Eigentlich ist es wie immer, nur der anrauschende Bundestagswahlkampf lässt die Kampfrufe etwas deftiger, den Ton etwas lauter werden. Der Ärztetag tagt einmal im Jahr als oberste Instanz der rund 450.000 Mediziner im Land. Er birgt wenig Überraschungen. Das "Ärzteparlament" trifft sich dieses Jahr in Hannover und zeigt sich einmal mehr als Hort verlässlicher Selbstbestätigung.
Die Ärzte sind gegen eine Einheitsversicherung und gegen eine Zwei-Klassen-Medizin, heißt es. Natürlich - wer kann schon dafür sein. Doch solche Parolen helfen nicht weiter als bis zum nächsten Applaus. Unter den größeren Parteien will niemand eine einheitliche Kasse für alle. Dagegen gibt es seit Jahren deutliche Zeichen, dass privat versicherte Patienten bei vielen Ärzten deutlich mehr Euphorie und Geschäftigkeit auslösen als jene mit der Versichertenkarte einer gesetzlichen Kasse.
Krankenversicherung so wie in der Schweiz
Die offiziellen Vertreter der Ärzte tragen wenig bei, wie die medizinische Versorgung in Deutschland künftig effizient, innovativ und finanzierbar gestaltet werden soll. Das liegt daran, dass Veränderungen die Lage für Mediziner im Vergleich zu heute eher unbequemer machen. Gut 15 Prozent zu deren Einnahmen tragen zumindest in Westdeutschland die Privatpatienten bei, deutlich mehr als ihr Anteil unter den Versicherten.
Die Bundesärztekammer will die Privaten so erhalten wie bisher, nur für die gesetzlichen Kassen zieht die Ständevertretung der immerhin 360.000 praktizierenden Mediziner zieht seit kurzem mit einem aufgefrischten Reformvorschlag durchs Land. Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery verlangt, dass jede Krankenkasse künftig unterschiedliche, aber für ihre Mitglieder einheitliche Pauschalen erheben. Die lägen dann zwischen 130 und 170 Euro. Wer das finanzielle nicht schaffe, solle einen Steuerzuschuss vom Staat bekommen. So ähnlich funktioniert die Krankenversicherung in den Niederlanden und der Schweiz. Nur dass dort eben nicht parallel noch ein System wie in Deutschland besteht, das hier private Krankenversicherung (PKV) heißt und vor allem Selbstständigen, Beamten und Gutverdienern offen steht.
Unter Fachleuten gilt das heutige System mit gut 72 Millionen gesetzlich und rund neun Millionen privat Versicherten auf die Dauer als nicht mehr überlebensfähig. Es ist sehr schräg und wird so in keinem anderen Land praktiziert: Aus dem allgemeinen, bei uns gesetzlichen System verabschieden sich die, die gut verdienen, die keine Kinder und keine gesundheitlichen Schwächen haben.
Bürgerversicherung führt in die richtige Richtung
Doch auch private Versicherungen und ihre Kundschaft fahren nicht immer gut mit der Zweiteilung. Im PKV-Verband tobt ein Streit, ob sich die Unternehmen künftig vor allem auf das Geschäft mit Zusatzversicherungen konzentrieren sollen. Für längst nicht alle ist die PKV noch ein gewinnbringendes Modell, schließlich nutzen Ärzte und Kliniken immer wieder solche Patienten, um besonders hoch und besonders viel abzurechnen. Und wer einmal im Privatsystem ist, kommt kaum noch raus. Versicherte klagen über seit Jahren stark steigende Prämien. Ruheständler haben Schwierigkeiten, steigende Beiträge mit ihrem geringeren Einkommen noch zu begleichen.
Deshalb ließe sich durchaus über ein Bürgerversicherung diskutieren, in der private wie gesetzliche Unternehmen ihr Angebot machen könnten. Ein Modell mit einkommensabhängigen Beiträgen wie bei SPD und Grünen mag nicht der Weisheit letzter Schluss und auch nicht "gerecht" sein. Doch kann eine Bürgerversicherung mit einkommensunabhängigen Prämien durchaus in die richtige Richtung führen. Für Chefarztbehandlung und Zusatzleistungen könnte es wie heute auch, Zusatzassekuranzen geben. Auch die heutige Kanzlerin Angela Merkel vertrat in ihrer mutigeren Zeit als Oppositionsführerin solche Ideen.
Bahr vermeidet heikle Fragen
Doch dafür sind Wahlkämpfe nicht gemacht. Da geht es um Versprechen an die eigene Wählerschaft statt um Veränderung, die nicht allen Vorteilen bringt.
Insofern macht Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) alles richtig. Er hat viel angestoßen in seiner Zeit an der Spitze des Gesundheitssystems. Die heiklen und längerfristigen Fragen vermied er dabei tunlichst. Im kleinen Kreis sagt er schon mal, dass er als Vertreter der FDP mit dem Ressort Gesundheit kaum neue Wähler gewinnen könne. Deshalb vermeidet er, bisherige Wähler zu vergraulen.
Eine reife Leistung ist dabei, dass die FDP eigentlich für eine Versicherung mit einkommensunabhängigen Beiträgen steht, zumindest will sie die gesetzlichen Versicherungen durch nennenswerte Zusatzbeiträge in die Konkurrenz mit anderen zwingen. Doch aktuell haben wir einen staatlich festgesetzten Kassenbeitrag von 15,5 Prozent des Bruttolohns, keine Zusatzbeiträge und Milliardenreserven im Gesundheitsfonds, die eigentlich den Kassenmitgliedern ausgeschüttet werden müssten. Doch die gesetzlich Versicherten zahlen, haben sie doch keine Alternative. Und die Profis im Gesundheitswesen meckern nicht. Zurzeit ist genug für alle da.