Thilo Sarrazin "Es regiert die Gleichheitsideologie"

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In einer Demokratie muss öffentlich gestritten werden

Was heißt das für die Rente?

Sarrazin: Die Politik muss sich fragen, wem sie dient: dem Wohlbefinden ihrer aktuellen Wähler ohne Ansehung der Zukunft? Dann handelt sie jetzt richtig. Oder dient sie den langfristigen Interessen derer, die im Jahre 2050 in Deutschland leben? Dann handelt sie falsch. Die Regierung hat eine ganz eindeutige Abwägung vorgetragen: Sie dient den Interessen derer, die sie wählen. Das verhindert langfristige Politik.

 

Beim Kampf gegen den Klimawandel geht es gerade um langfristige Probleme. Gefällt Ihnen das wenigstens?

Sarrazin: Mir will es nicht in den Kopf, dass man Milliarden ausgibt, um die Frage zu beantworten, ob es im Jahre 2120 an der Ostsee im Sommer durchschnittlich zwei Grad kälter oder wärmer sein wird oder ob in Lindau am Bodensee noch ein paar Palmen mehr wachsen werden. Die Antworten werden hier immer unsicher sein. Aber Fragen, auf die es ganz klare und eindeutige Antworten gibt, werden vernachlässigt. Politik bedient Gefühle und kümmert sich nicht um die Wirklichkeit. Sie bedient das Gefühl der Stadtmenschen am Prenzlauer Berg, bei denen die Gasetagenheizung gut funktioniert, die sich aber um das Weltklima sorgen. Und sie bedient das Gefühl von deren Eltern, dass sie jetzt eine ordentliche Rente bekommen. Die Folgen spielen keine Rolle.

 

Wer soll die Maximen definieren, was heute als sozial gerecht gilt: Soziologen, Ökonomen, die Politik, die Gewerkschaften, die Kirchen?

Sarrazin: Das ist eine gute Frage. In einer Demokratie muss darüber öffentlich gestritten werden. Aber man muss gesellschaftliche Debatten so führen, dass sie zu vernünftigeren Ergebnissen führen. Dazu soll mein Buch einen Beitrag leisten. Diese Debatten werden umso besser, wenn sie von umfassend informierten Menschen geführt werden.

Der streitbare SPD-Politiker schreibt in seinem neuen Buch über die „Grenzen der Meinungsfreiheit“. Er rechnet darin gnadenlos mit den Medien ab und verliert dabei gelegentlich das Thema aus den Augen.
von Tim Rahmann, Roland Tichy

Dazu gehört, dass alle Meinungen vorgetragen und verbreitet werden. Dazu gehört auch, dass man den Mund bei Themen hält, von denen man nichts versteht. Sie werden bei all meiner Meinungsfreudigkeit kein einziges öffentliches Wort zur Energiewende finden, weil meine Gedanken dazu noch unfertig sind. Derzeit bestehe ich da nur aus Vorurteilen.

 

Das könnte dann ja in ein paar Jahren das nächste Buch werden.

Sarrazin: Daran habe ich auch schon gedacht. Aber das muss ich mir erst erarbeiten.

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