Verschuldung "Was ist, wenn Ihre Stadt pleite geht?"

Viele Kommunen sind haushoch überschuldet. Um an günstige Kredite zu kommen, gehen sie inzwischen ungewöhnliche Wege. Denn dass die Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist, glauben ihnen längst nicht mehr alle.

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Viele Kommunen im Ruhrgebiet sind stark verschuldet. In Essen soll nun eine Anleihe Abhilfe schaffen Quelle: dpa

Am Ende klingt Lars-Martin Klieve richtig euphorisch: „Dass wir die Anleihe zu diesen Zinssatz platziert bekommen, hätte ich nicht erwartet.“ Klieve (CDU) ist Kämmerer der Stadt Essen und hat mit dem Thema Euphorie berufsbedingt eher selten zu tun. Die Stadt ist mit 3,4 Milliarden Euro verschuldet, mehr als zwei Milliarden Euro muss er sich jedes Jahr alleine leihen, um die laufenden Ausgaben decken zu können. Und jetzt das: Investoren haben eine Anleihe der Stadt gezeichnet, zu einem Zinssatz von gerade einmal 1,125 Prozent. „Das sind nur rund 20 Basispunkte mehr als das Land bezahlen muss“, jubelt Klieve.

Gemeinsam mit fünf anderen Städten aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land hat der Kämmerer etwas probiert, was bisher ziemlich unüblich ist unter deutschen Kommunen: Die Finanzierung über eine gemeinsame Anleihe. „Ruhr-Anleihe“ haben sie das Ding genannt, bis zu 500 Millionen Euro wollten sie so refinanzieren.  Im vergangenen Jahr hatten Nürnberg und Würzburg so etwas probiert, aber prosperierende bayrische Universitätsstädte sind etwas anderes als die Schuldenhochburgen aus dem Ruhrgebiet.

Anleihe aus Not

Auch wenn Klieve mit seiner Anleihe jetzt Erfolg gehabt hat, dieser neue Trend ist ein Zeichen für eine Entwicklung, über die sich viele Städte längst große Sorgen machen. Denn die Idee der Finanzierung über Anleihen hat ihren Ursprung in der Not. Denn es finden sich immer weniger Kreditgeber, die den Städten Geld leihen wollen. Während wir vor einigen Jahren noch rund zwanzig Angebote für einen Kredit bekamen, ist es heute oft nur noch eine Handvoll“, räumt Klieve offen ein. „Es ist damit zu rechnen, dass sich die Margen in den kommenden Jahren noch weiter erhöhen, wenn sich die Entwicklung bei den Kreditgebern fortsetzt.“

Deutsche Schuldenhochburgen

Gerade in NRW, wo die Schulden der Städte besonders hoch sind, sorgen in den vergangenen Jahren  immer wieder scheinbar kleine Meldungen für viel Gerede. Im vergangenen Herbst fragte eine Sparkasse beim Innenminister nach, wie es denn eigentlich um den Haftungsverbund zwischen Kommunen und Land bestellt sei, es folgte eine Ausschusssitzung im Landtag zum Thema.  Schon 2011 kündigte eine Regionalbank an, sich ganz aus dem Geschäft mit Kommunen zurückzuziehen die überschuldet sind. Die vielen kleinen Meldungen ergeben inzwischen das große Misstrauen: Immer weniger Banken sind bereit, hoch verschuldeten Städten Geld zu leihen.

Dahinter stecken zum einen die veränderten Regulierungsanforderungen. Die Basel-III-Regeln sehen vor, dass die Banken in den nächsten Jahren ihre Eigenkapitaldecke deutlich aufstocken müssen. Selbst wenn Kommunalkredite da als verhältnismäßig bombensicher gelten, spüren die Kämmerer eine deutlich wachsende Zurückhaltung. Viel heikler aber ist die Frage, die im Hintergrund immer eine Rolle spielt. Wie sicher ist eigentlich, dass eine Kommune immer ihre Kredite zurückzahlt? Schließlich war eine Lehre der Finanzkrise: Nur weil eine Sache schon immer funktioniert hat, muss sie nicht für immer klappen.

Große Unsicherheit unter Investoren

Bundesländer müssen Gürtel enger schnallen
Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse schreibt vor, dass die Bundesländer ab 2020 ohne neue Schulden auskommen müssen. Bis dahin sollte der Haushalt strukturell ausgeglichen sein. "Der Vergleich der sehr unterschiedlichen finanziellen Rahmenbedingungen der Bundesländer zeigt, wo die Konsolidierung der Länder- und Kommunalfinanzen ansetzen kann", kommentiert PwC-Vorstandssprecher Norbert Winkeljohann. In der Studie wurde auf Basis der Finanzsalden 2011 berechnet, in welchem Maß Länder-und Kommunalausgaben bis 2020 sinken beziehungsweise steigen sollten. Dabei wurden Steuereinnahmen, Mittel aus dem Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen berücksichtigt und die Ausgabenseite um Zins-und Pensionsverpflichtungen bereinigt. Quelle: dpa
Saarland & BremenDie beiden kleinsten Bundesländer, Bremen und das Saarland stehen vor den größten Herausforderungen. Ihre Ausgaben liegen heute über dem Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer. Diese müssen bis 2020 real gesenkt werden, um die Schuldenbremse noch zu erreichen. "Wichtig für beide Länder ist, dass sie sich in ihrem Ausgabeverhalten an den jeweils für den Aufgabenbereich effizientesten Ländern orientieren und nicht am Durchschnitt der Flächenländer West", erklärt Alfred Höhn, PwC-Partner und Leiter des Bereiches öffentlicher Sektor. Vor allem aufgrund von Zins-und Pensionsverpflichtungen werden sie 2020 deutlich weniger finanzielle Mittel zur Verfügung haben als andere Bundesländer. Der Stadtstaat Bremen musste beispielsweise im Jahr 2011 knapp ein Drittel seiner Finanzmittel für Zinsen und Versorgung verwenden. Anders wäre es, wenn Schulden und Versorgungslasten nicht berücksichtigt werden: Da hätte Bremen 2020 ein Drittel mehr an Kopfmasse pro Jahr zur Verfügung als das durchschnittliche Land. Quelle: dpa
Bayern und Baden-WürttembergGemeinsam mit Hamburg und Hessen gehören die beiden südlichsten Bundesländer zu den Geberländern im Länderfinanzausgleich. Die Länder sind in der günstigen Situation, die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen. So könnte Baden-Württemberg dann rund sechs Prozent, Bayern elf Prozent mehr pro Einwohner ausgeben als der Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer. Schulden würden sie dann trotzdem nicht machen. Bayern gibt pro Einwohner 219 Euro in der Kernverwaltung aus. Das sind mehr als 100 Euro mehr als in Hessen. Quelle: dpa
Sachsen-Anhalt & OstdeutschlandDas ostdeutsche Bundesland wird in den kommenden Jahren mit einem erheblichen Bevölkerungsrückgang rechnen müssen. Ein Zehntel seiner Einwohner wird Sachsen-Anhalt bis 2020 verlieren; die Bevölkerung in Bayern hingegen wird wachsen. Insgesamt hast Ostdeutschland - mit Ausnahme von Sachsen - vor erheblichen Herausforderungen stehen, die vor allem aus dem Bevölkerungsrückgang und dem hohen Ausgabenniveau resultieren, wie PWC in einem Interview auf seinem Internetauftritt mitteilt. Quelle: dpa
HessenDas westdeutsche Bundesland steht zum Beispiel mit Bayern auf der "Geberseite" im Länderfinanzausgleich und hat überdurchschnittlich hohe Einnahmen. Anders als Bayern muss Hessen seinen Haushalt bis 2020 deutlich stärker konsolidieren. Der Grund dafür liegt darin, dass Land und die hessischen Kommunen für die Kernverwaltung 352 Euro aufwenden. Außerdem sind in den meisten Aufgabenbereichen die Ausgaben höher als im Bundesdurchschnitt. Quelle: dpa
BerlinDie Bundeshauptstadt weist vor allem im Bereich der Personalausstattung erhebliche Unterschiede zu anderen Bundesländern auf. Nur 3,2 Vollzeitkräfte werden hier pro 1000 Einwohner beschäftigt. Eine deutliche Personalanpassung in den Behörden wie auch in den Verwaltungen sei durch massiven Bevölkerungsrückgang möglich. Berlin verwendet für Zinsen und Versorgung knapp ein Viertel seiner Finanzmittel. Quelle: dpa
Die Föderalismusreform hat Anfang 2009 beschlossen die Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland zu begrenzen. Deshalb haben Bund und Länder die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert und damit eine verbindliche Vorgabe geschaffen. Deshalb müssen die Haushalte in Zukunft ohne zusätzliche Kredite auskommen. Für die Bundesländer gilt eine Übergangsfrist bis 2020. Danach dürfen sie absolut keine neuen Schulden mehr machen. Sollte sich die wirtschaftliche Entwicklung schlechter werden, so dürfen allerdings neue Schulden aufgenommen werden. Diese müssen dann ausgeglichen werden, wenn sich die Wirtschaft wieder erholt hat. Quelle: obs

Kommunen, Land und Bund bestreiten zwar vehement, dass eine solche Option im Raum steht. „Der Haftungsverbund zwischen Städten und Land findet seine verfassungsrechtliche Grundlage schon darin, dass die Kommunen staatsrechtlich Teil der Länder sind“, sagt Kämmerer Klieve. Der Landesfinanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) äußert sich ähnlich resolut. Aber er weiß auch: In Thüringen stand die Landesregierung schon einmal kurz davor, eine Gemeinde einfach für zahlungsunfähig zu erklären. Nur der laute Protest des Bundes und der anderen Landesminister verhindert dies. Denn rechtlich ist die Sache tatsächlich klar. Alle Gebietskörperschaften haften füreinander, punkt.

Doch solche Ereignisse schüren die Unsicherheit  unter möglichen Investoren. Um die Ruhr-Anleihe an den Mann zu bringen, machten die Ruhr-Kämmerer erstmals eine richtige Roadshow, wie man es sonst von internationalen Konzernen kennt. In Düsseldorfer und Frankfurter Nobelhotels  trafen deutsche Hundesteuereintreiber auf globale Finanzjongleure. „Denen musste ich verständlicherweise erstmal erklären, wie das deutsche Haftungssystem funktioniert“, sagt der Essener Kämmerer Klieve. Man kann es sich ausmalen.

Die Ruhr-Anleihe bringt Essen jetzt 112 Millionen Euro günstiges neues Geld. Für den Kämmerer ist das vor allem ein wichtiges Signal: „Das zeigt, dass diese Finanzierungsform Zukunft hat.“ Denn schon bald könnte eine Wiederholung anstehen. Anfang 2015 muss die Stadt eine 200-Millionen-Euro Anleihe ablösen, die sie 2010 alleine bei der WL-Bank platziert hatte. Das war damals als Modell versuchen interessant, aber finanziell mur bedingt attraktiv, wie aus den Worten des Kämmerers durchklingt: „Für Anleihen unter 200 Millionen lohnt sich der große Aufwand kaum.“ Und die Städte werden allesamt eher weniger als mehr Geld brauchen. Denn selbst wenn es ihnen gelingen sollte, ihre Haushalte nach und nach zu sanieren, so werden sie auch im besten Fall viele Jahre brauchen, um die angefallenen Altschulden zu tilgen. Und bis dahin dürften noch einige Roadshows nötig sein.

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