Versorgung in Gefahr? Diabetes-Gesellschaft schlägt Alarm

Die Deutsche Diabetes Gesellschaft sieht die Versorgung von Diabetikern in Gefahr und wünscht sich Änderungen im Gesundheitssystem. Würden diese umgesetzt, wären aber nicht unbedingt die Patienten die größten Profiteure.

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Nach Angaben der DDG sind in Deutschland 6,7 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt. Jährlich werden es etwa 300.000 Patienten mehr. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von etwa zwei Millionen Menschen. Quelle: dpa

Berlin An diesem Dienstagabend lädt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) zu ihrem Jahresempfang. Das Ambiente in den Räumen der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft ist exklusiv: Kronleuchter, Marmor, Kassettendecken – das gut 100 Jahre alte Haus wurde zur Jahrtausendwende aufwendig renoviert. Nur die Stimmung, die könnte gedrückt sein. Denn die DDG schlägt Alarm: Sie befürchtet, dass die „gute Versorgung von Diabetikern“ dem Rotstift zum Opfer fällt. Eine These, die unter Experten allerdings auch Widerspruch hervorruft.

Diabetes ist eine Volkskrankheit. Nach Angaben der DDG sind in Deutschland 6,7 Millionen Menschen an Diabetes erkrankt. Jährlich werden es etwa 300.000 Patienten mehr. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von etwa zwei Millionen Menschen. Für die Pharma-Industrie bedeutet das ein fettes Geschäft, für die Krankenhäuser und -kassen ist Diabetes ein Kostentreiber: Patienten mit Zuckerkrankheit kosten Deutschland nach Expertenberechnungen jährlich 33 Milliarden Euro.

Um diese Kosten wird gerungen. „Schleichend und leise“ würden Krankenhäuser geschlossen und Betten der diabetologischen Fachabteilung abgebaut, berichtet der ehemalige DDG-Vorstandsmitglied Erhard Siegel auf der Jahrespressekonferenz der Fachgesellschaft. Er ist Chefarzt für Innere Medizin in Heidelberg und weiß: „Kliniken machen mit internistischen und diabetologisch-multimorbiden Patienten nicht ausreichend Gewinn.“

Als Beispiel nennt Siegel einen Patienten, der infolge eines diabetischen Fußes mit einem entzündeten Zeh ins Krankenhaus komme. Würde dieser mit Antibiotika behandelt und dem Patienten Bettruhe verordnet, könnte das Krankenhaus für den gut dreiwöchigen Aufenthalt bestenfalls 3.000 Euro abrechnen. Würde der Zeh amputiert und der Patient nach fünf Tagen entlassen, gäbe es 6.000 Euro.

Hintergrund ist die Abrechnung der Kosten über Fallpauschalen. Diese wurden 2004 verbindlich eingeführt, damit die erbrachte Leistung und nicht die Verweildauer im Krankenhaus honoriert wird. Technische Leistungen wie chirurgische und interventionelle Eingriffe sind dadurch lukrativ und werden entsprechend vergütet, die sogenannte sprechende Medizin (also die Kommunikation mit dem Patienten) nicht. Von der lebt allerdings die Diabetologie. Siegel machte den Krankenhäusern keinen Vorwurf. „Krankenhäuser sind mittlerweile Unternehmen geworden und müssen auch so denken“, sagt Siegel. Die sprechende Medizin müsse deshalb im Fallpauschalen-System adäquat abgebildet werden.

Die Forderung nach höheren Fallpauschalen für die Behandlung von Diabetes ruft allerdings auch Verwunderung hervor. „Das wäre aus meiner Sicht ein Schritt zurück, weil wir eine flächendeckende ambulante Versorgung haben“, erklärt der Bremer Gesundheitsökonom Gerd Glaeske. Eigentlich sollen Diabetes-Patienten ambulant so behandelt und eingestellt werden, dass mögliche Folgeerkrankungen gar nicht auftreten. „Zugespitzt heißt das: In vielen Fällen landen die Patienten im Krankenhaus, weil die ambulante Versorgung nicht funktioniert hat“, erklärt Glaeske. Das Ziel müsse demnach sein, die ambulante Versorgung so zu verbessern, dass noch mehr Betten im diabetologischen Fachbereich abgebaut werden könnten.

Allerdings sieht der DDG auch in einem weiteren Feld Handlungsbedarf: beim Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (Amnog). Dieses sollte die rasant steigenden Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenkassen eindämmen. Seit der Einführung im Januar 2011 müssen Pharma-Hersteller den Zusatznutzen eines neuen Produktes nachweisen, den der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bewertet. Auf dieser Basis verhandeln Hersteller und Spitzenverband im ersten Jahr nach dem Markteintritt über den Preis.


Was die Pharmahersteller freuen würde

Produkte für Diabetiker enthalten vom G-BA allerdings deutlich seltener einen Zusatznutzen zugesprochen als der Durchschnitt. In der Summe aller Fälle sind es 60 Prozent, bei den Diabetes-Medikamenten hingegen 88 Prozent. In diesem Fall wird für die Preisverhandlung der Preis einer Vergleichstherapie angesetzt. Bei Diabetes liegen diese im Cent-Bereich. Für die Hersteller lohnt sich dann aber die Produktion nicht mehr, seit der Amnog-Einführung nahmen sie deshalb fünf Produkte wieder vom deutschen Markt. DDG-Sprecher Dirk Müller-Wieland bedauert das: „Ich kann das verstehen. Aber das bedeutet, dass das therapeutische Spektrum zur Behandlung in den allermeisten Ländern größer ist als in Deutschland.“ Für den Patienten habe das negative Auswirkungen.

Müller-Wieland verweist auf das Beispiel des Medikaments Synjardy. Dieses war eine sogenannte Fix-Kombination von zwei Wirkstoffen in einer Tablette. Zwar bestätigte der G-BA dem darin enthaltenen Empagilflozin einen Zusatznutzen, nicht aber der Kombination. Die Patienten müssen jetzt wieder zwei einzelne Tabletten nehmen. „Die Einnahmetreue der Patienten geht aber drastisch nach unten, wenn sie drei, vier, fünf oder sechs Tabletten nehmen müssen“, sagt Müller Wieland. Ihn stört die rigide Auslegung des Gesetzes, Fachgesellschaften wie die DDG und Betroffene müssten bei der Entscheidung über den Zusatznutzen eines Medikaments deshalb eingebunden werden.

Dass ein Medikament vom Markt zurückgenommen wird, heißt allerdings nicht zwingend, dass die Versorgung schlechter wird, erklärt die Essener Gesundheitsökonomin Katharina Fischer: „Es sind ja Alternativen vorhanden.“ In der Diabetologie seien schon einige Therapieoptionen vorhanden. Hinzu komme: „Bei Diabetes ist es im Vergleich zu anderen Therapiegebieten im Rahmen der Amnog-Nutzenbewertung schwierig, messbare Verbesserung in Mortalität oder Morbidität nachzuweisen“, sagt Fischer.

Auch bei Gerd Glaeske trifft die Kritik am Amnog auf Widerspruch. „Aus einem nicht zugesprochenen Zusatznutzen das Argument abzuleiten, dass der Fehler beim Amnog liegt, halte ich für abenteuerlich. Vielmehr muss man doch fragen, warum die Hersteller keine Studie zu Stande bekommen, die den Zusatznutzen beweist.“ Und auch nachdem das Fixprodukt vom Markt genommen wurde, sei die Versorgung durch die beiden Einzelpräparate gewährleistet. Auch mangelnde Einnahmetreue sei kein Fehler des Amnog. „Das ist eine Frage der Erläuterung. Die Einnahmetreue ist immer auch ein Spiegel der Überzeugungskraft und Kommunikationsfähigkeit der behandelnden Ärzte“, sagt Glaeske.

Fände die Forderung der DDG trotzdem Gehör, würde das die Pharmaindustrie freuen. Denn nach einer Studie des Forschungs- und Beratungsinstituts IGES erkennen Fachgesellschaften in 84 Prozent der Stellungnahmen einen höheren Zusatznutzen eines neuen Medikamentes, die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft dagegen nur in 18 Prozent. Bislang können die Pharmaindustrie vom Markteintritt bis zur Überprüfung des Zusatznutzens nur ein Jahr lang an der Preisschraube drehen. Laschere oder spätere Kontrollen des Zusatznutzens würden den Zeitraum verlängern.

Anstatt mehr Geld in das System zu pumpen, könnte man allerdings auch Diabetes vorbeugen: über die Ernährung. In ihrer Jahrespressekonferenz sparte die DDG dieses Thema aus, doch in ihrem Jahresbericht schreibt sie, dass der wichtigste Risikofaktor für Typ-2-Diabetes und andere chronische Erkrankungen Übergewicht sei. Der DDG verweist auf einer Studie, wonach Studienteilnehmer, die täglich mehr als 250 ml eines zuckerhaltigen Getränks verzehrten, über acht Jahre sechsmal so viel zunahmen und ein fast doppelt so häufig an Diabetes erkrankten.

Günter Wältermann, der Chef der Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg, würde deshalb aus der steigenden Zahl der Diabeteskranken einen anderen Rückschluss ziehen. Er schlug zuletzt vor, eine Zuckersteuer einzuführen.

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