Jeden, der die deutsche Politik seit längerem beobachtet, lässt die Nachricht vom Tod von Guido Westerwelle auch fühlen, als ginge irgendwie eine Epoche zu Ende. Das kann nicht am Alter des Mannes liegen, Westerwelle ist gerade einmal 54 Jahre alt geworden. Was sich mit seinem Tod aber zu Ende neigt (und mit dem Ableben von Altkanzler Helmut Kohl endgültig zu Grabe getragen werden dürfte), ist die Bonner Republik.
Denn deren Bilder drängen sich beim Gedenken an den Liberalen auf, auch wenn der seine protokollarisch höchsten Ämter als Bundesaußenminister und Vizekanzler in der Hauptstadt Berlin bekleidete. Und das nicht nur, weil Westerwelle aus der Gegend um Bonn stammte. Sondern, weil er so früh mit der Politik angefangen hatte – mit 32 war er schon FDP-Generalsekretär - dass die aufregendste, die mitreißendste Phase seiner politischen Karriere in diese frühen Jahre fiel. Denkt man an ihn, schieben sich Helmut Kohl, Gerhard Schröder oder Joschka Fischer eher ins Bild als Angela Merkel oder Sigmar Gabriel.
Indirekt stirbt mit Westerwelle damit auch die Erinnerung an eine sehr übersichtliche deutsche (Parteien)-Republik, zu der wir vielleicht nicht mehr zurückkehren werden, schon gar nicht seit dem Gewittersturm der Alternative für Deutschland (AfD). Es war eine übersichtlichere Republik, in der die Liberalen einen festen und nie bestrittenen Platz hatten, als häufige (Mit)-Regierungspartei, als Mehrheitsbeschaffer, aber, wenn nötig, auch als lautstarke und selbstbewusste Opposition.
Guido Westerwelle in Zitaten
„Das ist ja keine Generalprobe, sondern das ist mein Leben.“ (25. Juli 2004)
„Hier steht die Freiheitsstatue dieser Republik.“ (15. Juni 2007)
„Um 2.12 Uhr waren wir mit der Arbeit fertig. Um 2.15 Uhr sagen wir Horst und Guido zueinander.“ (24. Oktober 2009, nach Abschluss der schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen)
„Wer anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ (11. Februar 2010)
„Es war eine Abstimmung über die Zukunft der Atomkraft. Wir haben verstanden.“ (27. März 2011, nach FDP-Wahlverlusten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu Folgen für die künftige Energiepolitik)
„Europa hat seinen Preis, Europa hat aber auch seinen Wert. Und wer das vergisst, macht einen historischen Fehler.“ (12. November 2011, auf einem Parteitag in Frankfurt/Main)
„It's okay to marry gay.“ (10. Mai 2012; Der seit September 2010 mit seinem Lebensgefährten Michael Mronz verheiratete Außenminister als Reaktion auf US-Präsident Barack Obama, der sich für die gleichgeschlechtliche Ehe stark macht)
„Es ist gegen deutsche Interessen, wenn wir Europa zerreden, nur weil man in bestimmten Kreisen Beifall dafür kriegt. Diese teutonische Keule, diese teutonische Axt wird zum Bumerang.“ (27. August 2012: Zu Forderungen aus der CSU nach einem Euro-Austritt Griechenlands)
„Wer von der Ohnmacht der Diplomatie spricht, hat möglicherweise eine Allmachtsvorstellung, die nicht realistisch sein kann.“ (26. August 2013: Zu Forderungen nach einer militärischen Lösung des Syrienkonflikts)
„Ich habe zwei Leidenschaften. Die eine ist Kunst. Die andere ist Politik. Aber die ist gerade etwas beschädigt.“ (24. September 2013: Zwei Tage nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag in New York)
„Ich bin zuversichtlich. Es wird werden.“ (1. Juni 2015: Auf seiner Facebook-Seite zu seinen Heilungsaussichten knapp ein Jahr nach Bekanntwerden seiner Krebserkrankung)
„Ich habe einen Plan: zu überleben. Und mir mein altes Leben Schritt für Schritt zurückzuholen.“ (8. November 2015: Bei der Vorstellung seines Buches „Zwischen zwei Leben“)
Westerwelle belebte das Liberale neu, er war mal schrill, mal zu laut, aber langweilig war er nie. Es werden nun wieder die Bilder durch die Gazetten gehen, auf denen er im Big Brother-Container saß, sich eine 18 auf Schuhsohlen pinselte und im Guidomobil durchs Land rumpelte. Hart an der Geschmacksgrenze war das manchmal, das hat Westerwelle in stillen Momenten durchaus eingestanden. Er wirkte dann oft wie jener Typ früher in der Schule, der schon in der 5. Klasse mit einem Aktenkoffer zum Unterricht erschien, das Etikett von der „Partei der Besserverdiener“ mitten auf dem Koffer klebend.
Aber zu sehr überlagert von solchen (Zerr)-bildern wurde jener Westerwelle, der die Prinzipien des Liberalismus herleiten konnte wie kaum ein anderer seiner Generation – und der schon deshalb bis heute zu den mitreißendsten Rednern des Deutschen Bundestages gehörte.
Ironischerweise hat er, der sich ein Leben lang an der Regierung abarbeitete, den Übergang in die Regierungsverantwortung schließlich vermasselt. Nach dem grandiosen Wahltriumph 2009 – 14,6 Prozent holten die Liberalen damals - schwächelte Westerwelle schon in den Koalitionsverhandlungen mit CDU-Kanzlerin Angela Merkel. Warum sich der Chefliberale für das eher repräsentative Außenamt entschied statt etwa für das wichtige Finanzministerium, blieb vielen rätselhaft. Und dass seine Partei so wenige Personen präsentieren konnte, die für Ministerämter geeignet waren, muss ihn selbst am meisten erschüttert haben. Dass die FDP-Ministerriege wie ein Kindergarten erschien, der schließlich vom Wähler nach einer Amtszeit aus dem Amt – und gar dem Bundestag – gejagt wurde, hat Westerwelles Sinn für Professionalität zutiefst widersprochen.
Westerwelle wusste, dass zum politischen Wettkampf auch der politische Streit gehört
Viele, auch der Autor dieser Zeilen, haben sich in den folgenden Jahren an ihm abgearbeitet, ihn „Guido Who?“ genannt, weil ihn im Ausland so recht keiner ernst nahm. Das Diplomatische blieb ihm eher fremd, auch wenn er sich nach einer Weile besser in die Themen tastete. Die selbstbewussten Beamten des Auswärtigen Amtes haben ihn nie recht akzeptiert und Westerwelle gelang, was kaum einem seiner Vorgänger gelungen war: als Außenminister denkbar unbeliebt zu werden.
Soll man manch hartes Wort über seine Regierungs-Amtszeit am Tag seines Todes bedauern? Derlei Nachsicht wäre Westerwelle selbst kaum in den Sinn gekommen. Ihm war stets angenehm klar, dass zum politischen Wettkampf auch der politische Streit gehörte. Nachtragend war er nicht, und anders als so manche Mitstreiter konnte der Liberale auch einstecken.
Er musste übrigens auch selbst einstecken, denn noch in einem anderen Punkt drängt sich beim Gedanken an ihn die Erinnerung an die Bonner Republik auf, die eine verklemmtere war. Dass Westerwelle homosexuell war, war in Bonner Kreisen früh ein offenes Geheimnis, öffentlich machen mochte er dies trotzdem lange nicht. In einem legendären Interview mit der Süddeutschen Zeitung ließ er sich zwar im weißen Anzug in einer Gondel in Venedig fotografieren, aber sein Coming Out brachte er nicht über die Lippen.
Wie wohltuend erfrischend war dann dieses Jahr zu lesen, mit welcher Offenheit, Zärtlichkeit und Selbstverständlichkeit Westerwelle ein Buch über seine Krankheit vor allem in eine Liebeserklärung an seinen Lebenspartner Michael Mronz verwandelte.
Er wirkte bei diesem Interview ausgeruht und in sich ruhend. Es ist durchaus interessant, dass man Ähnliches in diesen Tagen kurz vor seinem Tod auch über den deutschen Liberalismus sagen konnte, der eine Art Renaissance beim Wähler zu erleben scheint. In den Berichten nach den Landtagswahlen waren viele Vergleiche des neuen FDP-Parteichefs Christian Lindner mit Westerwelle zu lesen. Der Tenor war immer gleich: Da bewegt sich was, da tut sich was, da kracht was. Und das dürfte Westerwelle noch mal richtig gefallen haben, denn da wo sich was bewegte, da fühlte er sich am wohlsten.