Dann hätten wir eine Welt voller Models und Lokomotivführer.
Sarrazin: Nein, schon weil es nicht mehr ausreichend Lokomotiven zu führen gibt.
Sind diese Neigungen gesellschaftlich geschaffen oder genetisch bedingt?
Sarrazin: Man kann einen Menschen nicht zerlegen wie Maschinen, um das zu ermitteln. Aber jeder Kindergarten, jede Familie macht im Alltag dieses Experiment. Auch wenn keine Rollen vorgegeben werden, gibt es zwar Jungen, die mit Puppen spielen, aber sie sind in der absoluten Minderheit. Oder nehmen Sie Intelligenztests. Bei Frauen liegen die Ergebnisse seit Jahrzehnten enger zusammen, bei Männern sind sie stets breiter gestreut. Bei Männern ist der Anteil extrem intelligenter Personen deutlich höher, aber eben auch der Anteil extrem dummer Personen. Diese Werte sind stabil, seit es Intelligenztests gibt. Es ist auch immer so, dass Frauen besser bei den sprachlichen Komponenten abschneiden und Männer bei den mathematischen oder denen mit räumlicher Vorstellungskraft. Soll das alles gesellschaftlich geprägt sein?
Was heißt das für die Berufswahl?
Sarrazin: Viel spricht dafür, dass mehr Männer für mathematische Studiengänge geeignet sind. Das ist ja auch nicht schlimm. Hinzu kommt, dass weniger junge Frauen naturwissenschaftliche Fächer wählen, weil sie seltener ihren Neigungen entsprechen. Tatsächlich ist es so, dass Frauen in IT-Berufen weit unterrepräsentiert sind, obwohl wir alle diese Technik benutzen.
Woher kommt dann ihrer Meinung nach die unterschiedliche Berufswahl bei Männern und Frauen?
Sarrazin: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich war in Rheinland-Pfalz und Berlin Chef einer Finanzverwaltung. Dort gibt es schon immer eine strikte Einstellung nach Noten. Zwar haben die Männer die leicht besseren juristischen Staatsexamina, trotzdem verweiblicht der öffentliche Dienst bei den Juristen. Erklärung: Die Männer mit guten Noten gehen in Top-Kanzleien, lassen sich 70 bis 80 Stunden in der Woche ausbeuten und haben ein Anfangsgehalt von 100.000 Euro. Später verdienen sie als Partner 200.000, 300.000 Euro. Die guten Frauen werden überwiegend lieber Sachgebietsleiterin, Richterin oder Staatsanwältin. Sie sind weniger geld- und machtorientiert und sie schätzen die soziale Sicherheit. Wenn man nun vergleicht, was der Examensjahrgang 1990 heute verdient – die sind jetzt alle um die 50 –, dann verdienen die männlichen Juristen etwa 50 Prozent mehr als die Frauen. Aber nicht, weil Frauen ungerecht niedrig bezahlt werden, sondern weil sie andere Arbeitsumstände gewählt haben.
Sie wollen behaupten, es gäbe keine finanzielle Diskriminierung? Männer und Frauen würden eigentlich gleich bezahlt?
Sarrazin: Die um die Beschäftigungsstruktur bereinigte Lohnlücke zwischen Männern und Frauen liegt bei zwei Prozent. Das ist die statistische Unschärferelation. Eine Lohnlücke zwischen Männern und Frauen lässt sich nicht nachweisen. Hier sieht man sehr schön, dass eine ideologisch getriebene Gleichheitsbetrachtung an der Lebenswirklichkeit von Männern und Frauen völlig vorbei geht.