Türkei-Reise Merkel findet für Ankara lobende Worte

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Merkel räumt Fehler im Fall Böhmermann ein

Merkel will mit dem Besuch das Signal aussenden, dass nicht nur die Abschiebungen von den griechischen Inseln in die Türkei begonnen haben – sondern dass jetzt auch die europäische Hilfe für die Flüchtlinge in der Türkei anläuft, für die die EU zunächst drei Milliarden Euro stellt. Also: Der EU-Türkei-Pakt funktioniert. Damit die Blitzvisite auch einen europäischen Anstrich erhält, kommt Merkel gemeinsam mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans. Bisher habe die EU Projekte für Flüchtlinge in der Türkei im Umfang von 187 Millionen Euro gestartet, sagte der türkische Ministerpräsident Davutoglu.
Türkei verbitte sich Kritik an Pressefreiheit

Mit Tusk war Merkel nicht immer einig in der Frage, wie die Flüchtlingskrise bewältigt werden soll. Aber grundsätzlich schätzt sie ihn und nutzt in der Türkei nun den kurzen Draht, um mit ihm, Timmermanns und Davutoglu quasi nebenbei über ungelöste Fragen zu sprechen. Dazu gehören etwa der Nato-Einsatz in der Ägäis, die Umsetzung der Vorgaben für die Türkei, um die in Aussicht gestellte Visumfreiheit zu bekommen, und Schutzzusagen für nichtsyrische Flüchtlinge – zunächst erst einmal Afghanen und Iraker.

Davutoglu nahm Merkel in Gaziantep am Samstag persönlich in Empfang. Auf dem nur fünfstündigen Programm stand der Besuch eines Flüchtlingscamps, die Eröffnung eines aus dem neuen EU-Topf finanzierten Zentrums zur Unterstützung von Flüchtlingskindern, Beratungen der vier Politiker und ihre gemeinsame Pressekonferenz. Dazwischen müssen etliche Kilometer per Bus zurückgelegt werden. Bereits am Abend rauschte Merkel wieder ab. Am Sonntag empfängt sie US-Präsident Barack Obama in Hannover.

Reaktionen auf den Entscheid der Regierung im Fall Böhmermann

Die Flüchtlingspolitik gehört jedoch zu den wenigen Bereichen, für die die Türkei international noch Anerkennung erfährt. Besonders große Sorge bereitet in der EU der Umgang Ankaras mit der Meinungsfreiheit, der in Deutschland zuletzt geradezu eine Affäre auslöste. Der Satiriker Jan Böhmermann las im Fernsehen ein vulgäres Gedicht über Erdogan vor. Nun verklagt der Präsident den Mann.

Merkel bekennt sich unmittelbar vor ihrem Abflug in die Türkei im Fall Böhmermann zu einem Fehler. Das ist aus ihrer Sicht nicht ihre – in diesem Fall eines ausländischen Präsidenten nötige – Ermächtigung der Justiz zu Ermittlungen. Sondern, dass sie Böhmermanns Zeilen früh und ohne Not als „bewusst verletzend“ eingestuft hat. Damit sei der Eindruck entstanden, sie verteidige nicht mehr so entschieden wie früher die Meinungs- und Pressefreiheit. „Und dass so eine Situation entstehen kann, wo gedacht wird, das würde jetzt aufgegeben, weil wir gerade mal mit der Türkei ein Abkommen gemacht haben, das ist fehlerhaft gewesen.“

Das hat es in ihrer bald elfjährigen Kanzlerschaft selten gegeben. Es dürfte kein Zufall sein, dass sie just vor ihrem Türkei-Besuch diese Wende vollzieht. Eine Kanzlerin, die wegen der Flüchtlingskrise unter Druck steht, deren Umfragewerte sinken und der wegen eines Paktes mit der Türkei der Vorwurf der Erpressbarkeit gemacht wird, stellt sich vor die Kameras und gibt einen Fehler zu. Noch so ein Signal. Und wohl auch ein Zeichen der Stärke. Und eine Botschaft an die Türkei: Merkel geht ihren eigenen Weg.

Die Türkei jedoch verbitte sich jede Kritik an ihrem Umgang mit Journalisten. Ministerpräsident Davutoglu hat Mahnungen der EU zur Einhaltung der Pressefreiheit zurückgewiesen und neue Vorwürfe im Fall Böhmermann erhoben. Er habe mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Ratspräsident Donald Tusk am Samstag über diese Themen geredet. „Wir können nicht akzeptieren, dass wir von oben und außen beurteilt werden“, sagte er in einer gemeinsamen Pressekonferenz in der türkischen Stadt Gaziantep. Ohne den Satiriker Jan Böhmermann beim Namen zu nennen, kritisierte er den Beitrag über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. „Pressefreiheit kann es nur zusammen mit der Menschenwürde geben“, sagte er. Dies sei bei einem sogenannten „Schmähgedicht“ aber nicht gewahrt.

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