Treffen von FDP und Grünen Der Weg für Jamaika scheint frei

Die Gespräche zwischen Union, FDP und Grünen scheinen gut zu laufen. Unter anderem weil der Wunsch zu regieren groß ist. Zudem eint vor allem eines alle Koalitionsparteien: Die Angst vor der AfD.

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Das Treffen von FDP und Grünen zur Vorbereitung auf den Start der Jamaika-Sondierungsverhandlungen in großer Runde. Quelle: dpa

Als Horst Seehofer am Mittwochabend die ersten Gespräche mit den Grünen verließ, klang er wie ein Trophäensammler. "In meiner Sammlung der Koalitionen fehlt mir diese Jamaika-Koalition noch", sagte der CSU-Chef. Und auch wenn dies scherzhaft gemeint war: Die erste, noch getrennte Runde von CDU/CSU mit FDP und dann den Grünen hat das Tor für eine Jamaika-Koalition zumindest so weit aufgestoßen, dass es den Beteiligten schwer fallen dürfte, nicht mehr hindurchzugehen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass alle vier Parteien schon aus taktischen Gründen öffentlich betonen, die Auseinandersetzung über schwierige Sachthemen stehe noch bevor. Inhaltliche Stolpersteine gibt es tatsächlich genug. Aber mit dem Mittwoch ist nach Ansicht von Politikern mehrerer Parteien der Erfolgsdruck erheblich gewachsen.

Der vielleicht wichtigste Grund sind die atmosphärischen Lockerungsübungen, nicht nur am Mittwoch, sondern auch in den Tagen zuvor. Im Bundestag wird zwar schon immer hinter den Kulissen auch über Parteigrenzen hinweg gesprochen. Aber die Intensität, mit der man sich bilateral zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen um Kontakte bemüht, hat erheblich zugenommen.

Bisheriger Höhepunkt war der Besuch von Seehofer in der Grünen-Parteizentrale am Dienstag - ein fast schon historischer Moment angesichts der jahrelangen gegenseitigen Animositäten. Der CSU-Chef wiederholte diese Geste als atmosphärischer "Eisbrecher" dann noch mit einem Besuch bei der FDP.

Worüber FDP und Grüne streiten werden

Und am Mittwoch wurden gezielt Bilder lächelnder Politiker auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft für die wartenden Fotografen und Kameraleute produziert. Mal winkte CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel im Kreis von Grünen-Politikern vom Balkon, mal FDP-Chef Christian Lindner zusammen mit CSU-Vertretern und der Kanzlerin. "Je harmonischer man sich aber nach außen zeigt, desto schwerer ist später zu vermitteln, warum keine Einigung möglich war", heißt es in Jamaika-Kreisen. Ohnehin passt das Lächeln der Akteure genau zur Erwartung der Wähler. Laut ZDF-Politbarometer erwarten 80 Prozent der Grünen-, 75 Prozent der FDP- und 68 Prozent der Unions-Anhänger die Bildung einer Jamaika-Koalition. Denen müsste man das Scheitern der Gespräche erklären.

Ein wenig ähnelte die Stimmung dem ersten Besuch des französischen Präsident Emmanuel Macron in Berlin Mitte Mai, als Merkel ein Hermann-Hesse-Zitat nutzte, um das zukünftige Verhältnis zu beschreiben: "Allem Anfang wohnt ein Zauber inne."

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Der Wunsch zu regieren ist groß

In den vergangenen Tagen wurde zudem deutlich, wie sehr alle vier Parteien bereits in Kategorien des Regierens denken. Zwar betonte FDP-Chef Lindner am Donnerstag erneut, die Chancen auf eine Jamaika-Koalition stünden "Fifty-Fifty". Aber gleichzeitig lässt sich Lindner in Interviews ständig über Ministeriumszuschnitte oder die Besetzung des Finanzministeriums aus. In der Union wird dazu vermerkt, dass so nur jemand argumentiere, der bereits an eine eigene Regierungsbeteiligung denke. FDP-Vize Wolfgang Kubicki betont jedenfalls, dass er sich für ministrabel hält und durchaus fähig, das Bundesfinanzministerium zu übernehmen.

Den Grünen-Realos wird ohnehin unterstellt, unbedingt regieren zu wollen - dementsprechend optimistisch äußerte sich etwa Geschäftsführer Michael Kellner am Mittwoch, der nach dem Treffen mit der Union ein "gutes Gespräch" erlebt haben wollte. Und Partei-Chef Cem Özdemir wird nachgesagt, er sei am Amt des Außenministers interessiert, was dieser bislang nicht dementiert hat.

CSU-Chef Seehofer lässt sich - trotz aller noch bestehenden inhaltlichen Differenzen - die Bereitschaft der CSU zu Regierungsbildung ablesen. "Es gab keine Verspannungen", sagte er. Und Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) folgerte nach den ersten Sondierungsrunden, er sehe bei allen Beteiligten den Willen, dass "dieses Experiment" ein Erfolg werde.

von Marc Etzold, Max Haerder, Elisabeth Niejahr, Thomas Schmelzer

Die gemeinsame Angst vor der AfD

Dazu kommt eine gemeinsame Angst, die allen vier Parteien letztlich den Ausstieg aus den Jamaika-Gesprächen versperrt. Denn auch wenn die FDP anfangs alles andere als glücklich wirkte, dass der sofortige Rückzug der SPD in die Opposition nur eine Jamaika-Lösung möglich macht: Die Hoffnung, dass die Sozialdemokraten bei einem Scheitern der Gespräche als zweite Option zur Verfügung stünden, sind auch in der CSU gen Null gesunken. Scheitern die Sondierungen, dann wären wohl nur noch Neuwahlen möglich.

Aber die wollten eigentlich alle vier Parteien verhindern, heißt es in Unionskreisen. Denn wie ein Elefant stand am Mittwoch die AfD im Raum in der Parlamentarischen Gesellschaft. Über die Rechtspopulisten wurde zwar kaum geredet. Aber Seehofer betonte am Abend, dass man umso mehr über den gemeinsamen Wunsch aller Anwesenden gesprochen habe, einen Beitrag gegen Polarisierung, Radikalisierung und Spaltung zu leisten. Und bei einer Neuwahl, so die gemeinsame Überzeugung, würde wohl nur eine Partei sicher profitieren - die AfD, meint auch Forsa-Chef Manfred Güllner.

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