Umfrage unter Innenministern Überfordert die Flüchtlingskrise die Polizei?

In Brandenburg ist die Polizei durch die Flüchtlingskrise so stark beansprucht, dass ihre Aufgaben anderswo leiden. Wie sieht es in anderen Ländern aus? Eine Handelsblatt-Umfrage kommt zu überraschenden Ergebnissen.

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Polizeikräfte im Einsatz bei einer Anti-Flüchtlings-Demo des Pegida-Bündnisses in Dresden (Archivbild): Starke Belastungen durch Flüchtlingskrise. Quelle: dpa

Berlin Deutschland ächzt unter der Flüchtlingskrise – in vielerlei Hinsicht. Erst kürzlich machten die Finanzminister aller 16 Bundesländer in einer gemeinsamen Erklärung die Dimension des Themas deutlich. Die hohe Zahl von Asyl- und Schutzsuchenden stelle Bund, Länder und Kommunen auf absehbare Zeit vor große Herausforderungen, „die sich nur gesamtstaatlich lösen lassen“. Zwar wolle der Bund Länder und Kommunen 2016 mit annähernd vier Milliarden Euro entlasten. Nötig sei jedoch ein weitergehendes Engagement des Bundes.

Heute erhöhten die Länder ihren Druck auf den Bund und drohten sogar mit Verstößen gegen die Schuldenbremse. Die Regierungschefs von Bremen und Sachsen-Anhalt, Carsten Sieling (SPD) und Reiner Haseloff (CDU), mahnten nach einem Treffen aller 16 Ministerpräsidenten in Berlin, der Bund müsse dringend seine Finanzhilfen aufstocken. Andernfalls könnten die meisten Länder die im Grundgesetz festgeschriebene Schuldenbremse nicht einhalten - oder müssten an anderer Stelle Leistungen kürzen. Das sei mit Blick auf soziale Spannungen und das Erstarken der AfD aber nicht ratsam.

Dass Handlungsbedarf besteht, zeigt das Beispiel Brandenburg. Der Innenminister des Landes, Karl-Heinz Schröter (SPD), hatte jüngst eingeräumt, dass es infolge einer hohen Belastung der Polizei durch die Sicherung von Flüchtlingsunterkünften und die zahlreichen Demonstrationen zu Ausfällen bei den Bußgeldern komme. Sein Ministerium habe die erwarteten Einnahmen im Haushalt um rund zwei Millionen Euro heruntergeschraubt, weil im Land etwa weniger Geschwindigkeitskontrollen vorgenommen würden. „Wir müssen Prioritäten setzen“, sagte Schröter.

Die Polizeigewerkschaft überraschen die von Schröter beschriebenen Einschränkungen der Polizeiarbeit nicht. Sie beklagen, dass infolge des Personalabbaus von 16.000 Stellen ohnehin schon nicht mehr gewährleistet werden könne, dass Polizeikräfte überall angemessen präsent seien. Durch die Flüchtlingskrise, so das ernüchternde Fazit, habe sich die Situation noch verschärft.

Allerdings ergibt eine Umfrage des Handelsblatts unter sieben Innenministerien (Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hessen, Niedersachsen, Hamburg und Thüringen) ein anderes Bild.

„Es gibt in Bayern keine Sicherheitseinbußen, sei es bei der Straftatenverfolgung oder bei der Verkehrssicherheit. Denn die Bayerische Polizei steht so gut da wie nie zuvor“, sagte dagegen der Innenminister des Landes, Joachim Herrmann, dem Handelsblatt. Klar sei aber auch, so Herrmann weiter: „Unsere Polizei ist derzeit bis ans Limit belastet.“ Neben den aktuellen Terrorgefahren hielten insbesondere auch die Flüchtlingsströme die bayerische Polizei in Atem. „Umso mehr ist eine schnelle und deutliche Reduzierung der Flüchtlingszahlen notwendig.“

Auch Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Thüringen registrieren keine Einschränkung der Polizeiarbeit. Die im Zusammenhang mit der Zuwanderungswelle erfolgten Maßnahmen stellten natürlich Anforderungen an die Polizei, „die jedoch bisher nicht zu einer feststellbaren Beeinträchtigung in der Wahrnehmung alltäglicher Aufgaben der Polizei geführt haben“, erklärte ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums. „Die polizeilichen Kernaufgaben Gefahrenabwehr, Kriminalitätsbekämpfung oder Verkehrssicherheitsarbeit werden genauso wie die Bewältigung besonderer Einsatzlagen uneingeschränkt wahrgenommen.“ 


Keine Beteiligung an Blitz-Marathon wegen Flüchtlingskrise

Das rheinland-pfälzische Innenministerium räumte zwar eine „gestiegene Belastung für die Polizei“ durch die Flüchtlingssituation ein. „Aus diesem Grund versuchen wir, die Zusatzbelastung der Beamtinnen und Beamten etwa durch öffentlichkeitswirksame Großaktionen so gering wie möglich zu halten“, sagte ein Ministeriumssprecher dem Handelsblatt. So habe Minister Roger Lewentz (SPD) „bereits im vergangenen Jahr deutlich gemacht, dass sich Rheinland-Pfalz wie etliche andere Bundesländer auch beispielsweise nicht am so genannten Blitz-Marathon beteiligen wird“.

Die Innenministerien stellen auch, anders als das Land Brandenburg, keine nennenswerten Ausfälle bei den Bußgeldern infolge einer hohen Belastung der Polizei durch die Flüchtlingskrise fest. Aus dem Innensenat in Hamburg hieß es dazu auf Anfrage des Handelsblatts: Insgesamt seien weder bei der Polizei noch bei der Bußgeldstelle Bußgeldausfälle wegen Polizeiüberlastung festzustellen. „Die Belastung der Hamburger Polizei durch Einsätze in Flüchtlingsunterkünften ist relativ gering.“ Lediglich rund 0,6 Prozent der Funkeinsätze hätten zurzeit einen derartigen Zusammenhang.

Auch das hessische Innenministerium erklärte: „Eine Auswirkung der polizeilichen Anstrengungen bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise auf die Verkehrssicherheitsarbeit ist nicht belegbar, obwohl die hessische Polizei im Rahmen des Wach- und Wechseldienstes eine Präsenzerhöhung im Bereich der Flüchtlingseinrichtungen vorgenommen hat.“

Der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, erklärte hingegen, es liege auf der Hand, dass die Polizei angesichts der aktuellen Situation neue Schwerpunkte setzen müsse. „Angesichts der knappen Personaldecke führt dies zwangsläufig dazu, dass wichtige Handlungsfelder vernachlässigt werden müssen“, sagte Wendt dem Handelsblatt.  Das betreffe aber nicht nur die Verkehrsüberwachung.

Auch in anderen Bereichen müsse damit gerechnet werden, dass weniger Polizei eingesetzt werde. „Schon jetzt ist sie weniger auf Bahnhöfen präsent, weil Tausende Bundespolizeikräfte immer wieder zur Grenze nach Bayern geschickt werden müssen, und auch in den Städten kann die Bereitschaftspolizei die bisherigen Bemühungen, etwa bei der Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen, nicht mehr leisten, wie bisher.“ Bei Großeinsätzen sei schon jetzt erkennbar, dass die Bundesländer sich nicht mehr wie früher gegenseitig unterstützen können.


„Die Polizei arbeitet absolut am Limit“

Gleichwohl betonte Wendt auch, dass der Schutz von Flüchtlingsunterkünften eine „hohe Priorität“ habe. Er verwies darauf, dass sich die Zahl der Anschläge auf solche Unterkünfte vervielfacht habe. Die Polizei sei daher im Dauereinsatz und produziere „Millionen Überstunden“. „Die Polizei arbeitet absolut am Limit, weil unverantwortliche Politik in den vergangenen Jahren die Strukturen fast kaputtgespart hat“, kritisierte Wendt.

Ähnlich äußerte sich der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow. „Jede zusätzliche Aufgabe belastet die Polizei infolge des Personalabbaus von 16.000 Stellen seit 1998 immens und führt zwangsläufig zur Schwerpunktsetzung in der polizeilichen Arbeit“, sagte Malchow dem Handelsblatt. „Aber nicht nur eine mögliche verstärkte Einsatztätigkeit im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften kann dazu führen, dass Kapazitäten aus anderen Tätigkeitsbereichen verschoben werden.“

Eine Folge könne sein, dass die Verkehrsüberwachung eingeschränkt sei. Wenn die Finanzminister aus diesem Grund Einnahmeverluste aus Bußgeldern beklagen sollten, so dürften sie aber kaum mit einer breite Anteilnahme der Bevölkerung rechnen. „Übrigens auch nicht mit unserer Anteilnahme“, fügte Malchow hinzu, „weil sie es ja waren, die mit Sparprogrammen dafür gesorgt haben, dass die Polizei nicht alle Aufgabenfelder gleich intensiv bearbeiten kann.“ Außerdem sähen sich Polizisten nicht als „Vollstreckungsbeamte des Finanzministers zur Sanierung der Landeskassen“. 

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