Die Schweizer haben das gerade anders entschieden.
Sarrazin: Mich amüsiert diese beinahe verklemmte Rezeption, mit der über die Schweizer Einwanderungsentscheidung hergezogen wird. Ich habe noch in keiner deutschen Zeitung gelesen, dass die Schweizer – egal, ob man die Entscheidung richtig oder falsch findet – ein Kernelement jeder Volkssouveränität wahrgenommen haben: Wir haben zu entscheiden, wer in unserem Land leben darf. Das entscheiden keine Organe außerhalb des Landes.
Und beim Euro?
Sarrazin: Der Euro kommt aus dem Versuch Deutschlands, sich als Nation aufzugeben und einzubringen in ein größeres Ganzes jenseits des Nationalstaates. Das geben ja Wolfgang Schäuble und Helmut Kohl auch ganz klar zu. Die Schweizer sehen das anders, die Franzosen auch, die Polen sowieso. Das ist also eine unhistorische Bemühung Aber bei uns heißt der Obersatz: Der Euro ist etwas Wunderbares! Alles Nationale geht weg, das Europäische wird überhöht und moralisiert.
Sie meinen Kanzlerin Merkels Standardspruch?
Sarrazin: Angela Merkel bringt das auf den Punkt: „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ Das kann und soll man gedanklich verlängern: Scheitert Europa, dann scheitert der Frieden. Dann haben wir wieder Krieg. Also: Wer gegen den Euro ist, möchte mindestens zurück in das Zeitalter der Nationalstaaten, die sich waffenklirrend gegenüber standen. Wenn nicht gar zurück in die Zeit, als man von einer militärischen Vormachtstellung Deutschlands träumte. Vielleicht will man so die eigentliche Sachfrage vermeiden: Ist diese Gemeinschaftswährung richtig konstruiert, und kann die Rettungspolitik überhaupt funktionieren?
Aber die Debatten finden doch statt: In den Medien, in der Politik, insbesondere auch in der Wissenschaft.
Sarrazin: Natürlich finden Debatten statt – schon weil man ja nicht die ganze Wissenschaft umdrehen kann. Es war ja kein Zufall, dass 1999 etwa 80 Prozent aller deutschen Ökonomen gegen die Einheitswährung waren; dass bei den Geldpolitikern und Geldtheoretikern vorwiegend Skepsis herrscht. Das bekommt man nicht in den Griff. Ich habe aber sehr nah mitbekommen, wie Finanzminister Wolfgang Schäuble versuchte, die Vertragsverlängerung von Professor Hans-Werner Sinn am Ifo-Institut zu unterbinden, weil er hier feindliche Propaganda befürchtete. Umgekehrt wurde Marcel Fratzscher von der Politik gezielt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung installiert, weil er mit seiner Herkunft aus der EZB ein Gegenpropagandist ist.
In den Parteien – insbesondere in CDU und FDP – werden Euro-Kritiker gezielt ausgegrenzt.
Sarrazin: Da ist es ganz klar: Wer Kritik an der Gemeinschaftswährung übt, wird nicht mal stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verbraucherschutz. Das ist das absolute Karriereende. Das gilt für die SPD genauso wie in der CDU, und sogar in der angeblich liberalen FDP. Deshalb findet die Debatte in den Parteien gar nicht mehr statt. Da herrscht ein tumbes Durchwinken, egal, was von oben kommt. Auch der ansonsten von mir geschätzte Frank-Walter Steinmeier bleibt beim Thema Euro und Europa in öffentlichen Äußerungen weit unter seinen geistigen Möglichkeiten.