Von der Leyen in Illkrich Chefsache Aufklärung

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen reist ins elsässische Illkirch, um den Fall des mutmaßlich rechtsradikalen Oberleutnants aufzuklären. Wie sich zeigt, war der Offiziersanwärter schon 2014 auffällig geworden.

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Berlin Maximale Aufklärung hat sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf die Fahnen geschrieben. Persönlich reiste sie ins elsässische Illkirch, den Ort, an dem Oberleutnant Franco A. stationiert war, der sich eine Zweitidentität als syrischer Flüchtling beschafft hatte und mutmaßlich einen Anschlag plante. Dass die Ministerin dafür ihre Reise zum US-Kollegen James Mattis nach Washington abgesagt hat, stößt im Verteidigungsausschuss inzwischen auf breite Zustimmung. „Vor Ort ist zwar nichts mehr aufzuklären“, sagte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. „Als Zeichen ist die Reise nach Illkirch aber durchaus hilfreich.“ Denn der Rechtsextremismus in der Bundeswehr habe zugenommen, 280 Fälle seien aktuell in der Bearbeitung. „Die neuen intelligenten Rechten versuchen, die Bundeswehr gezielt zu unterwandern“, sagte Arnold dem Handelsblatt.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich hinter den Aufklärungsansatz von der Leyens. „Die Verteidigungsministerin hat die volle Unterstützung der Bundeskanzlerin und der ganzen Bundesregierung dabei, alle Facetten dieses Falles Franco A. soweit sie die Bundeswehr betreffen aufzuklären“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin.

Was seit der Festnahme des 28-jährigen Franco A. über den laxen Umgang der direkten Vorgesetzten bekannt wurde, schockierte die Obleute im Verteidigungsausschuss parteiübergreifend, als sie sich am Dienstagabend über den Stand der Ermittlungen unterrichten ließen. Der CDU-Verteidigungspolitiker Henning Otte befürchtet, dass der terrorverdächtigen Bundeswehr-Offizier Teil einer Gruppe von Soldaten mit rechtsextremer Gesinnung war. „Man muss jetzt sehr genau untersuchen, inwieweit dort rechtsradikale Strukturen entstanden sind“, sagte Otte.

Franco A. agierte jedenfalls seit Januar 2014 keinesfalls unauffällig. Das zeigen seine erste abgelehnte Masterarbeit zum Thema „Politischer Wandel und Subversionsstrategie“, die der wissenschaftliche Gutachter als „nachweislich radikalnationalistischen, rassistischen Appell“ bewertete, „den der Verfasser mit einigem Aufwand auf eine pseudowissenschaftliche Art zu unterfüttern versuchte“, heißt es in dem Gutachten, das dem Handelsblatt vorliegt. Auch die Masterarbeit selbst und Vermerke von A.s Vorgesetzten über den Umgang mit dieser Arbeit liegen dem Handelsblatt vor.

Auf sechs Seiten arbeitete der wissenschaftliche Gutachter 2014 die Denkfiguren des Rassismus heraus, „die auf die Hierarchisierung von Rasen und Abwertung aufgrund von Rassenzugehörigkeit zielt.“ Seitenweise schreibt A. in der Arbeit darüber, dass die Stärke eines Volkes auf Homogenität beruhen würde: „Die Mittel, die eine Gesellschaft schwächen, sind folglich die, die das Gegenteil bewirken, das heißt Heterogenität,…., eine geringe Geburtenrate, … Degeneration der Bildung und der Anti-Autoritarismus, der als einzigen Grundsatz das Persönliche Interesse akzeptiert“, heißt es etwa A.s Werk.

Nach einem Gespräch mit A. kam die Wehrdienstdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Streitkräfteamts der Bundeswehr trotzdem zu der Erkenntnis, dass „der Soldat – trotz des Inhalts der vorgelegten Masterarbeit – eine innere Einstellung besitzt, die mit der soldatischen Pflicht aus §8 Soldatengesetz unvereinbar wäre“. Es blieb bei der „mündlichen Ermahnung“ gegenüber A., denn eine „förmliche einfache Disziplinarmaßnahme“ hätte die „Übernahme in das Dienstverhältnis eines Berufssoldaten hinfällig“ gemacht, heißt es im Schreiben über den Verfahrensabschluss. A. durfte eine neue Masterarbeit abliefern und erhielt im zweiten Anlauf den Abschluss an der französischen Militärakademie St. Cyrien. Die Konsequenz: In der Personalakte fand sich nirgendwo ein Warnhinweis über rechte Gesinnung.

Die Folge: Nachdem A., der eine Pistole am Wiener Flughafen versteckt hatte, bei deren Abholung er ertappt wurde und beim späteren Abgleich der Fingerabdrucke auffiel, dass er als syrischer Flüchtling registriert war, stocherte der Militärische Abschirmdienst nach seiner Information durch die Polizei zunächst im Dunkeln. Erst nach der Verhaftung von A. und eines mit ihm befreundeten Studenten am 26. April kam die Untersuchung in Illkirch offenbar ernsthaft in Gang, heißt es in einer jetzt erstellten Chronologie des Ministeriums.

Hinweise, wie Wehrmachtsfotos auf seiner Stube in Illkrich und ein Hakenkreuz im Schaft des Sturmgewehrs, nahmen seine Vorgesetzten offenbar über Monate, wenn nicht Jahre, nicht als Hinweis für abweichende Haltungen des Offiziers vom Grundgesetz. Die Ermittlungen hat inzwischen die Bundesanwaltschaft an sich gezogen. In der Bundeswehr, heißt es aus dem Verteidigungsausschuss, werde parallel untersucht, ob A. in Illkirch ein rechtsradikales Netzwerk unterhielt, dem möglicherweise fünf Personen angehört haben könnten.

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