Torsten Albig „SPD und FDP haben etwas gemeinsam“

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident über das Reizthema Steuern, das Elend der HSH Nordbank und Christian Lindners Nackenhaare.

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WirtschaftsWoche: Herr Albig, wer hat diesen Satz gesagt: „Der Umstand, als Präsident des EU-Parlaments sehr beliebt zu sein, bedeutet nicht zwangsläufig, dass man als Kanzlerkandidat noch genauso beliebt ist.“?

Torsten Albig: Das war ich.

Zur Person

War es jemals schöner, falschzuliegen?

(lacht) Nein, nie. Peer Steinbrück war ja als Finanzminister sehr populär, als Kanzlerkandidat aber … – lassen wir das besser. Dass es bei Martin Schulz anders ist, freut mich wirklich sehr.

Im Saarland hat der Schulz-Hype allerdings überhaupt nicht funktioniert. Nun müssen Sie am 7. Mai in Schleswig-Holstein unbedingt gewinnen, damit die Euphorie bleibt.

Das sehe ich anders: Zum einen hat Martin Schulz dazu beigetragen, dass die SPD im Saarland von Umfragewerten um die 20 Prozent auf knapp 30 Prozent gehoben wurde. Zum Zweiten zeigt die Saarlandwahl einmal wieder: Amtsbonus zieht. Von daher freue ich mich sehr, dass ich als Amtsinhaber in unsere Landtagswahl gehe und nicht als Herausforderer. Die Wahl in Schleswig-Holstein zu gewinnen ist für mich auch keine Frage des Müssens, sondern des Wollens. Und seien Sie sicher: Ich will. Wenn das also eine Bürde sein soll, dann nehme ich sie gerne auf meine Schulter. Keine Sorge: Der Schulz-Zug rollt.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) plädiert für eine Ampelkoalition nach der Bundestagswahl.
von Marc Etzold, Max Haerder

Stört es Sie gar nicht, dass im Bundeswahlkampf Bildung oder innere Sicherheit zum Thema werden? Das sind schließlich Landeszuständigkeiten, Ihr ureigenes Terrain.

Das sind Herausforderungen, die so wichtig sind, dass Länder und der Bund gemeinsam dabei mithelfen sollten, sie zu lösen. Beispiel Kita: Die wollen wir im Norden bis 2024 gebührenfrei machen. Wenn der Bund sagen würde, die kostenlose Kita solle bitte schneller kommen, mache ich das gerne – wenn Berlin das nötige Geld bereitstellt.

Klingt nicht gerade ehrgeizig.

Von wegen, Schleswig-Holstein kostet das Vorhaben in der letzten Ausbaustufe etwa 200 Millionen Euro jährlich. Auf einen Schlag kriege ich das nicht hin, denn diese Summe muss ich erst an anderer Stelle Stück für Stück erwirtschaften. Aber ja: Unser Nachbar Hamburg hat den Kraftakt bereits geschafft – und das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil, den ich so schnell wie möglich beheben will.

Die Liberalen diskutieren wieder Machtoptionen. Dabei fehlt es ihnen weiter an Personal und Wirtschaftsprofil. Alles kreist um Parteichef Christian Lindner.
von Marc Etzold, Katharina Matheis, Christian Ramthun, Christian Schlesiger

Kritiker halten Ihnen aber vor, Sie sparten das Land kaputt.

Richtig ist: Schleswig-Holstein hat in der Vergangenheit weniger Geld für Bildung und öffentliche Sicherheit pro Kopf als jedes andere Bundesland ausgegeben. Diesen Sparkurs haben aber alle Parteien mit Ausnahme der Linken mitgetragen. Dies hat zur Konsolidierung des Haushaltes beigetragen. Jetzt, wo der Etat es wieder hergibt, beginne ich, wieder mehr Kraft in Bildung und auch innere Sicherheit zu stecken: Wir haben im Haushalt 2016 einen Überschuss von mehr als 500 Millionen Euro erwirtschaftet – das bedeutet etwa mehr Geld für Kitas, für bessere Straßen und einen erheblichen Beitrag zur Schuldentilgung.

Ist die finanzielle Lastenteilung bei der Flüchtlingsversorgung zwischen Bund und Ländern fair geregelt?

Sie wäre fair, wenn wir die Kosten jeweils zur Hälfte tragen würden. Tatsächlich tragen wir 80 Prozent, der Bund 20. Das kann nicht so bleiben. Mich ärgert es sehr, wie mühsam die Verhandlungen mit dem Bund sind. So fehlt uns Geld, um Flüchtlingen Sprachkurse oder eine Ausbildung zu ermöglichen. Das sind aber genau die Investitionen, die sich immer auszahlen werden.

„Wir können nicht unsere sozialdemokratische Seele verkaufen“

Ist die Willkommenskultur schon wieder verschwunden?

Wenn man Teilen der Bundesregierung Glauben schenkt, ja. Wir sollten jedoch stolz darauf sein, dass wir es geschafft haben, eine Million Menschen aufzunehmen und gut zu versorgen. Stattdessen feiert sich der Bundesinnenminister dafür, wenn 19 Afghanen in ein unsicheres Land zurückgeführt werden. Das ist doch absurdes Polittheater. Ich bin froh, dass die allermeisten Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner da ganz anders ticken und sehr unaufgeregt und mitmenschlich mit dem Thema umgehen.

Wenn man sich in der Wirtschaft umhört, ist die Desillusionierung aber groß.

Kann ich so nicht bestätigen. Bei Unternehmensbesuchen hier in der Region habe ich Tränen in den Augen, wenn ich die Geschichten von Meistern höre, wie gut deren syrische Praktikanten mittlerweile Sahnetorte machen oder aufwendige Frisuren kreieren können.

Die Tränen kommen Ihnen auch bei der kriselnden HSH Nordbank, die Sie auf Druck der EU-Kommission verkaufen müssen.

Nein, das gehört zur Verantwortung, die wir als Regierung zu tragen haben. Und wir werden unserer Verantwortung gerecht.

Nach der Saarlandwahl melden sich profilierte Stimmen in der SPD, Abstand zur Linkspartei zu wahren.
von Max Haerder

Bisher gingen Sie von rund 16 Milliarden Euro Maximalschaden für Hamburg und Schleswig-Holstein aus. Ist das wirklich die Höchstgrenze?

Darüber spekuliere ich nicht. Ich bin zuversichtlich, dass wir den Verkaufsprozess erfolgreich abschließen werden. Alle Beteiligten managen diesen nicht einfachen Prozess mit viel Kompetenz, Ruhe und Augenmaß.

Zurück zur Bundespolitik: Martin Schulz überzieht kräftig mit dem Linkskurs, oder?

Mal langsam. Ich kann da keinen ausgesprochenen Linkskurs erkennen. Im Gegenteil, wir dürfen doch von der Wirtschaft erwarten, dass sie nicht so tut, als würde die SPD unter Schulz in die Fünfzigerjahre zurückfallen. Beide Seiten haben doch viel Erfahrung miteinander. Und wann immer Konservative regiert haben, waren das nicht unbedingt die freundlicheren Zeiten für Wirtschaft. Die reden viel, machen aber dann nie was. Aber es gilt auch: Wir können nicht unsere sozialdemokratische Seele verkaufen, nur damit die WirtschaftsWoche uns applaudiert.

Martin Schulz ist der neue SPD-Parteichef. Die Partei bietet ihm bedingungslose Liebe an. Und er? Erstmal nur große Versprechen.
von Max Haerder

Dann nennen Sie uns einen einzigen Experten, der den Schulz-Vorschlag für längeres Arbeitslosengeld gelobt hat.

Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit muss einen Ansprechpartner haben: uns Sozialdemokraten. Und dafür kämpft Martin Schulz. Wenn nicht wir die Würde von Arbeitnehmern schützen, wer dann?

Können Sie der hart arbeitenden Mittelschicht denn wenigstens Hoffnung auf finanzielle Entlastung machen?

Wir wollen uns auf kleine und mittlere Einkommen konzentrieren – und da bringen Steuersenkungen doch überhaupt nichts. Weshalb wir auf geringere Sozialabgaben und auf weniger Gebühren setzen – etwa für die Kitas. Das hilft wirklich den Richtigen.

„Im Kern finde ich es richtig, dass die stärksten Schultern auch die größten Lasten tragen müssen“

Wir halten fest: keine Steuerentlastung nach der Wahl mit der SPD.

Wir sollten den Menschen jedenfalls keinen Sand in die Augen streuen, indem wir etwa die Abschaffung des Soli als massive Steuerentlastung titulieren: Den abzuschaffen kostete rund 19 Milliarden Euro. Auf dem Gehaltszettel bringt das dem Durchschnittsverdiener unter 4000 Euro brutto gar nichts. Mit dem Geld könnten Sie alle Erzieherinnen in Deutschland, die heute sehr schlecht verdienen, endlich angemessen bezahlen. Oder Sie könnten jede zweite der maroden Schulen in Deutschland davon sanieren.

Und wie stehen Sie zur Vermögensteuer?

Ich mag den Begriff nicht sonderlich, er ist durch die Debatten der Vergangenheit sehr belastet. Im Kern finde ich es richtig, dass die stärksten Schultern auch die größten Lasten tragen müssen.

Keine Angst, dass Sie monatelang von der Union als Partei der Schröpfer durch die Wahlkampf-Manege gezogen werden?

Deshalb werden wir Sozialdemokraten immer eine Beitragsdebatte führen, keine Steuerdebatte. Wenn ein Deutscher das Wort Steuer hört, wird es für ihn ernst. Mir ist das skandinavische Denken da viel näher: Die sehen den Staat nicht als feindliche Krake, sondern sich selbst als Teil eines Systems, das für alle in allen Lebenslagen anständig funktionieren soll – und zu dem jeder deshalb gern nach Kräften beiträgt.

Mit wem wäre diese Politik möglich? Sie klingen wie ein Fan von Rot-Rot-Grün.

Dann haben Sie mich missverstanden. Haben Sie das Wahlprogramm der Linken gelesen? Die sind für mich ganz weit weg. Das Ziel für uns ist doch klar: Das Namensschild am Kanzleramt muss rot sein, dafür braucht es zuallererst eine starke SPD. Und in jedem Lehrbuch für Wahlkampf lesen Sie ja, man soll vor Wahlen nicht laut über Koalitionen spekulieren. Aber ich halte mich ja nicht immer unbedingt an Lehrbücher: Ich höre zum Beispiel viel Gutes aus Rheinland-Pfalz.

Das hat es noch nie gegeben: Martin Schulz erhält bei der Wahl zum SPD-Chef alle gültigen Stimmen. Auf dem „Krönungsparteitag“ in Berlin präsentiert sich die Partei wie im Rausch.

Na bitte, ein Plädoyer für eine Ampel-Koalition im Bund. Nur: Bei dem, was Sie eben zu Steuern erzählt haben, dürften sich bei FDP-Chef Christian Lindner alle Nackenhaare aufstellen.

Bei Lindner in Reinkultur ginge mir das wahrscheinlich genauso. Aber Koalitionsverträge sind etwas anderes als Wahlprogramme. Also ginge es – um mal in Ihrem Bild zu bleiben – darum, dass nach der Wahl alle ihre Nackenhaare wieder glatt streichen. In Rheinland-Pfalz funktioniert die Ampel doch sehr gut. Sozialdemokraten und Liberale haben – im Gegensatz zu den Konservativen – etwas gemeinsam: Wir wollen, dass wieder etwas passiert im Land.

Vor einiger Zeit haben Sie Angela Merkel doch noch als „ausgezeichnete“ Kanzlerin gelobt. Was ist passiert?

Wie sie das Amt interpretiert, ist in meinen Augen bemerkenswert, und das erkenne ich weiterhin an. Die Bürger mögen ihren präsidialen Stil. Gut für uns, dass diese Aura gerade von ihren eigenen Leuten zerstört wird. Der Horst-Seehofer-Effekt ist doch mindestens ebenso groß wie der Martin-Schulz-Effekt. Seehofer ist wie ein U-Boot, das Merkel mit in die Tiefen zieht. Und ob bei diesem U-Boot alle Fugen dicht sind, wage ich zu bezweifeln.

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