Türkei-Einfluss in Deutschland „Ein ernstzunehmendes Sicherheitsproblem“

Der Streit mit der Türkei gerät zum Wahlkampfthema. Merkel und ihr Herausforderer Schulz wollen einen Stopp der EU-Beitrittsgespräche. Die Grünen fordern, gegen Erdogans Einflussversuche in Deutschland vorzugehen.

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Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Erdogan in Köln (Archivbild): In Deutschland herrscht Angst vor türkischer Einflussnahme. Quelle: dpa

Berlin Die Reaktion aus der Türkei ließ nicht lange auf sich warten: Nur wenige Stunden, nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz im TV-Duell angekündigt hatten, dass sie die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beenden wollen, meldete sich der Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdogan, Ibrahim Kalin, zu Wort. „Wir hoffen, dass diese problematische Atmosphäre enden wird, die die türkisch-deutschen Beziehungen zum Opfer eines engen politischen Horizonts gemacht hat“, teilte er im Kurznachrichtendienst Twitter mit.

Merkel und Schulz hatten ihre Haltung insbesondere mit der antidemokratischen Entwicklung der Türkei begründet. Das Verhalten lasse keine andere Wahl, obwohl er sich lange für den EU-Beitritt ausgesprochen habe, hatte SPD-Chef Schulz beim TV-Duell mit Merkel am Sonntagabend gesagt. „Die Türkei entfernt sich in einem atemberaubenden Tempo von allen demokratischen Gepflogenheiten“, betonte Merkel. „Wir sind uns einig: keine Vorbeitrittshilfen. Und die Tatsache, dass die Türkei nicht Mitglied der EU werden soll, das ist auch klar“, fügte die Kanzlerin hinzu.

„Ansonsten werde ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen noch einmal reden, ob wir zu einer gemeinsamen Position kommen können und diese Beitrittsverhandlungen auch beenden können“, sagte Merkel mit Blick auf die Abstimmungen in der EU. Zuvor hatte sie gesagt, dass sie sich in einem Gespräch mit Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Freitag noch einig gewesen sei, die Beitrittsverhandlungen nicht abzubrechen.

Regierungssprecher Steffen Seibert relativierte denn auch, dass es vor der Bundestagswahl keine Entscheidung in dieser Frage geben werde. Schulz legte indes bei einer Wahlkampfveranstaltung in Bayern nach. „In der Türkei regiert ein Mann, der zu einem Gegenputsch ausgeholt hat“, sagte er. Zwar habe Erdogan alles Recht gehabt, sich gegen den Putschversuch des Militärs dort zu wehren. „Aber was jetzt ist der Türkei läuft, das ist eine Art Säuberungswelle.“ Zugleich bekräftigte Schulz, er werde sich als Kanzler für ein Ende der EU-Beitrittsgespräche mit dem Land einsetzen.

Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei sind seit mittlerweile seit mehr als einem Jahr extrem angespannt. In Reaktion auf die Ereignisse nach dem Putschversuch in der Türkei hatten die EU-Staaten bereits im vergangenen Dezember beschlossen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit dem Land bis auf weiteres nicht auszuweiten.

In Deutschland haben die Beziehungen zur Türkei einen besonderen Stellenwert. Drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben hierzulande, nicht wenige davon sind Anhänger Erdogans. Die Türkei ist zudem eines der beliebtesten Reiseziele der Deutschen. Nachdem mehrere Deutsche in Gewahrsam genommen wurden, mahnt das Auswärtige Amt inzwischen die Bürger zu erhöhter Vorsicht. Sorge bereiten der deutschen Politik auch die nachrichtendienstlichen Aktionen der Türkei in Deutschland.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck fordert von Außenminister Sigmar Gabriel und Justizminister Heiko Maas (beide SPD), bei den Aktivitäten der islamischen Verbände besser hinzuschauen. „Es kann nicht angehen, dass ausländische Staaten sich der Verbände bedienen, um sich Einfluss in Deutschland zu sichern und Regime-Kritiker unter Druck zu setzen“, sagte Beck dem Handelsblatt. „Das hindert nicht nur die große Mehrheit der Muslime an der freien Ausübung ihres Glaubens, sondern ist auch ein ernstzunehmendes Sicherheitsproblem.“


„Wir betrachten die Türkei auch als Gegner“

Das gelte aber nicht nur für die Türkei und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) oder den Iran. „Türkischen finanziellen Einfluss gibt es auch bei anderen Gruppierungen, und auch andere Staaten versuchen über Moscheen in Deutschland Einfluss zu nehmen“, warnte der Grünen-Politiker. Beck verlangt denn auch in einer dem Handelsblatt vorliegenden Kleinen Anfrage an die Bundesregierung Auskunft, inwiefern sie in der ausländischen Finanzierung und Steuerung islamischer Vereine in Deutschland ein Problem sieht.

Gabriel und Maas hatten zuletzt erklärt, türkische Vereine und Moscheen in Deutschland genauer kontrollieren lassen zu wollen. „Wir müssen aufpassen, dass die muslimischen Gemeinden in Deutschland nicht unter den Einfluss von Präsident Erdogan geraten“, mahnten die beiden SPD-Politiker in einem kürzlich veröffentlichten Gastbeitrag bei „Spiegel Online“. Man müsse genau prüfen, „ob und wie der türkische Staat in Deutschland Strukturen aufbaut, die das Ziel haben, die Gegner der türkischen Regierungspartei AKP auch in Deutschland zu verfolgen“.

AKP-nahe und nationalistische Organisationen hätten den Kurs mancher muslimischer Religionsgemeinschaften verändert, schrieben Gabriel und Maas. „Wir müssen genauer hinsehen, welche Werte, welche politischen Einstellungen in den vom türkischen Staat in Deutschland unterhaltenen Moscheen und Gemeinden vermittelt werden.“

Dass die Türkei auf deutschem Boden auch nachrichtendienstlich tätig ist, hat auch den Verfassungsschutz auf den Plan gerufen. „Wir betrachten die Türkei spätestens seit dem Putschversuch im vergangenen Sommer und den Veränderungen der türkischen Innenpolitik als Nachrichtendienst nicht nur als Partner, sondern mit Blick auf Einfluss-Operationen in Deutschland auch als Gegner“, sagte Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, jüngst bei einer Veranstaltung in Berlin.

Es gebe zahlreiche Einflussnahmen auf die türkischstämmige Gemeinschaft in Deutschland. „Das erfüllt uns mit Sorge“, sagte Maaßen. Türkische Nachrichtendienstler verhielten sich in Deutschland „teilweise statuswidrig“. Grünen-Parteichef Cem Özdemir kritisierte seinerzeit, dass die Bundesregierung dem türkischen Präsidenten Erdogan nicht schon viel früher entgegengetreten sei. „Dass der lange Arm Erdogans bis in deutsche Moscheen und türkische Vereine reicht, ist leider nichts Neues“, sagte Özdemir. „Dass nun aber der oberste Verfassungsschützer davor warnen muss, zeigt, wie ernst die Lage ist – und wie lange die Bundesregierung geschlafen hat.“

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