Untersuchungsausschuss zur Silvesternacht Polizei hat von Übergriffen in Köln nichts mitbekommen

Wenig Infos, kaum Notrufe: Polizeivertreter mussten sich vor einem Ausschuss für den Einsatz in der Kölner Silvesternacht rechtfertigen. Von Übergriffen habe man nichts mitgekommen – dafür kam eine Massenpanik ins Spiel.

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Günter R., Einsatzleiter der Landespolizei, vor dem Ausschuss in Düsseldorf. Quelle: dpa

Düsseldorf Günter R. ist im Anzug gekommen, die gekachelte Krawatte sitzt straff, die grauen Haare des Einsatzleiters der Landespolizei sind akkurat geschnitten. Immer wieder senkt der 57-Jährige bedächtig den Kopf, legt das Kinn auf die Brust und schaut skeptisch in Richtung des Vorsitzenden des Untersuchungsausschuss. Seine Anspannung ist im ganzen Raum zu spüren.

Was dann folgt gleicht einer Verteidigungsschlacht. Beamter R. gegen die Parlamentarier, die Parlamentarier gegen den Polizisten. Und alles dreht sich um eine Frage: Wie konnte die Landespolizei nichts von den sexuellen Übergriffen auf dem Bahnhofsvorplatz mitbekommen?

R. hat darauf eine simple Antwort: „Diese Dinge sind uns nicht gesagt worden“, sagt der Einsatzleiter. „Es gab auch kaum Notrufe.“ Und viele der Taten seien in der großen Menge nicht zu sehen gewesen. Er wisse, dass das merkwürdig klinge, fügt aber an: „Ich bin der Erste, der das hier sagt, aber sicherlich nicht der Letzte.“

Zwei Stunden sei er da gewesen und nur ein einziger Mann habe sich beklagt, dass sein Handy gestohlen wurde. „Diese Dinge, die dort passiert sind, sind unglaublich schrecklich für uns“, sagt er und man merkt, dass es ihm Nahe geht. „Das ist ekelhaft, das ist unvorstellbar. Meine Tochter war auch da – und das macht mich wahnsinnig“, sagt er.

Der 57-Jährige ist der mittlerweile dritte Zeuge, der vor dem Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht ausgesagt hat. Der Untersuchungsausschuss soll vor allem die zentrale Frage klären, warum die Polizei die Opfer in der Silvesternacht nicht schützen konnte und ob es Defizite im Zusammenwirken von Landes- und Bundespolizei gab. In der Nacht zum 1. Januar 2016 war es am Kölner Hauptbahnhof zu massiven Übergriffen auf Frauen gekommen. Die Täter stammten laut Berichten von Augenzeugen vor allem aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum. Die Polizei konnte dies nicht verhindern.

Dabei war der Einsatzleiter, der sich selbst als „sehr erfahren“ bezeichnet, in einer guten Ausgangssituation. Im Vergleich zu Vorjahr sei seine Truppe von 88 auf 142 aufgestockt worden. In die Planung, so berichtet er, sei er aber nicht einbezogen gewesen. Als Einsatzleiter wurde er dem Einsatz lediglich „aufgesetzt“ worden.

Erstmals sei er um 21 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz gewesen, der zu dieser Zeit schon gut gefüllt gewesen sein soll. Die Anwesenden laut seiner Aussage: „offensichtlich arabische Migranten“. Mehreren Gruppen hätten sich gegenseitig Böller vor die Füße geworfen, Alkohol sei getrunken worden. Er schätzte damals, dass sich knapp 400 Leute auf dem Bahnhofsvorplatz aufhielten. Seine Gedanken als er das sah: „Die sind im Umgang mit Alkohol noch nicht so geübt. Dass das mal nicht in die Hose geht.“

Bis 23 Uhr soll die Gruppe dann auf über 1000 Menschen angewachsen. Als R. dort auftaucht, sei das eingetreten, was er befürchtet hätte: „Die waren alle besoffen und schossen mit Böllern um sich.“ Aus Angst, der Umgang mit den Böllern könnte eine Massenpanik auslöse, gab er den Befehl: auflösen. Daraufhin habe die Landespolizei die Kräfte der Hundertschaft auf dem Bahnhofsvorplatz zusammengezogen. Auch die Bundespolizei wurde zur Unterstützung herangerufen.


„Unvorstellbar“

Von den massiven Übergriffen aber habe er nichts mitbekommen. „Für uns ist es unvorstellbar, dass diese Dinge in wenigen Metern Entfernung passiert sind und wir sie nicht mitbekommen haben“, so R.. Nach zusätzlichen Einsatzkräften habe er deswegen nicht gefragt. Schließlich glaubte er die Lage unter Kontrolle zu haben. Ob er von den weiteren Einheiten auf Abruf gewusst habe? „Nein“, sagt er bestimmt.

Doch die Abgeordneten wirken nicht überzeugt. Es bleibt völlig unklar, wie die Einsatzleitung nichts von den Vorfällen auf dem Vorplatz mitbekommen konnte – und warum keine Verstärkung angefordert wurde. Mehrfach fragen die Politiker nach, ihre Skepsis nagt spürbar an R. Doch er ist sich sicher, dass er nichts falsch gemacht hat – er nicht, seine Truppe nicht. Die Parlamentarier sehen das nicht so, viele werfen sich in ihren Stühlen zurück, sind entnervt von den immergleichen Antworten des Einsatzleiters.

Doch nicht nur mit R. ringen die Abgeordneten. Auch zwischen den Parteien geht es hoch her. Denn es geht es nicht nur um Aufklärung, sondern auch um Politik – und um die Frage, wer am Ende die Verantwortung für die verhängnisvollen Ereignisse trägt. Die Landespolizei nämlich untersteht dem SPD-geführten Innenminister. Dementsprechend scharf fragen CDU und FDP nach. So scharf, dass die SPD dazwischenruft: „Unerhört“ sei eine solche Frageweise. Die FDP schießt zurück: „Eine solche Reaktion ist frech.“ Die Stimmung im Raum ist angespannt.

Nach mehr als dreieinhalb Stunden bricht der Vorsitzende die Befragung von R. ab. Der Ausschuss will noch einen weiteren Zeugen hören: Detlef M., Einsatzleiter der Bundespolizei. M. berichtet von der Lage an der Hohenzollernbrücke in der Silvesternacht. Dort war es nach der Schließung der Brücke nach Polizeiangaben zu tumultartigen Szenen gekommen: Ein Aspekt der Kölner Silvesternacht, der bislang kaum beachtet wurde. Einsatzleiter M. spricht gar von einer „Massenpanik“.

Ein Mann habe dem Bundespolizisten ein fünfjähriges Kind entgegengehalten und gesagt: „Bitte rette mein Kind, bitte rette mein Kind.“ , so M.. Die Menschen hätten geschrien. Einer habe gesagt „Das sind Zustände wie in Duisburg.“ Mehrmals haben er und seine Mitarbeiter versucht über Funk und Handy bei seiner Leitstelle Verstärkung anzufordern, sagt M..

Es ist mittlerweile dunkel vor dem Landtag, da wird nochmal eine Grundannahme des Ausschusses in Frage gestellt. M. sieht die Zuständigkeit des Tatortes auf dem Bahnhofsvorplatz bei der Bundespolizei – ganz im Gegensatz zu früheren Zeugen, die die Landespolizei in der Verantwortung sah. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses wirken ungläubig – und sind von einer Aufklärung der Geschehnisse noch weit entfernt.

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