also noch nicht durchschritten.“ (RWE-Chef Peter Terium bei der Jahresbilanz im März 2015) Quelle: dpa
„RWE muss sich gesundschrumpfen und braucht an der Spitze keinen Visionär, sondern einen Sanierer.“ (Fondsmanager Ingo Speich bei der Hauptversammlung im April 2014) Quelle: Presse
„Womit verdient RWE in fünf Jahren sein Geld – das ist die Gretchenfrage.“ (Aktionärsvertreter Marc Tüngler bei derselben Hauptversammlung) Quelle: dpa
„Unabhängig von Länder- und Spartengrenzen: Es geht ums Überleben.“ (RWE-Kraftwerkschef Matthias Hartung im Juli 2015) Quelle: dpa

Weg von Atom, Kohle und Gas. Hin zu Sonne, Wind und Biomasse. Das ist - einfach gesagt - die Energiewende. Was sie aber auch ist: ein ewiger Zankapfel für Politiker, Umweltschützer, Industrie, Landbesitzer, Investoren. Denn es geht nicht nur um Atomausstieg und Klimaschutz, sondern auch um viel Geld - und das betrifft jeden, der Strom aus der Steckdose bekommt. Ein Faktencheck:

1. Die Energiewende macht den Strom teurer.

Es stimmt, dass viele Strom-Endkunden wegen der Energiewende mehr zahlen müssen. Das heißt aber nicht, dass der Strom an sich teurer wird. Im Gegenteil: Der sogenannte Börsenstrompreis, zu dem Versorger Strom im Großhandel einkaufen, sinkt seit Jahren drastisch - was etlichen Energiekonzernen enorme Probleme eingebrockt hat.

Deutschen Stromkunden müssen zusätzlich aber verschiedene Steuern, Abgaben und Umlagen zahlen - darunter die EEG-Umlage. Diese steigt, wenn die Börsenpreise für Strom sinken. Der Grund: Wer zum Beispiel einen Windpark betreibt, bekommt für den produzierten Strom - bisher - eine festgeschriebene Vergütung, die über die Umlage finanziert wird.

Die Atomklagen in der Übersicht

2016 liegt die EEG-Umlage bei 6,354 Cent pro Kilowattstunde. Die Denkfabrik Agora Energiewende hat errechnet, dass sie im kommenden Jahr auf 7,1 bis 7,3 Cent ansteigen wird - hauptsächlich, weil der Börsenstrompreis weiter sinkt. Trotzdem dürfte sich für Stromkunden wenig ändern, wenn die Energiekonzerne ihre sinkenden Kosten auch weitergeben. Ein Vier-Personen-Haushalt verbraucht laut „Stromspiegel 2016“ im Schnitt etwa 4200 Kilowattstunden pro Jahr. Damit zahlt dieser Haushalt 2017 ungefähr 300 Euro für die EEG-Umlage.

Um die Wirtschaft zu schonen, können besonders energieintensive Unternehmen unter bestimmten Umständen von der EEG-Umlage befreit werden. Kritiker sehen darin eine Wettbewerbsverzerrung.

2. „Monstertrassen“ für den Ökostrom verschandeln die Natur.

Das Thema Netzausbau gehört zu den schwierigsten in der Energiewende. Die Hauptaufgabe: Der Windkraft-Strom aus dem Norden muss in den Süden. Zuständig ist die Bundesnetzagentur. Wie gut es mit dem Ausbau läuft, ist Ansichtssache. Dem sogenannten Bundesbedarfsplangesetz zufolge sind etwa 6200 Kilometer an Leitungen nötig - nach dem ersten Quartal 2016 waren 65 Kilometer gebaut und 350 Kilometer genehmigt.

Mit dem Kampfbegriff „Monstertrassen“ meinen Kritiker die großen Nord-Süd-Stromleitungen. Die Politik einigte sich im vergangenen Jahr nach Druck vor allem aus Bayern darauf, dass Erdkabel Vorrang haben. So sollen Klagen verhindert werden, die Zeit und Geld kosten.

Aus diesen Gründen schwitzt die Erde

Die Erdverkabelung macht den Netzausbau aber teurer und langsamer. Erdkabel kosten das Drei- bis Zehnfache von Überlandleitungen. Der Netzagentur zufolge wird die 800 Kilometer lange SuedLink-Trasse - die „Hauptschlagader“ der Energiewende - erst 2025 fertig, drei Jahre später als geplant. 2022 geht das letzte Atomkraftwerk vom Netz.

3. Durch den Ökostrom-Ausbau gibt es insgesamt zu viel Strom.

Inzwischen kommt mehr als ein Drittel des deutschen Stroms aus Öko-Quellen, auch in der Summe steigt das Angebot an Elektrizität. Die heutigen Stromnetze können überlastet werden, denn es kann nur eine bestimmte Strommenge durchlaufen. Und wenn der Wind kräftig weht und die Sonne knallt, dann gibt es in Deutschland mehr Strom, als in die Netze passt. Darauf sind mehrere Antworten möglich: 1. Die Netze müssen ausgebaut werden. 2. Die Erneuerbaren müssen gebremst werden. 3. Atom- und Kohlekraftwerke müssen abgeschaltet werden. 4. Der Strom muss gespeichert werden. 5. Der Stromverbrauch muss sich dem Angebot besser anpassen - über ein sogenanntes Lasten-Management.

Wie Lasten-Management für Privatleute gehen kann, beschreibt etwa die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE): „Die Verbraucher müssen stets über die vorhandenen Stromkapazitäten informiert sein und Anreize zur Anpassung ihrer Stromnachfrage durch entsprechende Tarife und Preissignale bekommen. Zudem müssen sich Geräte wie zum Beispiel Spülmaschinen, Trockner und Waschmaschinen entsprechend steuern beziehungsweise programmieren lassen.“

Zudem kritisieren nicht nur Umweltschützer, dass Atom- und Kohlekraftwerke ihre Stromproduktion zu Spitzenzeiten oft nicht so reduzieren, wie sie es könnten. Andererseits ist ihre Flexibilität tatsächlich begrenzt: Es dauert, sie wieder auf Touren zu bringen.

4. Die Energiewende ist gut für den Klimaschutz.

Theoretisch ja. „Energiewende ist Schlüssel für mehr Klimaschutz“, heißt es beim Umweltministerium. Die Grundidee: Erneuerbare Energien ersetzen nach und nach Strom aus fossilen Kraftstoffen - also Kohle, Erdgas und Erdöl. Wenn diese verbrannt werden, entsteht das klimaschädliche Treibhausgas CO2, das zur Erderwärmung beiträgt.

Obwohl immer mehr Strom etwa aus Sonnen- und Windkraft produziert wird, bleibt die Kohlestrom-Produktion aber recht konstant. Während der Strombedarf zuhause zunehmend über Erneuerbare gedeckt wird, wird viel Kohlestrom ins Ausland exportiert. Vor allem die Niederlande, Österreich und Frankreich beziehen so Strom aus Deutschland.

Der Grund: Die Preise für Kohle und für Lizenzen zum CO2-Ausstoß sind niedrig - Kohlestrom bleibt also billig. Kohlekraftwerke verdrängen deshalb sogar klimafreundlichere und flexiblere Gaskraftwerke vom Markt, die Treibhausgas-Emissionen in Deutschland sind zuletzt leicht gestiegen. Zahlen des Umweltbundesamts zeigen aber: Nachdem die Stromproduktion in Deutschland zwischen 2011 und 2013 klimaschädlicher wurde, gibt es seit 2014 wieder eine Verbesserung.

5. Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, gehen ohne Kohle die Lichter aus.

Bisher gibt es in Deutschland noch genug flexible Kraftwerke, die Engpässe problemlos ausgleichen können. Wie es in Zukunft läuft, hängt vor allem davon ab, welche Fortschritte Wissenschaft und Technik machen. Rezepte sind das beschriebene Lasten-Management und Stromspeicher: Überschüsse sollen gespeichert und später bei Bedarf ins Netz eingespeist werden. Da ist allerdings noch viel zu forschen und zu entscheiden.

Ein Stichwort ist „Power to Gas“. Dabei geht es um das Speichern von Strom im Gasnetz, die Umwandlung passiert über einen chemischen Prozess. Wissenschaftler arbeiten daran, dafür möglichst effiziente und günstige Methoden zu entwickeln. Das Gas kann als Wärmequelle oder Kraftstoff eingesetzt, aber auch in Strom zurückverwandelt werden. Wirtschaftlich ist das noch nicht. Die Strategieplattform „Power to Gas“ der Deutschen Energie-Agentur (Dena) strebt eine Markteinführung bis 2022 an. Andere Ansätze sind die Flexibilisierung des Strommarkts auch über Ländergrenzen hinweg, die Anpassung des Bedarfs an das Angebot, Pumpspeicher, Druckluft-Speicher oder riesige Batterien.

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