Ob links oder rechts – beide Seiten instrumentalisieren die Übergriffe von Köln und werfen sich das gegenseitig vor. Wie kommen wir da wieder raus?
Politikern verzeihe ich alles. Bei denen geht es um Macht und Positionierung. Nur die Journalisten dürfen sich weder für die eine, noch die andere Seite einspannen lassen.
Aber muss ein Politiker in einem solchen Fall die eigene Ideologie nicht hinten anstellen?
Es wäre doch merkwürdig, wenn die CSU, die gegen Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin ist, das nicht als Beleg für die eigene Position nehmen würde. Und umgekehrt können Sozialdemokraten und Grüne nur die Standardformel bedienen, dass man Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen darf. Beide Propagandaformeln sind legitim. Journalisten dürfen sie nur nicht unkritisch übernehmen.
Hintergründe zu den Übergriffen in Köln
Bisher erstaunlich wenig. Zeugen und Opfer berichten - laut Polizei übereinstimmend - von Männern, die „dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum“ stammen. So hat es der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers auf der Pressekonferenz am Montag formuliert. Demnach soll eine Gruppe von 1000 Männern auf dem Domplatz gewesen sein, die meisten von ihnen zwischen 15 und 35. In kleineren Gruppen sollen sie Frauen umzingelt, sexuell belästigt und ausgeraubt haben, in einem Fall auch vergewaltigt. 90 Anzeigen gibt es bis Dienstagmittag. „Wir haben noch keine konkreten Täterhinweise“, sagt Heidemarie Wiehler von der Direktion Kriminalität.
Von den sexuellen Übergriffen und Diebstählen erfuhr die Polizei Wurm zufolge größtenteils im Laufe der Silvesternacht durch die wachsende Zahl von Anzeigen. Die Taten selbst hätten die anwesenden Polizeibeamten nicht beobachtet, weil diese sich in einer riesigen und unübersichtlichen Menschenmenge abgespielt hätten. Festnahmen habe es keine gegeben, weil Zeugen und Opfer die Täter im Getümmel nicht wiedererkannt hätten.
Die Bundespolizei, die für den Bahnhof zuständig ist, war nach Angaben von Wolfgang Wurm, Präsident der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin, mit 70 Kräften vor Ort. Die Kölner Polizei hatte im Bereich Hauptbahnhof und Dom rund 140 Beamte im Einsatz. Einige davon wurden aus anderen Teilen der Innenstadt zum Bahnhof geschickt, als dort die Lage eskalierte. „Für den Einsatz, den wir voraussehen konnten, waren wir sehr gut aufgestellt“, sagt Wurm. Wie sich der Einsatz dann tatsächlich entwickelt habe, sei eine „völlig neue Erfahrung“ und „für uns nicht absehbar“ gewesen: „Dafür hätten wir sicherlich ein wenig mehr Kräfte benötigt.“
Viele Menschen melden sich zu Wort, die der Polizei vorwerfen, mit der Situation überfordert gewesen zu sein und die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet kritisiert auf Twitter: „Erneut unglaubliche Fehleinschätzung der Kölner Polizei.“ Dabei bezieht er sich auf die Einsatzbilanz am Neujahrsmorgen, in der von „ausgelassener Stimmung“, „weitgehend friedlichen Feiern“ und einer „entspannten Einsatzlage“ die Rede war.
Polizeipräsident Albers räumte bei der Pressekonferenz am Dienstag Fehler ein: „Diese erste Auskunft war falsch.“ Sven Lehmann, Vorsitzender der NRW-Grünen, fordert: „Aufgeklärt werden muss auch, warum die Polizei in Köln erneut von einer aggressiv auftretenden Menschenmenge derart überrascht wurde.“ Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer fragt in der Zeitschrift „Emma“: „Wie ist es erklärbar, dass Hunderte von Frauen unter den Augen eines so massiven Polizeiaufgebotes sexuell belästigt werden?“
Augenzeugen und Opfer berichten in mehreren Medien von ihren Erlebnissen. „Ich hatte das Gefühl, die Polizei und die Sicherheitsleute der Bahn waren nicht nur überfordert, sondern hatten auch Angst, die Lage könnte eskalieren.“ (zitiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Frau aus Overath, die mit ihrer Freundin in der Umgebung des Doms gleich mehrfach von vier bis sechs jungen Männern umkreist worden sein soll).
„Die Stimmung war aggressiv. Plötzlich wurde ich von hinten - ohne dass mein Freund es sah - von mehreren Männern angegrapscht. Ich kann sagen, dass es mehrere waren, da zeitgleich Hände an meinen Brüsten und an meinem Po waren.“(Berichtet eine 40-Jährige dem WDR, die in der Silvesternacht mit ihrem Freund auf dem Weg nach Troisdorf gewesen sein soll)
Vor allem im Hinblick auf den bevorstehenden Karneval kündigt die Polizei an, die Einsatzkräfte bei Großveranstaltungen weiter aufzustocken, auch mit Zivilbeamten. Polizeipräsident Albers zufolge soll auch geprüft werden, ob bestimmte Bereiche stärker mit Videokameras überwacht werden. Über weitere Maßnahmen wollen Polizei und Stadt gemeinsam nachdenken.
Falls unter den Tätern Flüchtlinge waren – welche Konsequenzen müsste die Politik ziehen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie überhaupt Konsequenzen zieht. Es steht zu viel auf dem Spiel. Eine Veränderung der bisherigen Politik könnte nur ein Ende der Willkommenskultur bedeuten. Daran hängt aber die Identität von Angela Merkel und der gesamten Regierung. Die bisherige Flüchtlingspolitik wird also nicht in Frage gestellt, selbst wenn es Flüchtlinge gewesen sein sollten.
Manche sagen, dass nur die AfD von dieser Debatte profitieren könnte.
Ja, vermutlich werden die Gegner der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik Auftrieb bekommen. Eine der ersten Reaktionen der etablierten Parteien war ja, es sei schlimm, dass die AfD von dem Vorfall in Köln profitiert. Wenn das der erste Reflex ist, können wir von der Politik wenig Wahrheit darüber erhoffen, was wirklich in der Silvesternacht geschehen ist. Deswegen müssen das die Journalisten machen. Und zwar mit der Prämisse, dass sich die Bürger ein eigenes Urteil bilden können.
Den Deutschen wird nachgesagt, sie liebten den Konsens. Schadet das in einer solchen Debatte?
Konsens ist nicht per se schlecht, wenn er bedeutet, dass wir uns beim Streiten nicht die Köpfe einschlagen. Wenn es aber eine politische Mehrheitsmeinung gibt, die von der politischen Klasse gebildet und von Journalisten unterstützt wird, wäre das keine Demokratie mehr. Dann leben wir in einem Staat, der die Bürger bevormundet. Leider gehen wir in den letzten Jahren immer häufiger den Weg in diesen Paternalismus.
Manche behaupten, die Medien hätten im Fall Köln zu spät berichtet und versagt. Was ist Ihre Meinung?
Ein Journalist versagt nicht, wenn er "zu spät" kommt, sondern wenn er sich zum Anwalt einer "guten Sache" macht.