Verteidigung Bundeswehr-Reform ohne Konzept

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Grafik: Einsatzgebiete der Bundeswehr (bitte klicken)

Den Ausschlag geben vor allem zwei Faktoren: das Geld, das für die Truppe künftig zur Verfügung steht – und die Zahl der Freiwilligen, die als Soldaten auf Zeit geworben werden können. Über die Wehrpflicht kam die Armee bislang an junge Männer, aus deren Reihen sich Interessenten für einen längeren Dienst in den Streitkräften rekrutieren ließen. Ob als sogenannter Freiwillig Längerdienender oder als Zeit- und später als Berufssoldat: Unter denen, die erst einmal die Uniform angezogen hatten, fanden sich meist genug, die länger bleiben wollten.

Ohne diese Art der Nachwuchsgewinnung muss sich die Truppe neue Wege einfallen lassen – und hat dafür wenig Zeit. Zwischen dem politischen Grundsatzbeschluss, die Wehrpflicht auszusetzen, und ihrem Ende liegt gerade mal ein gutes halbes Jahr. Und ohne genügende Bewerber vor allem für die Mannschaften wackeln wichtige Auslandseinsätze wie in Afghanistan. Gut ein Jahr dauert die Ausbildung. Wer nicht in diesem Sommer unterschreibt, fehlt im kommenden Jahr für den Dienst am Hindukusch. Der Verzicht auf die Zwangseinberufung seit Anfang März wirkt sich bereits praktisch aus: Bataillone motten ihr Gerät zum Teil ein, manche machen gleich ein oder zwei Kompanien zu, wie die Gebirgsjäger in Mittenwald.

Geld bestimmt Truppenstärke

Entscheidend für die neue Truppenstärke wird jedoch, wie viel Geld der neue Minister bei seinem Kabinettskollegen Wolfgang Schäuble für die Finanzierung der kommenden Jahre aushandeln kann. Vergangenen Sommer hatte der damalige Ressortchef zu Guttenberg den Regierungsbeschluss mitgetragen, der der Bundeswehr für die Jahre bis 2014 insgesamt 8,3 Milliarden Euro Einsparungen auferlegt. Eine der Voraussetzungen dafür wurde die massive Personalreduzierung – durch den Verzicht auf Wehrdienstleistende sowie den Abbau von Zeit- und Berufssoldaten.

Nach der Sparklausur im vergangenen Sommer hatte Bundeswehr-Generalinspekteur Volker Wieker eine Planung für nur noch 163.500 Soldaten vorgelegt – eine Zahl, die die schwarz-gelbe Koalition so erschreckte, dass sie sich auf bis zu 20.000 Soldaten mehr verständigte. Oppositionspolitiker wie der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour halten allerdings auch Wiekers Sparplanung für eine ernstzunehmende Option: „Das bringt dauerhaft mehr als eine Milliarde Euro“, betont der Grüne. „Da gibt’s keinen Grund, das nicht zu fordern.“

Selten gestellt und noch seltener beantwortet wird die Grundfrage: „Wie viele und welche Art von Soldaten wollen wir wofür haben?“, beschreibt SWP-Berater Linnenkamp. „Das ist eine bislang ausgefallene Debatte.“ Zu Guttenberg hatte zwar schon vergangenes Jahr ein neues „Weißbuch“ zu den Grundsatzentscheidungen angekündigt, aber nie geliefert.

Kalter-Krieg-Ausrüstung

Die Bundeswehr, die de Maizière übernimmt, schleppt auch fast 20 Jahre nach Ende des Kalten Krieges und 18 Jahre nach dem ersten bewaffneten Auslandseinsatz in Somalia das Gepäck von Ausrüstung und Planung aus den Zeiten der Blockkonfrontation mit. In den Depots liegen 600 Marschflugkörper vom Typ Taurus, mit denen sich über Hunderte von Kilometern verbunkerte Leitstände des Gegners zielgenau treffen lassen – doch seit die potenziellen Angreifer Warschauer Pakt und Sowjetunion nicht mehr existieren, ist diese Reserve überflüssig. Dafür wartet die Truppe am Hindukusch sehnsüchtig auf neue Hubschrauber wie den Kampfhelikopter Tiger oder den Transporthubschrauber NH90 – dessen Typenbezeichnung schon klar macht, wann dieses Fluggerät geplant wurde. „Die Truppe steht im Einsatz, und der Hubschrauber hebt nicht ab“, umschrieb die Weise-Kommission plakativ das Problem. Die gepanzerten Fahrzeuge dort stehen häufiger bei den Kameraden von der Instandhaltung als im Feld. Das bisher vorhandene deutsche Material war für den Einsatz in der Lüneburger Heide gedacht, nicht für den zentralasiatischen Feinstaub.

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