Tool zur Bundestagswahl Bangen vor dem Wahl-O-Mat

Das bekannte Tool, mit dem Millionen Deutsche ihre Wahlabsicht überprüfen, startet. Parteien messen dem Wahl-O-Mat eine hohe Bedeutung zu - und tricksen zuweilen bei ihren Antworten.

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Der Wahl-O-Mat ist Chefsache. Bei der CDU wie auch bei der SPD schaut sich der Parteivorstand, so berichten Mitglieder, die Antworten auf die Thesen ganz genau an. Schließlich überprüfen mit dem bekannten Tool der Bundeszentrale für politische Bildung Millionen Deutsche ihre Wahlabsicht. Unaufmerksamkeiten der Parteien bei der Beantwortung der Fragen könnten wichtige Stimmen kosten - insbesondere bei den Jungwählern, die die Anwendung überproportional stark nutzen.

Wer die Anwendung noch nicht kennt: Der Wahl-O-Mat ist ein Frage-und-Antwort-Tool, das zeigt, welche zu einer Wahl zugelassene Partei der eigenen politischen Position am nächsten steht. 38 Thesen werden formuliert. Der Nutzer kann diesen zustimmen, sie ablehnen oder sich "neutral" äußern. Alle Parteien wurden im Vorfeld gebeten, ebenfalls die Thesen zu bewerten und eine Begründung zu formulieren. Die eigenen Antworten werden mit denen der Parteien abgeglichen, der Grad der Übereinstimmung mit den ausgewählten Parteien wird errechnet.

Eine einfache, spielerische Form also, um seine Wahlabsicht zu überprüfen. Millionen Deutsche haben das vor der Bundestagswahl 2009 gemacht und über das Ergebnis gegrübelt, mit Freunden gesprochen - und vielleicht auch in ihre Wahlentscheidung einbezogen.

"In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass insbesondere junge Menschen davon rege Gebrauch machen und sich über die Positionen der Parteien zu verschiedenen Themen informieren. Aus Sicht der SPD ist  der Wahl-O-Mat somit ein sehr gutes Angebot, um gerade Jung- und Erstwähler bei Ihrer Wahlentscheidung zu unterstützen", heißt es auf Nachfrage beim SPD-Bundesvorstand.

Infos zum Wahl-O-Mat

Stefan Marschall bestätigt die Bedeutung des Wahl-O-Mats. Der Professor für Politikwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat in einer Studie das Tool zur Bundestagswahl 2009 unter die Lupe genommen und festgestellt: "Der Wahl-O-Mat wird von einer Vielzahl von Bürgern genutzt, er regt Menschen an, über Politik zu diskutieren - und mobilisiert, bei der Wahl die Stimme abzugeben." Vor der letzten Bundestagswahl wurde er über 6,7 Millionen Mal gespielt, insbesondere junge Menschen nutzen das Tool. Mehr als ein Drittel (34,9 %) der Befragten sind zwischen 18 und 29 Jahre alt, 43,8 Prozent sind zwischen 30 und 49 Jahre alt. Ihr Ziel: Sie wollen überprüfen, ob ihre Parteipräferenz inhaltlich gedeckt ist. Ob die Lieblingspartei auch wirklich einen Großteil der politischen Fragen ähnlich beantwortet.

Parteien tricksen bei den Antworten

So teuer werden die Wahlversprechen der Parteien
Die Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln rechnen mit den Parteiprogrammen der Parteien ab. Sie haben sich die steuerlichen Auswirkungen der Wahlversprechen angesehen. Ein Überblick:CDU/CSU Besonders teuer kommt die Wähler die Sozialpolitik zu stehen: Hier fallen fiskalische Mehrbelastungen von 21,2 Milliarden Euro an, wovon 9,4 Milliarden Euro durch die Steuerpolitik wieder reingeholt werden. Bei Umsetzung des Programms sind also unterm Strich noch 12 Milliarden Euro über zusätzliche Abgaben einzutreiben. Deshalb wird das BIP nach fünf Jahren einen Rückstand von 0,1 Prozent aufweisen, schätzt das IW. Der Beschäftigungsstand läge knapp 100.000 Personen hinter dem Status-quo-Szenario. Quelle: dpa
SPDDie Sozialpolitik fällt bei der SPD sogar weniger ins Gewicht, als bei der Union: Hier wären es 18,2 Milliarden Euro. Zusammen mit der Steuerpolitik (40,9 Mrd.) fallen allerdings insgesamt 59,1 Milliarden Euro an, die durch zusätzliche Abgaben wieder hereingeholt werden müssen. Das BIP würde daher nach fünf Jahren um 0,7 Prozent geschrumpft sein, und der Beschäftigungsstand läge um 300.000 Menschen niedriger. Quelle: dpa
FDPEinzig das Programm der Liberalen würde sich laut IW nicht messbar auf Wachstumsprozess und Beschäftigungsstand auswirken und im Vergleich zu den anderen Parteien die geringsten Risiken bergen. Allerdings bliebe die FDP manche Konkretisierung schuldig, so die Forscher. Die Mehrausgaben in der Sozialpolitik sind mit 4 Milliarden Euro gering; durch Minderausgaben in der Steuerpolitik von 5,5 Milliarden bliebe unterm Strich eine Minderbelastung von 1,5 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Bündnis 90/Die GrünenDie Pläne von Bündnis 90/Die Grünen verursachen Mehrbelastungen von 59,7 Milliarden Euro, zusammengesetzt aus 14,2 Milliarden für Sozial- und 45,5 Milliarden Euro für Steuerpolitik. Dadurch wären wie bei der SPD 300.000 Jobs gefährdet und das BIP würde um 0,7 Prozent zurückgehen. Dabei seien die zu erwartenden negativen Investitionsanreize infolge einer Vermögensteuer und deren beschäftigungsfeindliche Wirkung noch gar nicht eingerechnet, so das IW. Quelle: dpa
Die LinkeDie höchste Mehrbelastung für die Bürger und den Staatshaushalt ergibt sich laut IW aus den Plänen der Linken mit sage und schreibe 160,8 Milliarden Euro pro Jahr. Ausschlaggebend dafür sind vor allem die Steuerpläne sowie die Rücknahme aller bisherigen Rentenreformen: denn die Einsparungen in der Sozialpolitik (-10,2 Mrd.) werden durch 171 Milliarden Euro Mehrausgaben bei der Steuerpolitik mehr als aufgefressen. Der Beschäftigtenstand würde gegenüber dem Status Quo um 800.000 sinken, das BIP würde um 1,9 Prozent einbrechen. Quelle: dpa

"Bei einem Großteil der Nutzer ist das der Fall. Zumindest, wenn man in politischen Lagern denkt", sagt Marschall. So hatten 28,1 Prozent der Nutzer des Wahl-O-Mat tatsächlich die meisten Übereinstimmungen mit der Partei, die im Vorfeld bereits präferiert wurde. Bei 63,5 Prozent der Nutzer gab es die größten Schnittmengen immerhin mit einer der Parteien aus dem jeweiligen Lager (etwa FDP bei bürgerlichen Wählern, Grüne bei SPD-Wählern, etc.). Nur bei 8,4 Prozent der User wich das Ergebnis deutlich von der eigentlichen Parteipräferenz ab.

Stimmen abjagen, werden die Parteien wohl kaum einem Gegner. Wohl aber ist das Ergebnis der Wahl-O-Mat wichtig, um die eigenen Leute zu mobilisieren. 70,5 Prozent der befragten Teilnehmer am Tool für die Bundestagswahl 2009 gaben an, über ihr Ergebnis und den Urnengang im Freundes- und Bekanntenkreis sprechen zu wollen. Immerhin jeder Zwölfte Nutzer wurde nach eigenen Angaben motiviert, zur Wahl zu gehen - obwohl er es vorab nicht vorhatte.

Wahl-ABC (A bis H)

Die Parteien wissen um diese Zahlen und versuchen, per Wahl-O-Mat insbesondere Jungwähler zu gewinnen. Manchmal auch mit unlauteren Tricks. So stufte sich die CDU 2009 bei der These "Das Erststudium soll gebührenfrei sein" als "neutral" sein. Die Sozialdemokraten wetterten "Betrug". Zweifel am Wahrheitsgehalt der Unionsaussage waren durchaus berechtigt, schließlich führte die CDU gemeinsam mit der FDP in den Jahren vor der letzten Wahl in vielen Ländern Studiengebühren ein. In der mitgelieferten Erklärung schrieb die CDU auch: Bildung solle keine Frage des Einkommens sein. Aber: "Mit sozialverträglichen Studienbeiträgen sollen die Hochschulen ihre Lehrangebote gezielt verbessern und besondere Lehrprofile entwickeln."

Wahl-ABC (I bis P)

Die Bundeszentrale für politische Bildung, die den Wahl-O-Mat herausgibt, redigiert oder zensiert die Angaben und Aussagen der Parteien nicht. "Gibt es Zweifel an den Aussagen, halten wir Rücksprache und fragen nach. Letztendlich entscheiden aber die Parteien über ihre Antwort", sagt Daniel Kraft von der Bundeszentrale für politische Bildung.

Nach dem Aufschrei von 2009 hat die Union offenbar aus ihren Fehlern gelernt. Ein erster Testdurchlauf des neuen Wahl-O-Mats wirft bei den Begründungen von CDU/CDU keine Irritationen auf. Bei der umstrittenen Einführung einer Pkw-Maut auf Autobahnen etwa, stuft sich die Partei "neutral" ein und erklärt ehrlicherweise: "Beim Thema Pkw-Maut auf Autobahnen sind CDU und CSU unterschiedlicher Auffassung. Die CDU lehnt eine Pkw-Maut ab. Die CSU will Autofahrer aus dem Ausland an den Kosten für den Bau und Unterhalt der Infrastruktur beteiligen und befürwortet deshalb eine Pkw-Maut für ausländische Fahrzeuge."

Lehnt die SPD ein Tempolimit wirklich ab?

Welche Koalitionen im Bund denkbar sind
Große Koalition aus Union und SPDVorteile: technokratisches Regieren, krisenerprobt, sichere MehrheitNachteile: schmerzhaften Reformen eher abgeneigt, schwache Opposition ist kaum als Korrektiv geeignetWahrscheinlichkeit: groß Quelle: dpa
Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen Quelle: dpa
Jamaika-Koalition aus Union, Grünen und FDP Quelle: dapd
Bürgerliche Koalition aus Union und FDP Quelle: dapd
Schwarz-grüne Koalition aus Union und GrünenVorteile: verbindet Interessen von Ökonomie und ÖkologieNachteile: vereint Wähler mit unterschiedlichem Gesellschaftsbild, wenig Schnittmengen in der WirtschaftspolitikWahrscheinlichkeit: eher gering, weil beide Parteien zunächst andere Koalitionen ausloten Quelle: dpa
Rot-grüne Koalition aus SPD und Grünen Quelle: dpa
Rot-rot-grüne Koalition aus SPD, Grünen und LinkenVorteile: Rechnerische Mehrheit im linken Lager erreichbarNachteile: Linkspartei gilt im Westen als kaum koalitionsfähig, SPD und Linke konkurrieren und misstrauen sich, Peer Steinbrück kann überhaupt nicht mit der LinkenWahrscheinlichkeit: ausgeschlossen

Eine ähnlich souveräne Antwort hätte man sich auch von der SPD auf die Frage nach einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen gewünscht. Zur Erinnerung: Im Mai sorgte Parteichef Sigmar Gabriel mit seinem Vorstoß nach einem Tempolimit von 120 Stundenkilometern für heiße Diskussionen. Zwar ruderte er danach zurück, doch dass die Sozialdemokraten eine Geschwindigkeitsobergrenze generell ablehnen, kann wohl kaum behauptet werden. Dennoch beantworte die SPD beim Wahl-O-Mat die Frage nach dem Tempolimit nicht mit "neutral", sondern mit einem klaren "Nein". Die Begründung fällt einsilbig aus: "Ein allgemeines Tempolimit ist nicht Bestandteil des SPD-Regierungsprogramms."

Falsch ist die Aussage nicht, trickreich hingegen schon. Die Bundeszentrale für politische Bildung kennt diese Problematik und vertraut auf den kritischen Blick der Nutzer. „Die Positionen der Parteien zu den Thesen werden nicht von uns interpretiert, sondern sind ausdrücklich - ebenso wie die zugehörigen Begründungen ihrer Antworten - durch die Parteien autorisiert“, so Kraft.

Das Tool sei eine Recherchegrundlage, nicht mehr und nicht weniger. Die Bundeszentrale für politische Bildung formuliert lediglich die Thesen und wählt die spannendsten 38 aus. „Das sind die Thesen, die die größte Aufmerksamkeit im Wahlkampf haben und bei denen es die größten Unterschiede zwischen den Parteien gibt“, sagt Kraft. Schließlich solle der Wahl-O-Mat auch Differenzen der Parteien deutlich machen. „Wer sich durchklickt merkt: Das Vorurteil, die Parteien seien alle gleich, stimmt nicht“, unterstreicht Kraft.

Wahl-ABC (Q bis Z)

Dabei gäbe es auch immer mal einen "Aha-Effekt" - im positiven wie negativen Sinne. Durchaus möglich, dass die NPD mit einer signifikanten Übereinstimmungsquote erscheint. Und dann? "Eine mittlere oder hohe Übereinstimmung mit extremistischen Parteien im Wahl-O-Mat bedeutet nicht, dass Sie selbst ein Rechts- oder ein Linksextremist sind", betont Kraft. Schließlich gehe es oft um allgemeingültige Themen, etwa um die Frage nach Ladenöffnungszeiten oder einem Rauchverbot in Gasstätten. Dazu beziehen auch extremistische Parteien eine Position. "Oft lässt sich die Ideologie einer Partei in den Begründungen im Wahl-O-Mat finden. Es lohnt sich, diese genau zu lesen", sagt Kraft.

Eine Wahlempfehlung stelle der Wahl-O-Mat sowieso nicht da, betont der Anbieter auch auf seiner Seite. Dass kann das Tool auch nicht bieten. Zu trickreich gehen die Parteien mit der Anwendung um.  Gleichwohl kann das Tool eine wichtige Informationsquelle sein. Und Spaß bringt es auch noch.

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