Hand aufs Herz: Wir haben doch alle schon herzhaft gelacht, als wir von Autofahrern lasen, die ihr Auto – blind dem Navi folgend – an Fährenanlegern in den Fluss gelenkt haben? Wie blöd muss man eigentlich sein …
Genau diese Frage habe ich mir am Morgen nach dem schweren Unwetter vom Montagabend ebenfalls gestellt. Nur fuhren da nicht ein paar Autofahrer ins Wasser, sondern Zigtausende mit der Deutschen Bahn mitten ins Chaos eines vom Sturm verwüsteten Bundeslandes. Und dann, als sie mit ihren Zügen auf irgendeinem Bahnhof strandeten, war plötzlich die Bahn schuld: „Hätten die denn nicht früh genug warnen können?“ „Hätten die denn nicht wissen müssen, dass es da und dort nicht weiter geht?“
Nicht anders am späten Montagnachmittag: Da reisten Zehntausende Menschen aus dem verlängerten Pfingstwochenende nach Hause, mitten hinein die Ballungsräume des Rheinlands und des Ruhrgebietes – und direkt hinein in die von Westen aufziehende Sturmfront „Ela“. Und dann, als der Sturm losbrach, als herumwirbelnde Äste Fensterscheiben durchschlugen, Bäume auf Autos und Häuser krachten – und Menschen töteten, da waren plötzlich die Medien schuld: „Hätte der WDR nicht sein Programm unterbrechen müssen?“ „Hätten Lokalradios, Zeitungs-Webseiten rechtzeitig warnen müssen?“
Die Antwort lautet „JA“ – aber sie geht völlig am Thema vorbei. Denn das heißt Eigenverantwortung. Wer sich in den Tagen nach dem Sturm über das offensichtliche Warnversagen einer Rundfunkanstalt ereifert, versucht sich aus der eigenen Verantwortung für sein persönliches Wohlergehen zu schleichen. Der versucht davon abzulenken, dass Gesundheit und Schutz von Leben und Eigentum eben zuvorderst eine Sache der Eigenverantwortung sind, die man nicht auf einen Sender delegieren kann – so nützlich es gewesen wäre, wenn der WDR früher gewarnt hätte.
Im Grunde aber ist das eine faule Ausrede: Denn es gehört schlicht zur Allgemeinbildung und ist mit normalem Menschenverstand von jedem zu meistern, dass heiße, schwüle Luft ein hohes Gewitterrisiko nach sich zieht. Genau das war am Pfingstwochenende der Fall. Und wer aufmerksam genug hingehört hat, der weiß, dass er oder sie mehrfach im Laufe der Tage in den Wettervorhersagen davon gehört hat, dass „heftige Gewitter drohen“.
Spätestens da wäre es für jeden leidlich eigenverantwortlichen Menschen möglich (und eigentlich auch Pflicht) gewesen, sich zu informieren, ob und was sich da am Himmel zusammenbraut: Im Idealfall da, wo man es wissen muss, etwa beim Deutschen Wetterdienst. Die aktuelle Wetterlage und alle Warnmeldungen gibt es hier unter www.dwd.de - rechts im Kasten auf Wunsch bis auf Stadt- und Landkreisebene, jederzeit, für jeden und für lau. Auf Wunsch kann man sich sogar vom DWD per E-Mail warnen lassen, bevor etwas droht gefährlich zu werden.
Es gab rechtzeitig genügende ausreichend konkrete Warnungen
Unwetter fegt über NRW - Tote und Verkehrschaos
Alle aktuellen Warnungen sind übrigens auch auf der Wetterseite von www.tagesschau.de und auch beim privaten Online-Anbieter www.unwetterzentrale.de abrufbar – jederzeit, für jeden und kostenlos. Auch wenn die Radio- oder TV-Redaktionen beim WDR weitgehend pennen.
Warnungen also gab es im Zeitraum von Montagmorgen bis zum Ausbruch des Sturms mehr als reichlich. Allein für den Rhein-Kreis Neuss, in dem am Abend mit Böen bis 133 Kilometern pro Stunde die höchsten Windgeschwindigkeiten gemessen wurden, verschickte der DWD im Tagesverlauf neun (!) Warnnachrichten, kontinuierlich aktualisiert mit immer genaueren Prognosen und eben auch mit ganz konkreten Warnhinweisen: „Es sind unter anderem verbreitet schwere Schäden an Gebäuden möglich. Bäume können entwurzelt werden und Dachziegel, Äste oder Gegenstände herabstürzen“, stand da – schon mehr als zwei Stunden, bevor „Ela“ losschlug.
„Halten Sie insbesondere Abstand von Gebäuden, Bäumen, Gerüsten und Hochspannungsleitungen! Vermeiden Sie möglichst den Aufenthalt im Freien!“, eineinhalb Stunden, bevor der Sturm die Region erreichte. „Verlassen Sie nicht das Haus und suchen Sie sichere Räume auf! Stellen Sie Fahrzeuge nach Möglichkeit in die Garage!“, lautete der ultimative Rat der Wetterfrösche, als das Unwetter eintraf.
Jeder, der ein Smartphone besitzt, hätte das wissen können – wenn er es hätte wissen wollen. Jeder, der sich am Montagnachmittag zum Grillen, Gärtnern oder Sonnenbaden in Schrebergärten oder Laubenkolonien aufhielt, hätte selbst prüfen können, ob das angesichts des drohenden Sturms ein geeigneter Ort zum Sein (und Bleiben) ist. Und seine e i g e n e n Schlüsse ziehen können. Dass allein in Düsseldorf drei Menschen in einer Gartenhütte ums Leben kamen, in die sie sich vor dem Sturm geflüchtet hatten, ist mehr als tragisch. Aber zumindest die drei Verletzten, die die Feuerwehr aus den Trümmern der Hütte retten konnte müssen sich die Frage gefallen lassen, warum – um Himmels Willen – sie sich denn nicht längst in Sicherheit gebracht hatten, bevor die Hölle losbrach?
So platt das klingt: Am Ende lässt sich Verantwortung nicht delegieren. Die Vollkasko-Versicherung fürs Leben gibt es nicht. Die Freiheit, unser Leben zu führen, ohne uns fortwährend von staatlich gängeln lassen zu müssen, geht eben auch damit einher, dass sie jeden von uns – auch – dazu verpflichtet, Verantwortung für uns selbst zu übernehmen.
Das gilt auch, wenn einen Zug besteigen, der ins verwüstete Rheinland fährt. Natürlich wäre es schön, wenn die Bahn warnte, dass es mit den Anschlüssen hapern könnte. Aber erstens tut sie das (unter anderem auf ihrer Web-Seite). Und zweitens müsste sich das (selbst wenn sie es nicht täte) auch jeder Reisende selbst denken können. Wenn er es denn wollte.
Aber das ist eben die Tücke an der Verantwortung. Sie bietet Möglichkeiten, sie verpflichtet aber auch zum Handeln. Immer, nicht nur im Sturm.