TV-Berichterstattung zur Saarland-Wahl „Schulz-Zug“, Fußball-Floskeln und abgebrühte Generalsekretäre

In der TV-Berichterstattung zur Saarland-Wahl hatte sich viel SPD-Prominenz frühzeitig vor den Kameras versammelt. Den flottesten Spruch äußerte Peter Altmaier. Neu in der Arena: selbsternannte Populisten.

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In der TV-Berichterstattung zur Saarland-Wahl wurde gerade auch der Schulz-Effekt viel diskutiert.

Berlin Unmittelbar, bevor um 18 Uhr die ersten Prognosen veröffentlicht wurden, scharrten schon eine Menge ARD- und ZDF-Reporter mit den Hufen und vertrieben die Zeit mit Vorabberichten von den bevorstehenden Wahlpartys. „Champagner und Sprudel stehen bereit“, hieß es etwa bei den Grünen. Lebensfreude zu demonstrieren, verstehen die Saarländer eben.

Kaum dass Jörg Schönenborn in der ARD den „gigantischen Erfolg“ der CDU verkündet hatte, war klar, dass Grund zum Feiern eigentlich nur eine Partei hatte. Das Stichwort der folgenden Stunde brachte Schönenborn aufs Tapet: „Schulz-Effekt“ lautete es. Zum „Schulz-Zug“ oder „Schulz-Hype“, wie Katja Kipping von der Linken lieber formulierte, mussten sich alle äußern, die durch die Wahlstudios der Sender in Saarbrücken und Berlin tingelten.

Frühzeitig stand vor allem SPD-Prominenz an Mikrofonen parat – offenkundig in der Erwartung, einen Erfolg kommentieren zu können. Beim ZDF war Talkshow-Haudegen Ralf Stegner zugeschaltet, der notgedrungen zum Erfolg erklärte, dass es weiterhin „ohne die SPD keine Regierung“ geben wird.

Aus dem Amtsbonus, der an der Saar gewirkt habe, zog er Hoffnungen für den Wahlkampf in seinem Heimat-Bundesland Schleswig-Holstein. Dort wird im Mai gewählt. Stegners „Wir haben schon auch aufgeholt in den letzten Monaten“ setzte sich dann als SPD-Linie durch: Da zum Zeitpunkt von Schulz' Antritt die Partei im Saarland noch niedrigere Umfragewerte verzeichnet hatte, habe der Schulz-Effekt schon auch gewirkt.

Zur selben Zeit vermutete der Bundesjustizminister und saarländische SPD-Politiker Heiko Maas vor ARD-Kameras auf Nachfrage, dass Martin Schulz „gut drauf“ sei, obwohl er zwar am Nachmittag, aber in den circa sieben Minuten seit Prognose-Bekanntgabe noch nicht mit ihm telefoniert hatte.

Gut drauf zeigte sich zunächst der AfD-Landesvorsitzende Josef Dörr, der die gestiegene Wahlbeteiligung als „Wirkung der AfD“ reklamierte und mit der Ansicht überraschte, dass es für eine Oppositionspartei, die ohnehin nicht in Koalitionen eingebunden werde und werden wolle, nicht so wichtig sei, ob sie nun sechs oder zehn Prozent der Stimmen bekam – unmittelbar, bevor im ZDF der umstrittene Spitzenkandidat Rolf Müller noch Hoffnungen äußerte, dass die AfD-Werte noch steigen würden. Schließlich würden AfD-Wähler Wahlforschern auf Fragen, wen sie denn gewählt haben, zurückhaltend reagieren.

Dass AfD-Vertreter es weiterhin verstehen, zu überraschen, zeigt dann auch Vizechef Alexander Gauland im Interview mit Thomas Baumann aus dem ARD-Hauptstadtstudio. „Wir als populistische Partei“, hob er an, um dann erklären zu wollen, wie schwierig die Konkurrenzsituation im Saarland mit Oskar Lafontaine als Spitzenkandidat der ebenfalls populistischen Linken gewesen sei. Diese Formulierung nahm CDU-Generalsekretär Peter Tauber gerne auf, als er in seiner Ansprache in der Parteizentrale von den besiegten „Populisten von links und von rechts“ sprach.

18.39 Uhr war es dann, als, zuerst bei Phoenix, Martin Schulz persönlich vor die Kameras trat. Er habe gehofft, „dass wir gleichauf“ oder „vielleicht sogar vorne“ liegen würden, bekundete er, ohne sich vom schließlich deutlichen Rückstand lange verdrießen zu lassen. Das Ergebnis habe „positive und negative Seiten“. Schulz gab als neue Lösung aus, die er - wie alle seine Losungen im Lauf des Abends - gerne wiederholte (und kurz darauf im ZDF gleich zur Fußball-Floskel „Spiele dauern 90 Minuten“ variierte): Die Bundestagswahl zu gewinnen, sei „ein Langstreckenlauf und kein Sprint“.

Bei Phoenix war Schulz' Auftritt im Berliner Willy-Brandt-Haus früher und auch länger zu sehen gewesen als in der ARD. Dort wurde er ausgeblendet, als Kanzleramtsminister Peter Altmaier vor den Kameras erschien. Mit „je länger wir regieren, desto besser ist es für Deutschland insgesamt“ gestattete sich das von der Saar stammende Schwergewicht den flottesten Spruch des Wahlabends. Je mehr Minuten seit Wahlergebnis-Bekanntgabe vergangen sind, desto größer werden jedenfalls die Worte.


Spannender Langstreckenlauf

In seine „heute“-Sendung um 19 Uhr hat das ZDF die „Runde der Spitzenkandidaten“ integriert, bei der bloß Oskar Lafontaine fehlte, der sich erst eine halbe Stunde später ins Getümmel stürzte. Der Schulz-Effekt habe ihr „ein Stück weit“ geholfen, sagte SPD-Spitzenkandidatin Sabine Rehlinger. Offensichtlich hatte sie sich mehr Zug von Schulz erhofft. AfD-Mann Müller fand inzwischen auch das einstellige Ergebnis von um die sechs Prozent einen „sehr schönen Erfolg“. Wahlsiegerin Annegret Kramp-Karrenbauer demonstrierte beinharte Bescheidenheit, aber auch, dass es ihr leichter als anderen fällt, ihren achtsilbigen Namen fehlerfrei auszusprechen. Klug genug, um sich auch auf Nachfrage nicht selbst als künftige Bundeskanzler-Kandidatin zu positionieren, zeigte sie sich ebenfalls.

Nach der „Lindenstraße“ hatte ARD-Statistikfuchs Schönenborn zwar anhand von Kurven-Grafiken zu belegen versucht, dass der „Schulz-Effekt“ im Saarland gar nicht gegriffen, Martin Schulz selbst aber auch seinen Zug wiedergefunden habe. Im nächsten Kurzinterview nannte er es „nach wie vor sehr realistisch“, dass die SPD bei der Bundestagswahl stärkste Partei werde. Interessierte Koalitionspartner dürften sich gerne schon melden.

Zu ihrer „Berliner Runde“ versammelte die ARD dann traditionsgemäß die Generalsekretäre der Bundestagsparteien. CDU-Mann Tauber demonstrierte sein Geschick im Aufnehmen von Formulierungen anderer, indem er die Bundestagswahl mit einem „Marathonlauf“ verglich. „Den Schulz-Effekt muss die SPD schon selber bringen“, sagte Linken-Geschäftsführer Matthias Höhn.

Schärfe gelangte in die eher zahme Runde vor allem dadurch, dass die abgebrühten Generalsekretäre immer mal wieder so lange gleichzeitig redeten, bis endlich einer ein Einsehen hatte. Der Grüne Michael Kellner nutzte die dem Parteienproporz geschuldete Anwesenheit des Vertreters der zwar nicht im Saarland, aber im Bundestag vertretenen CSU, Andreas Scheuer („Der Schulz-Zug ist aus den Schienen gesprungen“), um mal wieder einen Maut-Streit zu entfesseln.

Fazit: Die Haudegen der Parteien haben gewaltige Routine darin entwickelt, nach kurzer Bedenkzeit so gut wie alles als eigenen Erfolg zu reklamieren. Nur die Grünen ließen ihre Champagnerkorken doch nicht knallen. Die weiteren Land- und Bundestagswahlkämpfe dieses Jahres werden ein durchaus spannender Langstreckenlauf bleiben – an dessen Streckenrand aber nicht unbedingt an jedem Kilometer mehrere Fernsehkameras aufgestellt werden müssen.

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