Die Rückkehr zu G9 hat allerdings einen Haken. Gerade diejenigen, die sich für ein gegliedertes Schulwesen einsetzen und meist von Anfang an skeptisch gegen G8 waren, fürchten, dass die schnelle Rückkehr eine unbeabsichtigte Nebenfolge haben könnte: Da an Gesamtschulen und Gemeinschaftsschulen in der Regel schon jetzt die Möglichkeit des Abiturs nach neun Jahren besteht, dürfte deren Attraktivität für Eltern bei Wiedereinführung von G9-Gymnasien weiter sinken.
Inge Röckelein, Rektorin einer Gemeinschaftsschule im saarländischen Lebach und bis vor kurzem Vorsitzende des Realschullehrerverbandes VDR-Saar befürchtet daher, dass sich die Hoffnung nicht erfüllen werde, durch G9 die Qualität der Bildung generell zu stärken: „Schon jetzt ist der Zustrom zum Gymnasium sehr groß, auch von Kindern, die am Ende der Klassenstufe 4 von ihrem Leistungsvermögen her den Anforderungen nicht gewachsen zu sein scheinen. Welche Motivation sollten Eltern künftig haben, ihr Kind nicht ins Gymnasium, sondern in eine Gemeinschaftsschule zu schicken, wenn am Gymnasium genauso wie an der Gemeinschaftsschule das Abitur nach neun Jahren gemacht werden kann?“
Ohne flankierende Maßnahmen, vor allem die Wiedereinführung verbindlicher Standards („Gymnasialempfehlung“ oder Eingangsprüfungen) für den Besuch des Gymnasiums werde, so Röckelein, „die Rückkehr zu G9 den Untergang der Gemeinschaftsschule befördern und geradewegs in die Einheitsschule führen. Damit wird das Gymnasium liquidiert, ohne es offiziell abzuschaffen.“
Ironie der Geschichte: Das jahrzehntealte Ziel grüner und linker Bildungspolitiker wäre mit Hilfe ausgerechnet von deren Gegnern verwirklicht worden.
Auch Marcus Hohenstein, im Hauptberuf Physiklehrer an einem Gymnasium, betont daher die Bedeutung der Durchsetzung von Bildungsstandards bei der Rückkehr zu G9. Ihm Hohenstein geht es nicht nur um die neun Jahre an sich, sondern vor allem darum, die zum akademischen Studium befähigende Qualität der Gymnasialbildung wieder herzustellen. Das gegenwärtige Abitur vermittle nur noch den „Anschein der Hochschulreife“, sagt er, „tatsächlich entspricht das Niveau des Abiturs in NRW nur noch in etwa dem des französischen Baccalauréats“. Die Behauptungen von Schulministerin Sylvia Löhrmann, die Kritik über die mangelhafte Studierfähigkeit vieler Abiturienten bei gleichzeitiger Inflationierung der Abiturnoten als unbegründet zurückwies, hätten „nichts mit der Realität zu tun“.
Löhrmann übrigens ist von Beruf Deutsch- und Englischlehrerin. Sie stand zuletzt 1995 vor einer Schulklasse.