Ukraine/Russland-Krise Experte kritisiert Forderungen nach WM-Boykott

In der Ukraine-Krise wächst der Druck auf den Westen, härter gegen Russland vorzugehen. Viele Politiker fordern, Russland die Fußball-WM 2018 wegzunehmen. Doch an der Wirksamkeit einer solchen Maßnahme gibt es Zweifel.

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Fifa-Präsident Sepp Blatter (l.) und Russlands Präsident Wladimir Putin: Ruf nach Verlegung der WM in Russland 2018 wird lauter. Quelle: ap

Berlin Jürgen Mittag, Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln, hält die innerdeutsche Debatte über eine mögliche Boykott-Drohung für die Fußball-WM 2018 in Russland für nicht zielführend. „So richtig die Beobachtung ist, dass der Sport im Allgemeinen und Sportgroßveranstaltungen im Besonderen nie unpolitisch, sondern angesichts ihrer medialen und öffentlichen Resonanz immer auch Verstärker gesellschaftlicher und politischer Interessen sind, so falsch ist eine einfache Instrumentalisierung des Sports durch die Politik“, sagte Mittag Handelsblatt Online. „Die weitgehend wirkungslosen Boykotte der Olympischen Spiele 1976 bis 1984 haben gezeigt, dass der Sport kein Austragungsort für Konflikte der internationalen Politik sein kann.“

Gleichwohl stellten Sportgroßveranstaltungen „eine globale Bühne dar, die auch den Resonanzboden für öffentliche Debatten bilden“, sagte Mittag weiter. „Gefordert ist deswegen eine Politik mit Augenmaß, die längerfristige Entwicklungen, aber auch die Verantwortung der Sportorganisationen berücksichtigt.“ Jetzt eine Entscheidung über die WM 2018 zu treffen, wäre hingegen verfrüht, fügte der Sport-Professor hinzu. „Gefordert sind aber auch die internationalen Sportorganisationen, die bei ihrer Vergabepolitik stärker als bisher den Blick auch auf die politischen, humanitären und sozialen Bedingungen in den Austragungsstaaten zu richten haben.“

In den vergangenen Tagen waren Forderungen nach einem Boykott der Weltmeisterschaft 2018 in Russland laut geworden. Mehrere deutsche Politiker hatten eine Verlegung des Turniers nach Deutschland ins Gespräch gebracht.

Am Donnerstag legten mehrere Bundestagsabgeordnete nach. „Man kann die Fußball-WM an kein Land vergeben, das andere Staaten mit Krieg überzieht. Deutschland wäre als amtierender Weltmeister natürlich als alternativer Austragungsort geeignet, am besten im Verbund mit Polen und der Ukraine, die haben ebenfalls moderne Fußballstadien“, sagte der Vorsitzende der deutsch-ukrainischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Karl-Georg Wellmann,  der „Bild“-Zeitung.


„Lieber ein deutsches Sommermärchen als Putin-Propaganda-Spiele“

Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl wies darauf hin, dass Russland die politische Verantwortung für den Abschuss der Passagiermaschine über der Ostukraine trage. Wenn Kreml-Chef Wladimir Putin nicht dazu beitrage, „die Täter zu überführen und ihrer gerechten Strafe zuzuführen, ist die WM in Russland unter einem solchen Regime undenkbar“, sagte Uhl. „Deutschland sollte sich als alternativer Austragungsort nicht verweigern.“

Stephan Mayer, innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, sieht Deutschland bestens als alternativen WM-Austragungsort gewappnet. „Vor allem verfügen wir über moderne und attraktive Fußballstadien und eine hervorragende Infrastruktur“, sagte er. „Deshalb wäre Deutschland dafür prädestiniert, bei dem Ausfall eines WM-Gastgebers kurzfristig einspringen zu können.“

Zustimmung kommt auch aus der SPD: Die sportpolitische Sprecherin Michaela Engelmeier-Heite sagte, es wäre gut, „wenn Deutschland bereitstände und in der Lage wäre, die WM zu übernehmen – falls die Fifa Russland die WM entzieht“. Und der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der bayerischen Grünen, Dieter Janecek, sekundierte: „Lieber ein deutsches Sommermärchen 2018 als Putin-Propaganda-Spiele.“

Sportprofessor Mittag wies darauf hin, dass solche Vorstöße, aber auch Überlegungen zu einem Boykott von Sportereignissen in den vergangenen Jahren „geradezu reflexartig erfolgt“ seien, wenn ein internationales Sportgroßereignis in einem politischen Konfliktherd angestanden habe.

„Dies ist im Wesentlichen dem Umstand geschuldet, dass die großen internationalen Sportorganisationen wie Fifa oder IOC Sportgroßveranstaltungen vorzugsweise an wirtschaftlich dynamische Wachstumsmärkte vergeben, die politisch jedoch nicht in vollem Umfang den demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben des Westens entsprechen“, erläuterte der Wissenschaftler. Eine besondere Rolle komme dabei den BRICS-Staaten zu. Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika seien die Ausrichter zahlreicher Sportgroßereignisse der vergangenen und kommenden Jahre.

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