TV-Duell 90-Minuten-Debatte ohne Zukunft

Merkel lehnt die Rente mit 70 ab. Gilt das also für die nächsten vier Jahre? Was war der überraschendste Moment im TV-Duell? Und warum sprach eigentlich niemand über Wirtschafts- und Finanzpolitik?

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TV-Duell zwischen Merkel und Schulz. Quelle: dpa Picture-Alliance

Was war für Merkel und Schulz der stärkste Moment? 

Merkel: Es dauert fast bis zum Ende, aber dann lässt Angela Merkel kurz so etwas wie Duell-Killerinstinkt aufblitzen. Sie schließt unmissverständlich eine Koalition mit AfD und Linkspartei aus - und fordert Martin Schulz direkt auf, ebenfalls für Klarheit zu sorgen. Der läuft in die Falle und antwortet schwammig. Die von Merkel gewünschte Botschaft liefert er damit selbst über den Schirm: Weder Rot-Rot-Grün noch erneute eine Juniorpartnerschaft in einer großen Koalition sind vom Tisch.

Schulz: Was die Flüchtlinge nach Deutschland brächten, sei "wertvoller als Gold". Als Martin Schulz mit seinem eigenen Zitat konfrontiert wird, zeigt er sich nicht ertappt, sondern wohlpräpariert. Er kennt seinen Satz in voller Länge - und macht daraus ein stimmiges Plädoyer für Europa und dessen Werte.

Was war für Merkel und Schulz der schwächste Moment?

Merkel: Als die Kanzlerin ihre Entscheidung aus dem Sommer 2015 erklären will, die Grenze für Flüchtlinge zu öffnen. Obwohl der Schulz-Vorwurf, sie habe die Europäer nicht genügend eingebunden, schon älter ist, formuliert sie hölzern, unfokussiert, unsicher.

Schulz: Angela Merkels Politikstil des Ausweichens und Wegmoderierens sei ein „Anschlag auf die Demokratie“. So hat es der Herausforderer auf dem Dortmunder SPD-Parteitag gesagt. Aug in Aug will der Mann, der so viel auf seinen Klartext hält, das dann aber lieber nicht wiederholen. Und dies, obwohl doch genau das Attackieren von Merkels konturlosem Stil Schulz selbst zu mehr Profil verhelfen sollte. Ein eigenartiges Manöver.

 

Welche Aussage war jeweils am überraschendsten?

Am überraschendsten war der Vorstoß von Schulz zur Türkei. „Wenn ich Kanzler bin, werde ich die EU-Beitrittsverhandlungen abbrechen“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. Damit entfernte sich Schulz von der bisherigen SPD-Position und dem SPD-Wahlprogramm. Es war einer der wenigen Augenblicke, bei dem Schulz und Merkel um eine Haltung und das besten Argument rangen. Denn Merkel, die nie für den EU-Beitritt der Türkei war, verteidigte zunächst, dass sie die Verhandlungen nicht sofort abbrechen will.

Rechtspopulisten sind die wahren Gewinner
Unionfraktionschef Volker Kauder"Die Wahl wird nicht in einem TV-Duell entschieden." CDU und CSU gingen nun mit großer Zuversicht in den Schlussspurt des Wahlkampfs, sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er bezeichnet das Fernseh-Duell als fair. „Demokraten müssen streiten, sie dürfen sich aber nicht herabwürdigen. (...) Das TV-Duell war insofern durchaus vorbildlich.“ Kauder selbst sagte aber, es sei deutlich geworden, „dass Herr Schulz Angela Merkel in dieser schwierigen Weltlage nicht das Wasser reichen kann“. Quelle: dpa
Bundesjustizminister Heiko MaasDer Auftritt von Schulz habe der SPD Mut gemacht. „Martin Schulz und der gesamten SPD wird das Duell Rückenwind geben.“ Schulz sei überzeugend, souverän und leidenschaftlich gewesen, erklärte der SPD-Politiker. Ein schlichtes „Weiter so“ der Kanzlerin reiche nicht. Quelle: REUTERS
Linken-Parteichef Dietmar BartschEr sah das TV-Duell zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Herausforderer Martin Schulz als „großkoalitionäres Therapiegespräch“. „Martin Schulz hat sich nicht von der Union abgesetzt“, sagte Bartsch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Der Linksfraktionschef warf Schulz vor, nach der Bundestagswahl eine Fortsetzung von Schwarz-Rot als Juniorpartner mittragen zu wollen. „Ich habe immer wieder zum Volleyballspiel Deutschland gegen Russland geschaltet, das war auf jeden Fall deutlich spannender“, sagte Bartsch. Im Duell seien lediglich „großkoalitionäre Scheingefechte“ zu sehen gewesen. Bartsch warf Schulz vor, sich nur für einen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgesprochen zu haben, weil dies populär sei. Über Alters- und Kinderarmut in Deutschland sei gar nicht gesprochen worden. Für ihn ändere sich für die letzte Phase des Wahlkampfs durch das Duell nichts, sagte Bartsch. Das Motto laute: „Stimmenmaximierung - denn soziale Gerechtigkeit hat eine Adresse: die Linke.“ Quelle: dpa
FDP-Bundesvorsitzender Christian LindnerFDP-Chef Christian Lindner hat sich enttäuscht über das TV-Duell am Sonntagabend zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Herausforderer Martin Schulz gezeigt. „Das Duell erinnerte an Szenen einer alten Ehe, in der es mal knirscht, aber beide Seiten wissen, dass man auch künftig miteinander muss“, sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur. „Das war mehr Vergangenheitsbewältigung als eine Debatte über die Zukunft unseres Landes.“ Kein Wort über die großen Herausforderungen unseres Landes wie Bildung, Digitalisierung, Euro und Innovation. Lindner fügte hinzu: „Jeder weiß, dass Frau Merkel Kanzlerin bleibt, das Rennen um die Plätze 1 und 2 ist gelaufen. Das Rennen um Platz 3 gewinnt dadurch weiter an Bedeutung.“ Denn die drittstärkste Kraft werde entweder ein besonderes Gewicht bei Koalitionsgesprächen haben. Oder die dritte Kraft werde der Oppositionsführer gegen die nächste große Koalition sein. „Das Duell hat nochmals gezeigt, dass eine Opposition mit mehr Esprit und Dynamik dringend nötig ist“, argumentierte der FDP-Chef. Quelle: dpa
Spitzenkandidatin Katrin Göring-EckardtNach dem TV-Duell haben die Grünen SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz einen Mangel an Ideen für die Zukunft vorgeworfen. „Dass von (Kanzlerin Angela) Merkel keine Dynamik für Veränderung kommt, war zu erwarten, aber auch von Martin Schulz kamen keine Impulse für einen echten sozialen und ökologischen Wandel in diesen dramatischen Zeiten“, sagte Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt der Deutschen Presse-Agentur. „Umweltschutz und andere Zukunftsfragen, wie Digitalisierung und Bildung, werden trotz aller Aktualität einfach ignoriert.“ Merkel und ihr Herausforderer Schulz hätten sich am Sonntagabend kein Duell geliefert, sondern ein Duett. Quelle: ZB
Linken-Chefin Katja KippingVom TV-Duell der Kanzlerkandidaten von CDU und SPD profitieren aus Sicht der Linken-Vorsitzenden Katja Kipping vor allem rechte Parteien. „Die wirklichen Gewinner waren die Rechtspopulisten und die Kapitalseite“, sagte Kipping am Montag im ARD-„Morgenmagazin“. „Themen, von denen ich weiß, aus dem direkten Gespräch mit Menschen, die wirklich die Leute umtreiben, sind so gut wie gar nicht vorgekommen.“ Dazu gehöre etwa der Personalmangel sowie der Stress in der Pflege. Über Flüchtlinge sei zudem immer nur als Problem gesprochen worden. „Und auch wichtige Zukunftsthemen wie Bildung oder Klimaschutz kamen nicht vor und das ist wirklich enttäuschend“, kritisierte Kipping. Quelle: dpa
SPD-Kanzlerkandidat Martin SchulzMartin Schulz wünscht sich nach dem TV-Duell mit Angela Merkel (CDU) ein weiteres Aufeinandertreffen mit der Kanzlerin im Fernsehen. „Ein zweites Duell wäre sicher sinnvoll gewesen“, sagt Schulz nach der etwa anderthalbstündigen Debatte am Sonntagabend. „Ich bin auch gerne bereit für ein solches zweites Duell.“ Schulz bedauerte, dass verschiedene Themen zu kurz gekommen seien. „Wir haben ganz wenig über die Digitalisierung diskutiert und Zukunftsfragen“, sagte Schulz. „Insgesamt hab ich den Eindruck, dass es ein faires Duell war.“  Quelle: dpa

Unter dem Druck des Moments gestand sie schließlich zu, gegenüber den anderen europäischen Staats- und Regierungschefs für einen Abbruch der Verhandlungen werben zu wollen. Sollten sich beide nach der Wahl an ihr Wort gebunden fühlen, müsste es zu einer weitgehenden Neuordnung des europäisch-türkischen Verhältnisses kommen – samt diplomatischer Eiszeit.

Merkel hat sich gegen die Rente ab 70 ausgesprochen. Ist das jetzt die Regierungslinie für die nächsten vier Jahre?

Ganz so eindeutig war die Festlegung nicht. Die Kanzlerin hat betont, dass Programme und Beschlüsse der Partei gelten, nicht Einzelmeinungen. Doch die Union hat sich beim Thema Rente nur für die Zeit bis zum Jahr 2030 festgelegt, nicht für die Jahre danach. Dennoch eine „Rente ab 70“ bis auf weiteres sehr unwahrscheinlich, schon deshalb, weil kein potenzieller Koalitionspartner der Union sie will. SPD und Grüne lehnen eine generelle Verlängerung der Lebensarbeitszeit strikt ab. Und die Liberalen wollen den Rentenbeginn nicht für alle Ruheständler einheitlich verändern, sondern den Übergang in den Ruhestand flexibler gestalten. Auch in der CSU gibt es große Vorbehalte gegen das längere Arbeiten. Der wirtschaftsnahe Teil der CDU müsste die Verlängerung der Lebensarbeitszeit also gegen viel Widerstand durchsetzen.

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