Der Grundsatz „Nein ist Nein“ soll nach dem Willen der Fraktionsspitzen von Union und SPD bei der geplanten Reform des Sexualstrafrechts stärker verankert werden. Wie die „Bild am Sonntag“ aus Kreisen des Justizministeriums erfuhr, soll Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) auch „offen für weitere Verschärfungen des Gesetzentwurfes“ sein.
Nach der ersten Lesung der Maas-Pläne im Bundestag am Donnerstag sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) der Zeitung: „Die Vorschläge der Frauen in der Union für eine weitere Verschärfung des Sexualstrafrechts sind absolut richtig.“
Die Neuregelung zur Bestrafung von Vergewaltigern müsse dem Grundsatz folgen: Ein Nein ist ein Nein. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann sagte: „Mich persönlich hat die Diskussion überzeugt, dass es nur eine Regelung gibt, die die sexuelle Selbstbestimmung umfassend schützt: Nein heißt nein. Das ist nicht sehr schwer zu verstehen.“
Hintergründe zu den Übergriffen in Köln
Bisher erstaunlich wenig. Zeugen und Opfer berichten - laut Polizei übereinstimmend - von Männern, die „dem Aussehen nach aus dem arabischen oder nordafrikanischen Raum“ stammen. So hat es der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers auf der Pressekonferenz am Montag formuliert. Demnach soll eine Gruppe von 1000 Männern auf dem Domplatz gewesen sein, die meisten von ihnen zwischen 15 und 35. In kleineren Gruppen sollen sie Frauen umzingelt, sexuell belästigt und ausgeraubt haben, in einem Fall auch vergewaltigt. 90 Anzeigen gibt es bis Dienstagmittag. „Wir haben noch keine konkreten Täterhinweise“, sagt Heidemarie Wiehler von der Direktion Kriminalität.
Von den sexuellen Übergriffen und Diebstählen erfuhr die Polizei Wurm zufolge größtenteils im Laufe der Silvesternacht durch die wachsende Zahl von Anzeigen. Die Taten selbst hätten die anwesenden Polizeibeamten nicht beobachtet, weil diese sich in einer riesigen und unübersichtlichen Menschenmenge abgespielt hätten. Festnahmen habe es keine gegeben, weil Zeugen und Opfer die Täter im Getümmel nicht wiedererkannt hätten.
Die Bundespolizei, die für den Bahnhof zuständig ist, war nach Angaben von Wolfgang Wurm, Präsident der Bundespolizeidirektion Sankt Augustin, mit 70 Kräften vor Ort. Die Kölner Polizei hatte im Bereich Hauptbahnhof und Dom rund 140 Beamte im Einsatz. Einige davon wurden aus anderen Teilen der Innenstadt zum Bahnhof geschickt, als dort die Lage eskalierte. „Für den Einsatz, den wir voraussehen konnten, waren wir sehr gut aufgestellt“, sagt Wurm. Wie sich der Einsatz dann tatsächlich entwickelt habe, sei eine „völlig neue Erfahrung“ und „für uns nicht absehbar“ gewesen: „Dafür hätten wir sicherlich ein wenig mehr Kräfte benötigt.“
Viele Menschen melden sich zu Wort, die der Polizei vorwerfen, mit der Situation überfordert gewesen zu sein und die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet kritisiert auf Twitter: „Erneut unglaubliche Fehleinschätzung der Kölner Polizei.“ Dabei bezieht er sich auf die Einsatzbilanz am Neujahrsmorgen, in der von „ausgelassener Stimmung“, „weitgehend friedlichen Feiern“ und einer „entspannten Einsatzlage“ die Rede war.
Polizeipräsident Albers räumte bei der Pressekonferenz am Dienstag Fehler ein: „Diese erste Auskunft war falsch.“ Sven Lehmann, Vorsitzender der NRW-Grünen, fordert: „Aufgeklärt werden muss auch, warum die Polizei in Köln erneut von einer aggressiv auftretenden Menschenmenge derart überrascht wurde.“ Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer fragt in der Zeitschrift „Emma“: „Wie ist es erklärbar, dass Hunderte von Frauen unter den Augen eines so massiven Polizeiaufgebotes sexuell belästigt werden?“
Augenzeugen und Opfer berichten in mehreren Medien von ihren Erlebnissen. „Ich hatte das Gefühl, die Polizei und die Sicherheitsleute der Bahn waren nicht nur überfordert, sondern hatten auch Angst, die Lage könnte eskalieren.“ (zitiert der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Frau aus Overath, die mit ihrer Freundin in der Umgebung des Doms gleich mehrfach von vier bis sechs jungen Männern umkreist worden sein soll).
„Die Stimmung war aggressiv. Plötzlich wurde ich von hinten - ohne dass mein Freund es sah - von mehreren Männern angegrapscht. Ich kann sagen, dass es mehrere waren, da zeitgleich Hände an meinen Brüsten und an meinem Po waren.“(Berichtet eine 40-Jährige dem WDR, die in der Silvesternacht mit ihrem Freund auf dem Weg nach Troisdorf gewesen sein soll)
Vor allem im Hinblick auf den bevorstehenden Karneval kündigt die Polizei an, die Einsatzkräfte bei Großveranstaltungen weiter aufzustocken, auch mit Zivilbeamten. Polizeipräsident Albers zufolge soll auch geprüft werden, ob bestimmte Bereiche stärker mit Videokameras überwacht werden. Über weitere Maßnahmen wollen Polizei und Stadt gemeinsam nachdenken.
Maas hatte in der Bundestagsdebatte gesagt, es gelte offenkundige Lücken im Sexualstrafrecht schnell zu schließen. Sein Gesetzentwurf stellt sexuelle Übergriffe unter bestimmten Bedingungen auch dann unter Strafe, wenn sich Opfer nicht massiv wehren oder wehren können. Bereits aufdringliches Begrapschen könne für Opfer drastische psychische Folgen haben, sagte die Unions-Rechtsexpertin Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU). Auch SPD-Fraktionsvize Eva Högl warb für eine Aufnahme des Grundsatzes, dass ein klares „Nein“ für eine Bestrafung von Tätern reichen soll.
Maas kündigte für den Herbst Ergebnisse einer Expertenkommision an, die das gesamte Sexualstrafrecht überarbeiten soll. Dann wolle er etwa auch Diskussionen über so genannte Grapscherfälle „positiv begleiten“. Die Linke-Rechtsexpertin Halina Wawzyniak kritisierte die geplanten Änderungen als unzureichend. Für Nachbesserungen hat sich auch der Bundesrat starkgemacht. Die Verschärfungen werden im Licht der Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten diskutiert. Die Reform war bereits zuvor angestoßen worden.
Bundesweit werden pro Jahr rund 8000 Vergewaltigungen angezeigt. Experten schätzen, dass nur jedes zehnte Opfer zur Polizei geht. Und nur etwa jeder zehnte Verdächtige wird verurteilt. Feministinnen, Rechtsanwältinnen, Betroffenenverbände und Abgeordnete verschiedener Parteien kritisieren, es gelte - bis auf Ausnahmefälle - weiterhin der Grundsatz, dass sich das Opfer physisch zur Wehr setzen oder eine etwaige Fluchtmöglichkeit nutzen müsse. Manchen Juristen geht aber schon der vorliegende Entwurf zu weit - es könne leicht zu falschen Beschuldigungen kommen.