Verteidigung Bundeswehr-Reform ohne Konzept

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Grafik: Ausgaben für die Bundeswehr

Die Stäbe der Teilstreitkräfte arbeiten seit Monaten an den Detailplanungen – auf der Grundlage einer angenommenen Truppenstärke von 185 000 Soldaten. Rund 60 000 Männer und Frauen dienen danach künftig im Heer, 22 700 bei der Luftwaffe. Die Marine kommt auf 13 400 Techniker, Matrosen und Offiziere, 38 800 Mann stark wird die Streitkräftebasis, in der die Unterstützungseinheiten zusammengefasst sind. Hinzu kommen 14 500 Soldaten im Sanitätsdienst und 35 500 Ausbildungsstellen für Uniformträger, zum Beispiel auf Lehrgängen.

Ob de Maizière damit die Gewichte richtig gelegt sieht – auch das ist offen. Wer „Vorsorge für die Sicherheit unserer Transport- und Kommunikationswege“ als wichtigen Teil der deutschen Sicherheitspolitik benennt, könnte beispielsweise Kürzungen bei der Marine ablehnen – weil der überwiegende Teil der deutschen Importe über den Seeweg kommt.

Schon jetzt klagt die kleinste Teilstreitkraft über Dauerbelastung. Der Kampf gegen die Piraterie am Horn von Afrika wird so schnell nicht beendet sein, ebenso wenig die Überwachung der libanesischen Küste oder die Präsenz deutscher Kriegsschiffe in den Nato-Verbänden. Und bisweilen kommen Befehle hinzu, die nicht militärisch begründet sind: Der Auftrag, mit zwei Fregatten und einem Einsatzgruppenversorger 412 aus Libyen geflüchtete Ägypter von Tunesien in ihre Heimat zurückzubringen, wäre mit zivilen Schiffen günstiger zu machen gewesen.

Nachdenken über Streichliste

Ohnehin müssen Minister, Ministerium und Truppe über eine „Priorisierung Materialinvestitionen“ getaufte Streichliste nachdenken. Es geht um Großprojekte wie den neuen Militärtransporter A400M und die noch offene letzte Tranche des Kampfjets Eurofighter, aber auch um bereits bestellte Systeme wie den neuen Schützenpanzer Puma oder die Fregatte F125. „Diese Liste muss de Maizière sich noch mal vorlegen lassen“, sagt SWP-Mann Linnenkamp. „Ich glaube nicht, dass er ohne Angebot an dieser Stelle die notwendige Anschubfinanzierung kriegt, wenn er alles andere beim Alten lässt.“

Die Rüstungsindustrie hat sich in den vergangenen Jahren ohnehin schon darauf einstellen müssen, ihr Hauptgeschäft nicht mehr mit der Bundeswehr zu machen: Die Zeiten großer Stückzahlen sind vorbei. Vom Puma soll das Heer nach derzeitiger Planung gerade mal 410 Stück abnehmen – vom Vorgänger Marder, auf dem auch der Panzergrenadier Thomas de Maizière in den Siebzigerjahren Dienst tat, gab es mehr als 2500 Exemplare.

Der Kampfpanzer Leopard ist zwar immer noch das Rückgrat der deutschen Panzertruppe – allerdings in wenigen Hundert Stück und nicht in der neuesten Ausführung. „Die Zeiten, als die Bundeswehr den modernsten Leopard hatte, sind vorbei“, sagt ein führender Manager der Rüstungsindustrie. Die Kanadier ließen sich gebraucht erworbene Leopard des niederländischen Heeres für den Einsatz am Hindukusch von deutschen Unternehmen auf den neuesten Stand bringen. Die Bundeswehr müsste, wenn sie ihre Kampfpanzer in Afghanistan einsetzen wollte, noch nachbessern: Den deutschen Modellen fehlt schon die Klimaanlage.

Zusätzlicher Finanzbedarf

Nicht nur die Unternehmen, die Landfahrzeuge fürs Militär bauen, wären inzwischen pleite, wenn sie nicht den Großteil ihrer Produkte exportieren würden. Attraktiv sind die deutschen Streitkräfte für die Industrie aber als Referenzkunde: Was deutsche Unternehmen im Ausland erfolgreich anbieten können, hängt nicht zuletzt davon ab, ob sie auf das deutsche Militär als Abnehmer verweisen können. Doch selbst für deutlich abgespeckte Bestellungen könnte es für die Truppe eng werden. Generalleutnant a. D. Jürgen Schnell, Professor an der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften der Bundeswehruniversität München, nahm sich zum Jahresbeginn die Planungs- und Einsparzahlen des Verteidigungshaushaltes vor. Schnells Fazit, als „begründete Vermutung“ bezeichnet, dürfte den neuen Minister nicht freuen: „Mit den vorgegebenen Finanzmitteln … ist eine bedarfsgerechte Reform der Bundeswehr mit einer Zielgröße von ca. 185.000 Soldaten bis 2018 nicht realisierbar. Der zusätzliche Finanzbedarf liegt in dem Zeitraum von 2011 bis 2018 in der Größenordnung von 15 Milliarden Euro.“

Ermutigend schrieb der Ex-General unter sein Papier: „Optimismus ist Pflicht.“

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