Verbraucherministerin Ilse Aigner "Wir Deutschen sollten unsere Esskultur mehr pflegen"

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Discounter: Noch mehr Märkte, noch höherer Preisdruck Quelle: dpa

Und wer beantwortet die Frage nun?

Hier ist die Lebensmittelbuch-Kommission am Zug. In diesem Gremium sitzen Vertreter der Überwachungsbehörden, Wissenschaftler, Verbraucherschützer und Hersteller.

Diese Kommission hätte aber schon lange etwas unternehmen können.

Die Verbraucher sind keine statischen Wesen. Sie entwickeln seit einiger Zeit ein stärkeres Bewusstsein bei Lebensmitteln, auch Faktoren wie eine Zunahme von Lebensmittel-Unverträglichkeiten und Allergien verändern das Verhalten. Daneben gibt es immer mehr technologische Entwicklungen im Nahrungsmittelbereich. Ein Beispiel: Vermeintliche Innovationen wie Klebeschinken sind zwar nicht gesundheitsschädlich, aber vielen Verbrauchern zuwider. Darauf müssen Wirtschaft und Politik reagieren.

Foodwatch-Gründer Thilo Bode verteilt an die Ernährungsindustrie „goldene Windbeutel“ – für Mogelpackungen. Sind Sie ihm dankbar, dass er damit die Öffentlichkeit wachrüttelt?

Er lebt von der Skandalisierung. Das ist sein Geschäftsmodell, um möglichst viele Mitglieder und Spendengelder zu gewinnen. Kampagnen, die ein Klima der Verunsicherung schüren, halte ich für bedenklich.

Was hilft stattdessen?

Ich will Dialog statt Kampagne, Aufklärung statt Show – wo nötig, muss es auch zu Veränderungen kommen. Dazu möchte ich mehr wissen über Meinungen, Empfinden und Wünsche der Verbraucher: Wo müssen wir Verpackungen, Kennzeichnungen, Namen oder Zutaten ändern, weil der Verbraucher sie nicht mehr versteht oder wünscht? Gibt es nur vereinzelt Probleme, oder haben wir es mit verbreiteten Phänomenen zu tun? Das geht nicht aus dem hohlen Bauch. Deshalb schaffen wir mit unserer Initiative „Klarheit und Wahrheit“ eine Internet-Plattform, auf der Verbraucher und auch Hersteller einen längst überfälligen Dialog führen können.

Die Industrie fürchtet, sie werde damit an den Pranger gestellt.

Davon kann keine Rede sein. Tatsache ist: Es gibt in der Ernährungswirtschaft schwarze Schafe, und die sollten auch benannt werden dürfen – im Interesse der Verbraucher, aber auch der vielen ehrlichen Unternehmen, die sich an Recht und Gesetz halten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Es gibt im Lebensmittelsektor einen wahnsinnigen Preisdruck. Viele Hersteller sehen sich durch den Handel gezwungen, ständig ihre Kosten zu optimieren und ihre Produkte so günstig wie möglich zu produzieren.

Dann ist also der Handel der Bösewicht?

Ich beobachte den teilweise ruinösen Wettbewerb, besonders unter den großen Discountern, mit wachsender Sorge. Deutschland hat heute bereits eine der höchsten Supermarkt-Dichten Europas. Noch mehr Märkte, noch höherer Preisdruck – wo führt das hin? Die Händler argumentieren, sie geben lediglich den Druck der Kunden weiter, die beim Einkauf vor allem auf den niedrigsten Preis achten.

Aha, jetzt wandert der Schwarze Peter an die Verbraucher?

Unsinn. Die Verbraucher haben Anspruch auf hochwertige und sichere Lebensmittel. Fakt ist aber auch: Die Bundesbürger geben im Schnitt etwa zehn Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus, die Franzosen 13, die Italiener fast 15 Prozent.

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