Verschuldung Städte und Gemeinden vor der Pleite

Der Abschwung trifft Städte und Gemeinden ins Mark: Diverse Dienstleistungen für die Bürger werden gestrichen. Um den Kollaps der Kommunen zu verhindern, fordern Politiker jetzt einen weiteren Rettungsschirm. Es drohen höhere Steuern.

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Starker Süden (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Düsseldorf stellt die Erweiterung seines Aquazoos zurück. Bochum, das zur Ruhr.2010-Kulturregion gehört, legt den Neubau eines Konzerthauses auf Eis. Bonn will die Gebühren für Kindergärten anheben und den „Bonn-Ausweis“ für sozial schwache Bürger abschaffen. Herzogenaurach streicht seinen Baubetriebshof zusammen, der die städtischen Straßen instand hält und die Grünflächen pflegt. Schwerte will die Grundsteuer um 30 Prozent erhöhen.

Die Krise erreicht die Bürger. Direkt vor der Haustür, in den Kommunen. „Nach der Finanzkrise und der Wirtschaftskrise beginnt nun die Staatskrise“, sagt Jobst Fiedler von der Hertie School of Governance in Berlin. Und als Erstes „sind die Städte und Gemeinden dran“, beobachtet Otto Fricke (FDP), oberster parlamentarischer Haushaltswächter im Deutschen Bundestag, „weil sie zu abhängig von der prozyklischen Gewerbesteuer sind“. Tatsächlich brechen die von den Kommunen erhobenen Gewerbesteuern dramatisch ein. Gleichzeitig steigen die Sozialausgaben. Allein die Unterkunftskosten für Hartz-IV-Empfänger dürften 2009 auf den Rekordwert von 14 Milliarden Euro steigen, schätzt der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB).

Kommunen rufen um Hilfe

Dies klingt angesichts allgemein leerer Haushaltskassen und einer Rekordneuverschuldung von mehr als 120 Milliarden Euro für die gesamte öffentliche Hand in diesem Jahr zunächst wenig spektakulär. Doch die Kommunen stecken in einem engen finanziellen Korsett: Sie dürfen im Gegensatz zu Bund und Ländern keine Schulden machen, auch wenn viele Kommunen schon seit Jahren am (eigentlich illegalen) Tropf kurzfristiger Kassenkredite hängen, einer Art Dispokredit im Volumen von inzwischen insgesamt 30 Milliarden Euro. Und sie haben kaum Spielraum beim Erheben eigener Steuern.

In ihrer Not fordern Städte und Gemeinden jetzt Hilfe aus Berlin. Geschäftsführer Gerd Landsberg vom DStGB, der die kleineren Städte und Gemeinden vertritt, ruft nach einem „Rettungsschirm für die Kommunen“. Auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) plädiert für „eine nationale solidarische Anstrengung, bei der Bund und Länder die Kommunen gerade bei den krisenbedingten Sozialmehrausgaben unterstützen“. Womöglich führt die Krise der Kommunen aber auch zu einer Neuordnung der kommunalen Steuern.

Gewerbesteuer-Einnahmen werden wegbrechen

Wegen der starken Abhängigkeit von der Gewerbesteuer trifft die Weltwirtschaftskrise auch Gemeinden, die bisher keinerlei Finanzprobleme kannten. Das fränkische Städtchen Herzogenaurach zum Beispiel, Sitz der drei Weltunternehmen Adidas, Puma und Schaeffler. Die bescherten dem Ort in der Nähe von Nürnberg vor der Krise einen unvergleichlichen Wirtschaftsboom und hohe Steuereinnahmen. Nun aber hat der von Schaeffler eingefädelte Versuch, den viel größeren Konkurrenten Continental zu übernehmen, das einst so erfolgreiche Familienunternehmen an den Rand des Abgrunds gebracht.

Auch wenn viele Herzogenauracher ihre Patronin Maria-Elisabeth Schaeffler in Schutz nehmen und die Schuld an der Misere der Finanzkrise zuschieben – die Schieflage des größten Arbeitgebers (8.000 Beschäftigte am Ort) reißt das ganze 24.000-Einwohner-Städtchen mit nach unten. Dass der Betrieb seit Monaten Kurzarbeit schiebt und die Leute weniger verdienen, merken vor allem die Wirte und Einzelhändler. Außerdem muss die Stadtkasse auf Einnahmen des wichtigsten Steuerzahlers verzichten: „Ich gehe davon aus, dass Schaeffler in den nächsten fünf Jahren für uns als Gewerbesteuerzahler ausfällt“, sagt SPD-Bürgermeister German Hacker.

Finanzmetropole Frankfurt Quelle: dpa

Sindelfingen, dank Daimler vor Jahren mal eine der reichsten Kommunen Europas, erlebt eine noch heftigere Schussfahrt. Ständig werden im Rathaus Anträge auf Gewerbesteuerrückerstattungen eingereicht. 86 Millionen Euro aus früheren Jahren musste die 61.000 Einwohner zählende Stadt bisher zurückzahlen und dürfte mit einem Minus von 14 Millionen Euro bundesweit eine der wenigen Kommunen mit einem negativen Gewerbesteuer-Ansatz sein. „Nie im Leben hätte ich einen solchen Einbruch erwartet“, sagt der Erste Bürgermeister Helmut Riegger, „das kann keine Stadt verkraften.“

Andere Kommunen haben schon lange keine guten Zeiten mehr erlebt. Vor allem im nördlicheren Teil der Republik und im Ruhrgebiet kämpften die Stadtkämmerer selbst in florierenden Wirtschaftszeiten wie 2007 mit tiefroten Zahlen und hielten sich mit Kassenkrediten über Wasser. Insgesamt 43 Städte und Gemeinden haben allein in Nordrhein-Westfalen eine derart wackelige Finanzlage, dass sie sich ihre Haushaltspläne von der jeweiligen Bezirksregierung genehmigen lassen müssen. Zu den unglücklichen Spitzenreitern zählt Wuppertal. Schulden der 350.000-Einwohner-Stadt zu Beginn der Wirtschaftskrise: 1,5 Milliarden Euro. Laufendes Defizit: 217 Millionen Euro bei einem Gesamtetat von 1,1 Milliarden. Rückgang der Gewerbesteuer 2009: 33 Prozent.

Kein Ausweg aus den Schulden

Essen, die größte Stadt im Revier (knapp 590.000 Einwohner), gibt jährlich 225 Millionen Euro mehr aus, als sie einnimmt. Die Stadt ist so ausgelaugt, dass selbst die zentrale Position des Kämmerers ein Jahr lang nur vertretungsweise besetzt wurde. Oberhausen war noch abhängiger von der Kohle- und Stahlindustrie, verlor die Hälfte ihrer 100.000 Arbeitsplätze. „Wir kommen aus dem Schuldenproblem nicht heraus“, sagt Kämmerer Bernhard Elsemann. Besonders ärgert er sich über den Solidarfonds Deutsche Einheit. Oberhausen hat insgesamt 200 Millionen Euro in den Topf eingezahlt, jeder einzelne Euro ist kreditfinanziert. „Das ist so, als würde man einem Hartz-IV-Empfänger eine Steuer abverlangen, für die er dann einen Kredit aufnehmen muss“, sagt Elsemann.

Diskussion um Gewerbesteuer und Grundsteuer

Die Stimmung ist aufgeladen. Petra Roth (CDU), Frankfurter Oberbürgermeisterin und Präsidentin des Deutschen Städtetages, fordert, dass „Gewerbesteuer und Grundsteuer weiter gestärkt werden“. Insbesondere die Befreiung der Freiberufler von der Gewerbesteuer nimmt der Städtetag aufs Korn. Schützenhilfe leistet dabei das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das auch eine Erhöhung der Grundsteuer in die Diskussion wirft, die Eigenheimbesitzer und Mieter gleichermaßen treffen würde.

Die Wirtschaft reagiert verärgert. „Eine neuerliche Verbreiterung der Gewerbesteuer-Bemessungsgrundlage lehnen wir ab“, sagt der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Hans Heinrich Driftmann. Schon die jüngsten Hinzurechnungen von Mieten, Zinsen, Pachten, Leasingraten und Lizenzen „verschärfen die Probleme der Betriebe in der Krise“. Unternehmen, die Verluste schrieben, müssten dadurch trotzdem Gewerbesteuer entrichten und verlören wertvolles Eigenkapital.

Wuppertaler Schwebahn. Die Quelle: AP

Auch Anwälte, Architekten und Ärzte sind erbost. „Wir ärgern uns, dass einige Kommunen immer wieder so einen Mist auftischen“, sagt Arno Metzler, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Freien Berufe. Schließlich habe schon das Bundesverfassungsgericht die Gewerbesteuerbefreiung von Freiberuflern grundsätzlich für zulässig erklärt. Metzler: „Wir sind nicht gewerbetreibend.“

Gemeinsam plädieren Kommunen und Wirtschaft für eine Neuaufteilung der Gemeinschaftssteuern, die sich Bund, Länder und Kommunen teilen. Dazu zählen zum Beispiel die Mehrwertsteuer und die Einkommensteuer. DIHK-Präsident Driftmann fordert hier, den Kommunen einen größeren Anteil einzuräumen oder, besser noch, eine kommunale Gewinnsteuer mit Hebesatzrecht. Die Kombination beider Instrumente „würde Betrieben und Kommunen gerecht“.

Hoffnung für die Kommunen

Davon will aber die Bundesregierung wenig wissen. Die große Koalition konzentriert sich vielmehr auf ihr eigenes Ende im September. Sollte die FDP anschließend mit der Union regieren, wäre eine solche Reform gut möglich. Haushaltspolitiker Fricke ist dafür, die Kommunen von der immer noch zu konjunkturabhängigen Gewerbesteuer zu befreien. Ein eigenes Hebesatzrecht bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer würde der Liberale bevorzugen. Natürlich aufkommensneutral, schließlich will er Bürger und Unternehmen nicht zusätzlich zur Kasse bitten. Auch ein größerer Anteil am Umsatzsteuerkuchen sei eine Option für dauerhaft berechenbarere Einnahmequellen, meint der Politiker.

Eine Hoffnung will Fricke den Kommunen aber jetzt schon nehmen: dass Bund und Länder den finanzschwachen Städten und Kreisen mit neuen Finanzspritzen aus der Krise helfen. Einen Schutzschirm für verschuldete Kommunen hält auch Regionalforscher Martin Junkernheinrich von der Universität Kaiserslautern für wenig hilfreich: „Einfach nur Geld ins System pumpen bringt wenig. Dann steht man in wenigen Jahren wieder vor dem gleichen Problem.“

Raus aus der "Vergeblichkeitsfalle"

Föderale Hilfe sei jedoch in anderer Weise nötig – bei den Kassenkrediten. Hier tickt die nächste Bombe. Denn die in immer größerem Maße genutzten Kassenkredite sind kurzfristig und unterliegen nahezu unmittelbar den Zinsschwankungen am Markt. Und wenn die Zinsen demnächst wieder anziehen, „tappen die Kommunen in eine klassische Zinsfalle“ (Fricke). Deshalb schlägt der Haushaltspolitiker eine „Umschuldungsaktion“ in Zusammenarbeit mit den kommunalen Aufsichtsbehörden vor.

So etwas möchte wohl auch die staatliche KfW-Bankengruppe als neues Geschäftsmodell anbieten. Wie das Bundesfinanzministerium auf eine parlamentarische Anfrage des FDP-Abgeordneten Frank Schäffler mitteilt, wird derzeit geprüft, ob die KfW „kommunalen Gebietskörperschaften Liquiditätskredite zur zinsgünstigen Finanzierung von Kassenkrediten“ anbieten könne. Mancher Sparkasse oder manch anderem Kreditinstitut könnte dann ein sterbenskranker, aber nicht totzukriegender kommunaler Kunde verloren gehen.

Viele hoffnungslos verschuldete Kommunen könnte eine Neuordnung der Finanzen auch aus ihrer „Vergeblichkeitsfalle“ befreien, wie Finanzforscher den unheilvollen Mix aus immer teureren Pflichten, schrumpfenden Einnahmen, steigenden Schulden und erdrückenden Zinslasten nennen. Nicht wenige Kämmerer haben erlitten, wie ein einziger Abschwung mit sinkenden Steuereinnahmen die Sparanstrengungen mehrerer Jahre zunichte gemacht hat.

Ohne Gewerbesteuer läuft nichts (zur Vollansicht bitte auf die Grafik klicken)

Dennoch können auch die Kommunen ihren Teil zur Gesundung der Finanzen beisteuern, sagt Junkernheinrich. Insbesondere müssten sie ihre Auf- und Ausgaben durchforsten. „Gerade in Ballungsräumen“, so der Forscher, „gibt es genügend Möglichkeiten, Theater, Schwimmbäder, Sportplätze und dergleichen über die Städte zu verteilen. Nicht jede Stadt braucht ein eigenes Schauspielhaus.“

„Viele Kommunen leisten sich noch immer einen viel zu großen Verwaltungsapparat“, ergänzt Gerd Bunzeck von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Deloitte. Für Gemeinden mit bis zu 40.000 Einwohnern könne es beispielsweise interessant sein, ihre interne Personalverwaltung zusammenzulegen.

Fünf bis zehn Prozent an Effizienzreserven könnten Städte und Gemeinden generell noch mobilisieren, schätzt der Finanzwissenschaftler Fiedler und fügt hinzu: „Die letzten Jahre mit ihren sprudelnden Steuereinnahmen waren für viele Kämmerer eine Verführung.“

Verbesserungsfähig sei vielfach auch das Vertrags- und Projektmanagement, sagt Bunzeck. Seine Heimatgemeinde Inden bei Aachen ruinierte sich beinahe wegen des Baus eines Aussichtsturms, da vor gut einem Jahr die Stahlpreise in die Höhe geschnellt waren. In der Zwischenzeit sind die Stahlpreise wieder gesunken, der 36 Meter hohe Turm kann zu Ende gebaut werden.

Mehr Elan bei Konjunkturprogrammen gefordert

So manche Kommune sollte auch bei ihrem Finanzmanagement besser aufpassen. Ausgerechnet die Finanzmetropole Frankfurt verlor bei der Lehman-Bankenpleite 95 Millionen Euro. Kein Pappenstiel, zumal in Frankfurt in diesem Jahr wegen der Bankenkrise die Einnahmen bislang um fast drei Viertel zusammengebrochen sind.

Einen gewissen Ausgleich für ihre krisenbedingten Ausfälle erhalten die Kommunen über die beiden Konjunkturpakete der Bundesregierung. Rund 13 Milliarden Euro stellt Berlin für Sanierungs- und Infrastrukturmaßnahmen zur Verfügung.

Aber auch bei den Konjunkturprogrammen könnten die Kommunen mehr Elan zeigen, meint Metzler nicht ganz uneigennützig und denkt an Aufträge für Architekten und Ingenieure. Die Kommunen müssten, soweit noch nicht geschehen, „endlich mit ihren Konjunktur- und Infrastrukturprojekten loslegen“.

Tatsächlich gehen die Kommunen höchst unterschiedlich an die Konjunkturpakete heran. Dortmund zum Beispiel bestellte gleich sofort zahlreiche Bürocontainer noch zu Schnäppchenpreisen, um dort im nächsten Schuljahr Schüler vorübergehend einzuquartieren, während die Schulen saniert werden. Die Krefelder dagegen kamen noch immer nicht in die Puschen.

Mehrausgaben steigen weiter

Wegen der ökologischen Vorgaben des Bundes, der aus verfassungsrechtlichen Gründen keine kommunalen Infrastrukturmaßnahmen fördern darf, dauern die Projektvorbereitungen bis zu zwölf Monate. „Die Kommunen müssen die Bearbeitungszeiten verkürzen“, fordert Metzler. Darum spricht sich der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Freien Berufe für „eine Urlaubssperre bei den kommunalen Planungs- und Vergabestellen in diesem Sommer“ aus.

Eine echte Kompensation bedeuten die Konjunkturprogramme allerdings nicht, heißt es beim Städte- und Gemeindebund. Das werden auch die Bürger merken. Denn für ganz simple Reparaturen fehlt das Geld. Die Zahl der Schlaglöcher wird in der Wirtschaftskrise zunehmen, so der Verband, sofern sich die Ausbesserungsarbeiten nicht als Lärmschutzmaßnahmen etikettieren lassen.

Die nächste Ausgabenkeule kreist bereits über den Kommunen. Die Tarifverhandlungen für Kindergärtnerinnen machen den Kämmerern Sorgen. Sollte sich die Gewerkschaft Verdi einigermaßen durchsetzen, dürften sich die Mehrausgaben für die Kommunen auf fast eine Milliarde Euro summieren.

Auch die übernächsten Ausgabenzuwächse sind bereits programmiert. Wegen der zunehmend gebrochenen Erwerbsbiografien sind immer mehr Rentner auf eine ergänzende Grundsicherung angewiesen. Die Kommunen zahlten dafür 2003 erst 1,3 Milliarden Euro, in diesem Jahr dürften es schon vier Milliarden sein.

Sisyphos wäre heute wahrscheinlich ein Stadtkämmerer.

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