TTIP-Verhandlungen vor dem Aus Die Antiglobalisierer

Wirtschaftsmister Gabriel gibt die transatlantische Freihandelszone TTIP auf. Und Frankreich nimmt die Steilvorlage dankend an. Vor allem für eine Exportnation wie Deutschland ist das ein Alarmzeichen. Eine Analyse.

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Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (links) begrüßt den französischen Präsidenten Francois Hollande. Quelle: dpa

Sigmar Gabriel ist selten um starke Worte verlegen. Den jüngsten Beweis hat er vergangenen Sonntag geliefert. Da verkündete der Vizekanzler, dass die Verhandlungen über das transatlantische Handelsabkommen (TTIP) gescheitert seien – „de facto“. Seine in Brüssel immer noch verhandelnden Kollegen staunten nicht schlecht. Zumal der Bundeswirtschaftsminister das angebliche Scheitern nicht für sonderlich bedauernswert hält.

Wenig verwunderlich ist, dass Frankreich sich diese Steilvorlage nicht entgehen ließ. Die TTIP-Gespräche zwischen der EU und den USA könnten nicht bis zum Jahresende abgeschlossen werden, sagte Präsident François Hollande am Dienstag. Sein Handelsminister Matthias Fekl kündigte sogar an, die EU-Kommission würde die EU in Kürze auffordern, die Verhandlungen für TTIP zu stoppen.
Was treibt den Bundesswirtschaftsminister zu solch folgenschweren Äußerungen?

Sollten sie verhandlungstaktischen Motiven geschuldet sein, könnte man sie bestenfalls als ungeschickt qualifizieren. Doch es steht zu befürchten, dass mehr dahinter steckt. Der Wirtschaftsminister hat nicht nur den Glauben an das Abkommen verloren, weil die Amerikaner hart verhandeln. Nein, Gabriel — einst ein großer Verfechter des Abkommens – gibt TTIP wohl auch auf, weil er weiß, dass Freihandel derzeit alles andere als populär ist in der Bevölkerung.

Tatsächlich hat sich da eine seltsame Koalition der Antiglobalisierer zusammengetan: Rechte wie Donald Trump, Linke wie Bernie Sanders, selbst Gemäßigte wie Hillary Clinton. Die Linke und die AfD könnten in ihrer politischen Ausrichtung unterschiedlicher nicht sein, in ihrer Gegnerschaft zu TTIP sind sie seltsam vereint.

Alle haben es geschafft, den Anschein zu wecken, als würden wir demokratische Grundrechte an amerikanische Großkapitalisten verscherbeln. Und unser Wirtschaftsminister scheut nicht davor zurück, sich diese Stimmung zunutze zu machen.

Was Deutsche und Amerikaner über TTIP denken

Niemand wird bestreiten, dass bei den nunmehr drei Jahre andauernden Verhandlungen einiges schief gelaufen ist. Niemand wird auch bestreiten, dass es durchaus strittige Punkte gibt. Etwa die Schiedsgerichte, eine Art private Paralleljustiz, die bei Handelsverträgen zwischen entwickelten Rechtsstaaten schlichtweg überflüssig sind. Oder die Tatsache, dass sowohl Berlin als auch Brüssel es erst 15 Monate nach Beginn der (Geheim)-Verhandlungen für notwendig hielten, die Öffentlichkeit umfassend über das Projekt zu informieren.

TTIP war einmal ein Zeichen der Hoffnung in einer Zeit, in der Freihandel längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Zwischen Mitte 2014 und Ende 2015 haben allein die großen Länder der Welt rund 200 neue Handelsbarrieren errichtet. Im vergangenen Jahr ist der globale Handel mit 2,6 Prozent erstmals seit dem großen Einbruch der Weltwirtschaft 2009 deutlich langsamer gewachsen als die Weltwirtschaft.

Das sind Alarmzeichen – vor allem für eine Exportnation wie Deutschland. Jahrzehntelang verkaufte Deutschland Maschinen und Autos in alle Welt und erwarb im Gegenzug Kleidung und Computer günstig im Ausland. Das Land war der Beweis, dass die 200 Jahre alte Idee der komparativen Kostenvorteile tatsächlich funktionierte – also sowohl starke als auch schwache Länder vom Handel profitieren können.

All das setzt Gabriel jetzt offenbar leichtfertig aufs Spiel – aus welchen Motiven auch immer.



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