Was war für Merkel und Schulz der stärkste Moment?
Merkel: Es dauert fast bis zum Ende, aber dann lässt Angela Merkel kurz so etwas wie Duell-Killerinstinkt aufblitzen. Sie schließt unmissverständlich eine Koalition mit AfD und Linkspartei aus - und fordert Martin Schulz direkt auf, ebenfalls für Klarheit zu sorgen. Der läuft in die Falle und antwortet schwammig. Die von Merkel gewünschte Botschaft liefert er damit selbst über den Schirm: Weder Rot-Rot-Grün noch erneute eine Juniorpartnerschaft in einer großen Koalition sind vom Tisch.
Schulz: Was die Flüchtlinge nach Deutschland brächten, sei "wertvoller als Gold". Als Martin Schulz mit seinem eigenen Zitat konfrontiert wird, zeigt er sich nicht ertappt, sondern wohlpräpariert. Er kennt seinen Satz in voller Länge - und macht daraus ein stimmiges Plädoyer für Europa und dessen Werte.
Was war für Merkel und Schulz der schwächste Moment?
Merkel: Als die Kanzlerin ihre Entscheidung aus dem Sommer 2015 erklären will, die Grenze für Flüchtlinge zu öffnen. Obwohl der Schulz-Vorwurf, sie habe die Europäer nicht genügend eingebunden, schon älter ist, formuliert sie hölzern, unfokussiert, unsicher.
Schulz: Angela Merkels Politikstil des Ausweichens und Wegmoderierens sei ein „Anschlag auf die Demokratie“. So hat es der Herausforderer auf dem Dortmunder SPD-Parteitag gesagt. Aug in Aug will der Mann, der so viel auf seinen Klartext hält, das dann aber lieber nicht wiederholen. Und dies, obwohl doch genau das Attackieren von Merkels konturlosem Stil Schulz selbst zu mehr Profil verhelfen sollte. Ein eigenartiges Manöver.
Welche Aussage war jeweils am überraschendsten?
Am überraschendsten war der Vorstoß von Schulz zur Türkei. „Wenn ich Kanzler bin, werde ich die EU-Beitrittsverhandlungen abbrechen“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. Damit entfernte sich Schulz von der bisherigen SPD-Position und dem SPD-Wahlprogramm. Es war einer der wenigen Augenblicke, bei dem Schulz und Merkel um eine Haltung und das besten Argument rangen. Denn Merkel, die nie für den EU-Beitritt der Türkei war, verteidigte zunächst, dass sie die Verhandlungen nicht sofort abbrechen will.
Unter dem Druck des Moments gestand sie schließlich zu, gegenüber den anderen europäischen Staats- und Regierungschefs für einen Abbruch der Verhandlungen werben zu wollen. Sollten sich beide nach der Wahl an ihr Wort gebunden fühlen, müsste es zu einer weitgehenden Neuordnung des europäisch-türkischen Verhältnisses kommen – samt diplomatischer Eiszeit.
Merkel hat sich gegen die Rente ab 70 ausgesprochen. Ist das jetzt die Regierungslinie für die nächsten vier Jahre?
Ganz so eindeutig war die Festlegung nicht. Die Kanzlerin hat betont, dass Programme und Beschlüsse der Partei gelten, nicht Einzelmeinungen. Doch die Union hat sich beim Thema Rente nur für die Zeit bis zum Jahr 2030 festgelegt, nicht für die Jahre danach. Dennoch eine „Rente ab 70“ bis auf weiteres sehr unwahrscheinlich, schon deshalb, weil kein potenzieller Koalitionspartner der Union sie will. SPD und Grüne lehnen eine generelle Verlängerung der Lebensarbeitszeit strikt ab. Und die Liberalen wollen den Rentenbeginn nicht für alle Ruheständler einheitlich verändern, sondern den Übergang in den Ruhestand flexibler gestalten. Auch in der CSU gibt es große Vorbehalte gegen das längere Arbeiten. Der wirtschaftsnahe Teil der CDU müsste die Verlängerung der Lebensarbeitszeit also gegen viel Widerstand durchsetzen.
Viele Themen kamen in der Debatte zu kurz
Wie intensiv haben Merkel und Schulz über Wirtschaftspolitik geredet?
Wirtschaftspolitische Fragen spielte nur eine untergeordnete Rolle. Die vier Moderatoren stellten beinahe eine Stunde lang Fragen zur Flüchtlingslage und wie Einwanderung künftig organisiert werden soll. Die Rente mit 70 (siehe Frage zuvor) war ein Thema, ebenso der Dieselskandal. Schulz übte sich in Managerschelte, Merkel behauptete, deutsche Verbraucher würden entschädigt werden. Das stimmt zwar nicht, blieb aber unwidersprochen. Schulz ließ noch wissen, dass er die PKW-Maut stoppen will – so weit so bekannt. Große wirtschaftspolitische Differenzen zwischen Schulz und Merkel waren nicht zu erkennen. Wie viele anderen Themen auch spielte die Steuer- und Finanzpolitik beispielsweise keine Rolle in der Debatte.
Wie sind die ersten öffentlichen Einschätzungen?
Duett statt Duell, Einigkeit statt Streit, Wohlgefallen statt rhetorischer Haken: so nahmen viele Beobachter das TV Duell wahr. Thomas Gottschalk brachte dieses Gefühl bei Anne Will auf den Punkt: „Die haben ja immer beide mit dem Kopf genickt, wenn der andere geredet hat“, sagte der Moderator. Außerdem vermissten viele Zuschauer Zukunftsthemen, etwa Bildung, Digitalisierung oder Infrastruktur.
Herausforderer Martin Schulz leistete sich keinen größeren Fehler, verpasste es aber auch, den angestrebten Stimmungswechsel auszulösen. Zu brav, zu wenig überraschend, zu emotional fanden viele Beobachten seinen Auftritt. Merkel tat das, was sie am besten kann: Fachkompetenz demonstrieren, Ruhe bewahren, „Maß und Mitte“ besetzen.
In den sozialen Netzwerken sorgte vor allem Schulz‘ verworrenes Zitat („Jenseits von richtig und falsch liegt einen Ort. Dort treffen wir uns“) für Aufsehen. Außerdem kritisierten viele Twitter-Nutzer das Auftreten von Moderator Claus Strunz, der immer wieder mit populistischen Nachfragen auffiel.
Nach den Ergebnissen einer ARD-Umfrage hat das TV Duell Angela Merkel gewonnen. 55 Prozent der Zuschauer fanden die Kanzlerin überzeugender als Martin Schulz, den nur 35 Prozent vorn sahen. Bei einer ZDF-Umfrage fiel Merkels Vorsprung knapper aus. Nach den Ergebnissen dieser Umfrage hat sich Merkel für 32 Prozent der Zuschauer besser geschlagen während 29 Prozent den SPD-Chef besser fanden.
SPD-Justizminister Heiko Maas versuchte es nach dem Duell trotzdem mit Optimismus: „Martin Schulz und der gesamten SPD wird das Duell Rückenwind geben“, sagte Maas. Unionsfraktionschef Volker Kauder sah das erwartungsgemäß anders. Martin Schulz könne Angela Merkel in dieser schwierigen Weltlage nicht das Wasser reichen, sagte er.
Wie geht es weiter im Wahlkampf?
Ein weiteres TV-Duell ist nicht vorgesehen, das wollte vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht. Von nun an touren die beiden Kandidaten getrennt, sie werden auch separate diverse TV-Formate absolvieren. Am Montag folgt ein Gipfel der kleineren Parteien im Fernsehen - während für die Kanzlerin schon wieder Regierungsalltag ansteht. Merkel empfängt die Vertreter der Kommunen zu einem Gipfeltreffen, es soll um die Luftreinheit in deutschen Städten gehen, der Dieselskandal lässt grüßen.