Vermögen Die Deutschen vererben so viel wie nie

Nie zuvor hatten die Deutschen so viel zu vererben. Deshalb balgt sich um diesen Wohlstand eine ganze Wohltätigkeitsindustrie. Eine Reise zu den Gebern und den Nehmern im Geschäft mit dem Guten.

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Zankapfel Erbe - die größten Fallstricke
Emotional überfordertWenn Partner oder Eltern sterben, ist das eine hohe emotionale Belastung. Aber auch eine große Erbschaft kann auf die Psyche schlagen. Das kann sich unterschiedlich auswirken. Nicht selten rutschen die Erben ab oder schlagen über die Stränge. Das Ergebnis ist dasselbe: Das Erbe wird verprasst, für Autos, Reisen, Partys. Mit entsprechenden Regelungen – etwas einer Dauertestamentsvollstreckung mit monatlichen Auszahlungen – kann dem entgegengewirkt werden. Quelle: dpa
Kein TestamentLiegt kein schriftliches und unterschriebenes Testament vor, gilt die gesetzliche Erbfolge – auch wenn der Erblasser mündlich einen anderen letzten Willen ausgesprochen hat. Stirbt ein Ehepartner, erbt der überlebende Partner. Gibt es Kinder, egal ob ehelich oder unehelich, bekommt der Ehepartner 50 Prozent und die Kinder teilen sich die verbleibenden 50 Prozent. Quelle: dpa
Langfristige BindungDas Berliner Testament ist beliebt und weit verbreitet. Doch es hat seine Tücken, denn es zementiert eine einmal getroffene Regelung. Bei dieser Testamentsform, setzen sich Eheleute gegenseitig als Alleinerben ein. Erst wenn beide tot sind, erben die Kinder. Diese Quote kann ein überlebender Elternteil im Nachhinein nicht verändern. Es sei denn, es gibt eine Klausel, die dies erlaubt. Ein neues Testament des länger Lebenden gilt nicht - das Berliner Testament geht immer vor. Quelle: dpa
Pflichtteilsstrafklausel und Jastrow’schen KlauselHat nun ein Ehepaar ein solches Berliner Testament und ein Ehepartner verstirbt, ist der Überlebende Partner erst einmal Alleinerbe. Steckt nun das ganze Vermögen des Paares in einem Grundstück mit Häuschen und die Kinder fordern ihren Pflichtteil, muss der überlebende Partner Haus und Hof verkaufen, um die Kinder auszubezahlen. Verhindern lässt sich solch ein Fall mittels der Pflichtteilsstrafklausel im Testament. Dabei verfügt das Paar, dass ein Kind, das beim Tod des ersten Elternteils seinen Pflichtteil einfordert, beim Tod des zweiten Elternteils enterbt ist. Wer also jetzt gierig ist und beispielsweise die Mutter zum Verkauf des Häuschens zwingt, soll bei deren Tod leer ausgehen. Im Falle der Jastrow’schen Klausel ist das Prinzip umgekehrt: Es droht also keine Strafe für Gierige, sondern eine Belohnung für Geduldige. Verzichtet ein Kind auf seinen Pflichtteil, wenn Vater oder Mutter sterben, bekommt das Kind beim Tod des anderen Elternteils quasi eine Bonuszahlung. Quelle: dpa
EnterbenDas eigene Kind vollständig zu enterben - ihm also auch den Pflichtteil zu verwehren, ist nur möglich, wenn - der Erbnehmer versucht hat, den Erblasser oder ein anderes Familienmitglied schwer zu verletzen oder zu töten - der Erbnehmer ein Verbrechen begangen hat, das mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr ohne Bewährung geahndet wurde und es für den Erblasser unzumutbar wird, seinen Nachlass - mit dieser Person zu teilen - wenn der Erbnehmer eine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Erblasser böswillig verletzte Quelle: dpa
Fehlerhaftes TestamentDer letzte Wille ist oft falsch oder missverständlich formuliert. Immerhin ein Drittel der Deutschen hat in einer Studie angegeben, sich mit Begriffen wie „gesetzlicher Erbfolge“ oder „Pflichtteil“ nicht auszukennen. Juristische Begriffe werden deshalb in Testamenten oft falsch verwendet oder verwechselt. Häufig sind sie deshalb so geschrieben, dass Fachleute sie auslegen müssen. Die Folge: Der letzte Wille ist nicht so umsetzbar, wie vom Erblasser gewollt. Quelle: dpa
Erbschaftssteuer nicht eingeplantNächste Angehörige – das sind Ehepartner, Kinder und Enkel – haben Freibeträge. Ehepartner erben 500.000 Euro steuerfrei, Kinder immerhin noch 400.000 Euro und Enkel 200.000 Euro. Erst wenn die Erbschaft diese übertrifft, greift der Fiskus zu. Doch häufig ist für die fällig werdende Erbschaftssteuer nicht genügend Geld auf dem Konto. Besteht ein Begünstigter auf schnelle Auszahlung, müssen Immobilien, Wertpapiere oder Kunstgegenstände veräußert werden. Quelle: dpa

Der Papst hat Otto Gies nicht beeindruckt. Jedenfalls will er sich das nicht anmerken lassen. Ein ganz normaler Mann sei Franziskus, sagt Gies, eine halbe Stunde nachdem er den Vatikan verlassen hat: die Baumwollsoutane, der Fischerring, natürlich. Ansonsten: bescheiden, zurückgenommen, freundlich. Das sind die Adjektive, die Gies einfallen, während er an der Hotelbar in Rom cappuccinorührend über seine Begegnung mit Gottes Stellvertreter auf Erden nachdenkt.

Eigentlich war Otto Gies natürlich doch aufgeregt. Furchtbar aufgeregt sogar. Denn der Papst – das ist auch für ihn, den hessischen Protestanten, etwas Besonderes. 28 Jahre lang, bis zum Dezember 2016, war Gies Unternehmer. Er führte die Geschäfte der Hamburger Firma 3B Scientific. Eines Mittelständlers, der in über 100 Ländern für seine medizinischen Lehrmaterialien berühmt ist: für mannshohe Skelette und lebensecht aussehende Schädel aus Kunststoff etwa. Er hat Karriere gemacht mit diesen Plastikgerippen. Und keine schlechte.

Von dem Geld, das sich so im Laufe des Unternehmerlebens ansammelte, konnte und wollte Gies immer schon etwas abgeben: an Waisen in Vietnam, als Pate an einen Flüchtling in Deutschland, als Spender an die Unesco, World Vision oder die Kindernothilfe. Sein Traum aber war es schon lange, eine eigene Stiftung zu haben. Ein Traum, den er sich nun, da er im Ruhestand ist, endlich erfüllt hat.

Checkliste: So finden Erben Schweizer Konten

Die „Crossroads Foundation“ ist auch der Grund, warum Gies an diesem Wintermorgen den Papst besucht – der Kontakt kam durch seinen Mittelstandsverband BVMW zustande. Also hat Gies daheim geübt, sich richtig zu verbeugen. Schließlich gab es nach dem Benefizkonzert für Obdachlose noch ein Treffen mit seiner Heiligkeit – inklusive Handkuss.

Eine Million Euro hat Gies in sein Stiftungsprojekt gesteckt. Sein Erbe. Und von nun an auch: sein Vermächtnis. „Meine Kinder sind für ihr eigenes Schicksal verantwortlich“, sagt der 65-Jährige. Seiner Familie und ihm gehe es gut. Das Geld werde dort gebraucht, wo es Not gebe und seine Hilfe nötig sei.

Jedes Jahr, so schätzen Statistiker, wird in Deutschland ein Vermögen von 250 Milliarden Euro vererbt. Allein bis 2020 also wird es rund eine Billion Euro übertragen. Es ist der kaum vorstellbare aufgetürmte Reichtum seit den Wirtschaftswunderjahren, multipliziert mit Fleiß und Sparergeist.

In einem Wahljahr wie diesem ist es unvermeidlich, dass über diesen Wohlstand gesprochen wird. Wobei – gesprochen? Eine viel zu harmlose Formulierung: Dieses Geld wird von Politikern problematisiert und instrumentalisiert, entweder gehasst oder geschützt, von links als Erbsünde der Ungerechtigkeit gebrandmarkt oder von rechts als Schutzkapital deutscher Arbeitsplätze geheiligt. Vergessen werden in dieser Debatte Menschen wie Gies: Stille Wohlhabende im Land, die dem alten – allzu oft nur so dahingesagten – Wort vom Eigentum, das verpflichtet, ihre ganz eigene Prägung beifügen: als Vermögen, das sie dazu befähigt, die Nachwelt ein kleines bisschen besser zu machen.

Was die Deutschen erben werden
Eine aktuelle Studie der Deutschen Bank zeigt: Viele Erben dürfen sich über Wohneigentum freuen. Bis 2060 werden laut Studie Wohnimmobilien im Wert von 2,7 Billionen Euro vererbt.Quelle: Deutsche Bank Quelle: dpa
Aber auch in den nächsten fünf Jahren bis 2020 ist das Erbvolumen bei dem Immobilien gewaltig. Immobilien im Wert von 100 Milliarden Euro sollen bis dahin vererbt werden. Den größten Anteil mit fast 60 Prozent machen Wohnimmobilien aus. Quelle: dpa
Die Studie macht aber auch auf einen Missstand aufmerksam. Es gibt in Deutschland aufgrund der alternden Bevölkerung einen Bedarf an barrierefreien Wohnungen für Senioren. 750.000 altersgerechte Wohnung fehlen demnach aktuell in Deutschland. Quelle: dpa
Von den circa acht Millionen reinen Seniorenhaushalten, leben 50 Prozent in Wohnungen die vor 40 Jahren gebaut wurden. Nur fünf Prozent leben bereits in einer barrierefreien Wohnung, so die Studie. Quelle: dpa
Aus diesem Mangel an altersgerechten Wohnungen und einer immer älter werdenden Bevölkerung werden in den kommenden Jahr massive Investitionen fällig. Die Studie schätzt das nötige Investitionsvolumen in den kommenden Jahren auf 40 Milliarden Euro. Quelle: dpa
Die Studie schlägt vor, das Bedarfsproblem als Generationenprojekt aufzufassen. Viele ältere Leute überlassen schon vor ihrem Tod den Nachkommen das Haus, bleiben aber zunächst darin wohnen. Die Verfasser der Studie schlagen vor, dass die Erben als Gegenzug der Schenkung die Immobilie altersgerecht sanieren. Quelle: dpa
Alternativ zur Renovierung schlagen die Verfasser vor, die älteren Generationen sollten früher ausziehen und dafür von den Nachkommen die Kosten für einen anderen Alterswohnsitz tragen. Quelle: dpa

Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen katalogisiert diesen Geist jährlich in einem umfangreichen Spendenalmanach. Es gibt dort verlässliche Zahlen für einen Teilbereich, mit dem man sich dem Ganzen gut nähern kann: Noch 2002 vermachten die Deutschen allein den Organisationen, die das geprüfte Spenden-Siegel tragen, 76 Millionen Euro per Nachlass. 2013 – aktuellere Zahlen gibt es noch nicht – waren es 191 Millionen Euro. Kein anderer Posten in der deutschen Spendenstatistik hat sich so dynamisch nach oben entwickelt. Und rechnet man diesen Ausschnitt auf das gesamte Spendenwesen hoch, dann erreicht die Summe aus Erbschaften und Nachlässen schon die Milliardengrenze.

70 Jahre nach dem Ende des Krieges macht die reich gewordene deutsche Gesellschaft so eine neue Erfahrung mit sich selbst: Der Nachlass soll erstmals nicht nur das Leben der nächsten Generation sichern, sondern kann im Überfluss verteilt werden. Für so manchen Erblasser stellt sich deshalb eine bislang unerhörte Frage: Was bleibt von mir? Und: für wen?

Markt der milden Möglichkeiten

Monika Zimmermann etwa kam dieser Gedanke das erste Mal, als sie 2009 ihre Wohnung renovierte. Nach über 25 Jahren musste sich mal etwas ändern. Zimmermann, die fast 40 Jahre lang beim Südwestfunk gearbeitet hatte, zuletzt als Aufnahmeleiterin, investierte 15.000 Euro. Die heute über 70-Jährige bestellte eine neue Küche, ließ den Boden schleifen, packte tagelang das Hab und Gut in ihrer 160-Quadratmeter-Wohnung ein, um und wieder aus. „Noch bin ich ja fit. Aber das kann sich schnell ändern. Und wer kümmert sich dann um all das hier?“, dachte sie.

Wie auf jedem funktionierenden Markt – und dies hier ist zweifellos einer – gehört zum Angebot eine Nachfrage: Sinnsuchende und Kapitalgebende treffen auf Dienstleister, die sich um die wachsenden Vermögen balgen. Ihre Zahl steigt – kaum bekannt – ebenfalls seit Jahren. Immer mehr kleine und mittelgroße Organisationen machen den großen, etablierten Konkurrenz. Jede Stiftung, die etwas auf sich hält, hat nun eigene Abteilungen zum Geldeintreiben, eine Heerschar von Anwälten und Bankern berät Erblasser bei Gründungen von Stiftungen, Trusts oder Vereinen. Selbst die CDU will im Jahr des Bundestagswahlkampfs ins Erbschaftsgeschäft einsteigen.

So ist das Gute ein einträgliches Geschäft geworden, weil alle Seiten mit einem unschlagbaren Produkt handeln: dem reinen Gewissen.

Was Erben wissen sollten
Alleinerbe Der Alleinerbe erbt als einzige Person. Er tritt rechtlich „in die Fußstapfen des Verstorbenen“ und übernimmt dessen gesamte Rechte, aber auch Pflichten. Quelle: dpa
Gesetzliche Erbfolge Die gesetzliche Erbfolge greift immer dann, wenn kein Testament oder Erbvertrag vorliegt. Danach wird der Nachlass zwischen dem Ehepartner und den Verwandten des Verstorbenen aufgeteilt, wobei Kinder und Enkel des Erblassers Vorrang vor Eltern, Großeltern oder anderen Angehörigen genießen. Quelle: REUTERS
Annahme der ErbschaftWer in Deutschland erben will, muss dafür in der Regel nichts tun. Vor allem braucht er die Annahme des Erbes nicht zu erklären. Dieses Phänomen heißt im Juristen-Deutsch “Von-Selbst-Erwerb.“ Quelle: AP
Ausschlagung der Erbschaft Wer nicht erben will, kann (und muss) die Erbschaft innerhalb einer Frist von sechs Wochen ausgeschlagen. Die Zeit läuft ab dem Moment, in dem der Betreffende von der Erbschaft und deren Gründen erfahren hat. Nach Ablauf der Frist ist eine Ausschlagung in der Regel nicht mehr möglich. Lediglich in Ausnahmefällen besteht die Möglichkeit, die Annahme der Erbschaft anzufechten. Quelle: REUTERS
EhegattentestamentVerheiratete und eingetragene Lebenspartner können ein gemeinschaftliches Testament errichten. Eine weit verbreitete Form ist dabei das sogenannte Berliner Testament. Dabei setzen sich die Eheleute gegenseitig zu alleinigen Vollerben ein. Erst wenn beide Partner verstorben sind, werden auch die Kinder bedacht. Sie werden zu Schlusserben, also zu Erben des länger lebenden Ehegatten ernannt. Quelle: dpa
Pflichtteil Ein Erblasser kann bestimmte Personen von der Erbfolge ausschließen, aber nicht immer verhindern, dass diese Personen etwas aus seinem Nachlass erhalten. Grund: Der sogenannte Pflichtteil garantiert den nächsten Angehörigen des Erblassers also eine Mindestteilhabe an seinem Nachlass. Quelle: dpa
EnterbungHat er Erblasser einen oder mehrere gesetzliche Erben von der Erbfolge ausgeschlossen oder sie bei der Verteilung des Nachlasses nicht erwähnt, spricht man von Enterbung. Handelt es sich bei den fraglichen Personen um enge Angehörige, können sie oft zumindest seinen Pflichtteil verlangen. Quelle: obs

Monika Zimmermann jedenfalls las einige Wochen nach ihrer Renovierung eine Zeitungsannonce. Die Malteser warben darin um Erbschaften. Also nahm sie in Baden-Baden das Telefon in die Hand und in Köln Monika Willich den Anruf entgegen. Zwei Tage später saß die Malteser-Fundraiserin tatsächlich an ihrem Esstisch. Zimmermann kochte, Willich sprach. Seither steht ein Briefumschlag auf der Holzkommode im Flur neben dem Telefon: „Im Falle meines Todes“, hat die Rentnerin in dicker, schwarzer Schrift darauf gemalt. In dem Schreiben steht, dass ihr Testament in der kleinen Kassette im Sekretär zu finden ist. Sie hat die Adresse des Anwalts und die der besten Freundin notiert und festgelegt, dass sie das cremefarbene Kleid angezogen bekommen möchte, das hinten im Schrank hängt – es brennt besser im Krematorium.

Im Übrigen stehen da die Anschrift der Malteser und die Nummer von Frau Willich – der katholische Orden soll all ihren Besitz bekommen. Dafür übernimmt er Wohnungsauflösung und Beerdigung. „Ich wollte, dass alles gut geregelt ist. Ich möchte, dass sorgsam mit meinen Dingen umgegangen wird“, sagt Zimmermann.

Dabei hätte sie sogar Verwandte. Keine eigenen Kinder zwar und auch keinen Ehemann, aber da wäre ihr Neffe, zum Beispiel. Ein netter Kerl, die Seniorin versteht sich gut mit ihm. Doch ist er eben auch ein wohlhabender Architekt mit Eigenheim in Stuttgart. „Mit meinem Erbe“, sagt Zimmermann, „würde ich sein Konsumdenken nur weiter unterstützen.“

Dass Monika Zimmermann über ihren Tod hinaus Gutes tun möchte – es ist nur konsequent zu Ende gedacht. Einerseits. Es ist, andererseits, aber auch Ergebnis der beständigen Abbrucharbeiten an einem der letzten Tabus: dem eigenen Vermögen.

Abseits des Polit-Gerangels um die Erbschaftsteuer zeigt sich: Wer ihre Regeln kennt, kann sie gezielt nutzen. So bleibt möglichst viel Vermögen für die nächste Generation übrig.
von Niklas Hoyer

Gerade in der Bundesrepublik galt lange der eherne Satz: Über Geld spricht man nicht. Erst in den vergangenen Jahren ist das Thema salonfähig geworden: Dank Spendenaufrufen in ICE-Reiseplänen, dank Werbeanzeigen in Lokalzeitungen, auch dank Ausstellungen und Veranstaltungen der großen Kirchen im Lande ist ein Feld entstanden, das die spenden- und erbesammelnden Organisationen heute bewirtschaften können.

Über Geld spricht man in Deutschland inzwischen eben doch, wenn auch weiterhin höchst pietätvoll, würdig, mit der gebotenen Unaufdringlichkeit: etwa in der evangelischen Ausstellungsreihe „Was bleibt“ in Witten. Auf der Seniorenmesse „Die 66“ in München. Oder auf der Veranstaltung „Leben und Tod“ in Bremen, wo sich auch die Initiative „Mein Erbe tut Gutes“ der potenziellen Kundschaft präsentiert.

Tue Gutes und mache es bekannt

Susanne Anger, zupackend, fröhlich, hat diesen Kreis 2013 ins Leben gerufen. An „Mein Erbe tut Gutes“ ist dann auch tatsächlich nichts verdruckst, nichts schamvoll – im Gegenteil. Aus Angers Hand gibt es einen edlen Bildband, in dem Prominente wie Friede Springer, Wim Wenders oder Reinhold Messner erzählen, was Vermächtnis für sie bedeutet. Regelmäßig veranstaltet die Initiative Infoabende zu Fragen rund ums Stiften und Vermachen. Eine Postkarte, die überall verteilt wird, ziert die hübsche, zarte Zeichnung eines Apfelbaumes, daneben prangt nur eine Frage: „Was wäre Ihr letztes Geschenk an die Welt?“

Im Grunde ist das Angers Absicht in einem Bild zusammengeführt: den Gedanken ans soziale Vererben wie einen Samen in die Köpfe zu pflanzen – und dann darauf zu hoffen, dass er aufblüht, irgendwann. Tue Gutes und mache es bekannt, ist ihr Credo, mit dem sie für mittlerweile mehr als 20 große soziale Organisationen um Erbschaften wirbt. „Es gibt eine neue Sehnsucht nach dem Bleibenden“, sagt Anger. Und ihre Klienten könnten sie mit Geld stillen. Die guten Absichten auf beiden Seiten, sagt sie, würden ja nicht schlecht dadurch, dass man sie betriebswirtschaftlich optimiere.

Es ist eine bemerkenswerte Professionalisierung: Selbst das finanzielle Nachleben wird den Regeln des Marktes unterworfen, auf dem der am meisten abbekommt, der am besten darum wirbt.

Immobilien im Familienbesitz lassen sich steuerfrei übertragen, wenn die Erben Vorgaben der Gerichte und des Gesetzgebers einhalten. Was Hausbesitzer und Immobilienerben über die Erbschaftssteuer wissen sollten.
von Martin Gerth

Fast 400.000 Deutsche sind Vermögensmillionäre, Tendenz: steigend. Schon heute hinterlässt ein Erblasser 300 000 Euro – im Schnitt. Geht das nicht an die nächsten Verwandten, machen die drei großen K das Rennen: Kinder, Krebs und Kranke. Ein Großteil des Spenden- und Erbschaftsaufkommens der vergangenen Jahre ging an die SOS Kinderdörfer. Es folgten die Deutsche Krebshilfe und die Stiftung Bethel, die sich um leidende Menschen kümmert. Doch auch mit kleinem Werbebudget lassen sich nicht nur die Herzen der Menschen öffnen, sondern auch ihre Portemonnaies. Wie das geht, lässt sich bei der Deutschen Fundraising Akademie lernen. Dort trifft man die Malteserin Monika Willich wieder. Die Fachfrau für Nachlassgewinnung steht an einem Novembermorgen in einem Berliner Konferenzsaal, vor einem guten Dutzend Zuhörer. Die niedersächsische Architektenkammer, die ihre eigene Stiftung finanziell aufpäppeln will, hat ebenso jemanden geschickt wie der Nabu oder Terre des Hommes. Eine Dame von der CDU erklärt, man betreibe zwar noch kein organisiertes Nachlass-Fundraising, bekomme aber öfters Erbschaften. Deshalb wolle sich die CDU nun professionalisieren. Es gebe schließlich viele Menschen im Land, die der Partei gerne etwas hinterlassen würden, „aus Dankbarkeit für die Demokratie“.

Nachlass ohne Testament
Streitereien zwischen Familienmitgliedern Quelle: Fotolia
Gesetzliche Erbfolge Quelle: Fotolia
Erben der ersten Ordnung Quelle: AP
Ehepartner Quelle: Fotolia
Witwe Quelle: Fotolia
Geschwister Quelle: dpa
Keine Kinder

Nachlass-Akquise, das lässt sich bei Frau Willich erleben, ist ein straff geführtes Business. Es geht um den effizientesten Zeitpunkt der Ansprache (nie vor dem 65. Geburtstag) und die optimale Farbwahl der Broschüre (immer dezent). Vor allem aber geht es darum, die Worte zu wägen: Nichts hassen die Menschen mehr als das Gefühl, ausgenommen zu werden. Erzählen aber wollen viele: über Kanarienvögel und Briefmarkensammlungen, über Enkel und Expartner, die leichte Jugend von heute und das schwere Leben von früher. Erste Pflicht der Nachlassinteressierten ist es deshalb, sich mit aufrichtiger Freude an Küchentische zu setzen und auf Couchgarnituren zu platzieren, Frankfurter Kranz und Bienenstich zu verspeisen, sich die Fotos und Urkunden zeigen zu lassen, die Zeugen sind eines langen, ereignisreichen Lebens.

Natürlich müssen sie bei alledem gut zuhören – und sich vor allem schnell einen Eindruck verschaffen davon, ob Aufwand und Ertrag in einem guten Verhältnis stehen: ob es also wirkliche Summen zu vererben gibt oder doch nur Hausrat zu entsorgen.

Das parteipolitische Geschacher um die Erbschaftssteuerreform kratzt leider argumentativ nur an der Oberfläche. Die Menschen interessieren andere als die von den Parteien behandelten Fragen, wie eine Untersuchung zeigt.
von Ferdinand Knauß

Die neue Spenderrepublik – sie ist nicht nur Ausdruck einer grassierenden Nächstenliebe im Land. Sondern auch die ganz private Reaktion von Wohlhabenden und Gutgestellten auf die schwelende Umverteilungsdebatte. Geld kann befreien: auch von den letzten schweren Fragen. Muss ich tatsächlich der Nichte, die ohnehin schon viel hat, noch mehr geben? Bekommt der Staat eine Umverteilung der Vermögen hin – oder muss ich womöglich das meinige tun, damit es gerecht zugeht?

Am Ende eben auch: Was habe ich gewollt im Leben? Und so ist wohltätiges Vererben auch ein moderner Ablasshandel, bei dem sich mit Aktien und Banktransfers Bedeutung und Friede kaufen oder Charaktergüte beglaubigen lässt – Schuld und Sühne?

Rückkehr einer urdeutschen Tugend

Dabei ist Willichs Fundraising-Kurs im Grunde nur Nachhilfe in einer Disziplin, die die Deutschen einst meisterhaft beherrschten. Das professionelle Geldeintreiben und -verteilen im Auftrag des Guten, Schönen, Wahren wird heute gerne als Erfindung der Amerikaner beschrieben. Tatsächlich aber ist es eine urdeutsche Tugend, von der kaum jemand so fesselnd erzählen kann wie Rupert Graf Strachwitz.

Strachwitz empfängt nahe der Spree in der Bibliothek seines Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft. Vor gut einem Jahr erst hat er ein Forschungsprojekt über „Lebenssinn und Erbe“ abgeschlossen. „Der Mensch“, sagt Strachwitz, „ist ohnehin ein schenkendes Tier. Etwas zu geben ist eine anthropologische Konstante.“ Die Erschütterungen zweier Weltkriege und die Zerstörung der Vermögen würden bisweilen den Blick darauf verstellen, dass die philanthropische Tradition hierzulande reich und alt sei. Davon künde doch die Fuggerei in Augsburg, die 1521 gegründete erste Sozialsiedlung der Welt, oder das Städel Museum in Frankfurt, das die Stadt dem Testament eines 1815 verstorbenen Bankiers verdanke.

Aber Strachwitz sagt auch: „Ich beobachte einen wieder erstarkten Trend zur Sinnsuche. Und das Bestreben, das Erbe in diesem Sinne auch selbst zu gestalten.“ Er hat dazu auch noch eine ganz konkrete Erklärung anzubieten: Viele Vermögende von heute seien in den Siebziger- und Achtzigerjahren sozialisiert worden, waren damals in Friedens- und Bürgerrechtsbewegungen engagiert. „Die Idee des autonomen, seine Welt selbst gestaltenden Bürgers übertrage sich nun im Alter auch auf die Organisation des eigenen Wohlstandes.“ Quasi als letzte Konsequenz der eigenen Biografie.

Die Frist für die höchstrichterlich angemahnte Reform der Erbschaftsteuer ist abgelaufen. Doch die Länderfinanzminister verweigern die Verabschiedung. Was für Firmenerben gut und was schlecht an der geplanten Reform ist.
von Andreas Toller

Für Papstbesucher und Unternehmer Gies war das auch der einzig gangbare Weg. Sein Leben lang hat er ja selbst entschieden, wie und wo er hilft. Und da, wo eben das schwierig wurde, bei der Unesco etwa, World Vision oder der Kindernothilfe, da hat er immer „genau hingeschaut, wo das Geld bleibt“, nach Belegen gesucht, nachgefragt, die Zahlen geprüft.

Als nach dem Ende seiner Karriere bei 3B dann die Gelegenheit kam, stand Gies’ Entschluss fest: eine eigene Stiftung. Er ging zur Hamburger Sparkasse, ließ sich beraten – und entschied sich für eine Stiftung unter der Dachorganisation der Bank. Der Deal: In den ersten Jahren übernimmt das Geldinstitut die Geschäftsführung und die Buchhaltung. Gies kann sich derweil um weitere Unterstützer bemühen, um das Kapital aufzustocken. In einigen Jahren dann will er seine Stiftung von der Bank lösen. Einer seiner Söhne hat schon Interesse gezeigt, mit einzusteigen. „Mir geht es dabei nicht um Kontrolle“, sagt Gies , „aber ich will Einfluss darauf haben, was mit dem Geld passiert.“

Typisch Deutsch irgendwie – auch das.

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