Vor dem Deutschen Ärztetag Der große Streit der Mediziner

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Streit um Gebühren für Privatpatienten

Minister Gröhe, der sich öffentlich sehr mit Kritik zurückhält, arbeitet schon an einem Gesetz, das nicht nur Ärzte, sondern auch andere Gruppen im Gesundheitssystem wie Kassen, Krankenhäuser und Apotheker schärfer kontrollieren würde.

Nebenbei sind die zwei heutigen Vorstände der KBV, Gassen und die Hausärztin Regina Feldmann, in Feindschaft verbunden. Fachärzte und Hausärzte wittern stets, die jeweils andere Seite wolle sie beim Geld über den Tisch ziehen.

Bei so viel Streit bleibt wenig Zeit für die eigentlichen Aufgaben: Die KBV schafft es nicht, eine flächendeckende Versorgung in ländlichen Regionen zu organisieren. Auch die Interessen jüngerer Mediziner, die oft lieber angestellt als selbstständig arbeiten, vertritt sie kaum.

Bei diesen Berufen gibt es die meisten Arbeitsausfälle
Bauarbeiter auf einem Gerüst Quelle: AP
Reinigungskraft Quelle: AP
Medizintechnik Quelle: dpa
Logistik Quelle: dpa
Busfahrer Quelle: dpa
Fliesenproduktion Quelle: ZB
Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens Securitas Quelle: dpa

Auf dem Ärztetag wird noch ein zweiter großer Konflikt ausgetragen werden. Es geht um die lukrativen Privathonorare. "Da wird es Eruptionen bis hin zu Abwahlanträgen gegen Herrn Montgomery geben“, sagt Deutschlands oberster Hausarzt, Ulrich Weigeldt, voraus. Die von Frank Ulrich Montgomery geführte Bundesärztekammer verhandelt schon länger erfolglos mit den privaten Krankenversicherern (PKV), bei denen knapp neun Millionen Menschen in Deutschland versichert sind. Die Privatversicherer leiden unter hohen Kosten und steigenden Beiträgen. Deshalb wollen sie die veraltete Gebührenordnung für Privatpatienten nicht in dem Maß verändern, wie die Ärzte es verlangen. Wenn sich beide Seiten nicht einigen, passiert erstmal nichts.

Neue Therapien sind schwierig abzurechnen

Rund sechs Milliarden Euro zahlt die PKV im Jahr den niedergelassenen Ärzten für ambulante Leistungen. Das ist gut ein Sechstel der 35 Milliarden Euro, die gesetzliche Kassen überweisen. Doch ist die Zahl der gesetzlich Versicherten mit rund 71 Millionen etwa achtmal so hoch. 

Welche Faktoren unsere Gesundheit beeinflussen
Sozioökonomischer StatusGesundheitschancen und Krankheitsrisiken sind sozial ungleich verteilt. Sozial benachteiligte Menschen sind auch gesundheitlich schlechter gestellt und anfälliger für einen Herzinfarkt, Schlaganfall, Diabetes oder Depression. Auch sterben sie in der Regel früher. Dieser Zusammenhang ist nicht nur in Entwicklungs- und Schwellenländern zu erkennen, sondern auch in Industriestaaten. Sichtbar wird der Unterschied auch beim Einkommen: Frauen mit niedrigem Einkommen haben eine um acht Jahre geringere Lebenserwartung als solche, die besser verdienen. Bei Männern beträgt der Unterschied sogar elf Jahre. Quelle: Bericht "Gesundheit in Deutschland 2015" des Robert Koch Instituts Quelle: dpa
Arbeitsbelastung2013 waren in Deutschland 68,8 Prozent der Frauen und 77,7 Prozent der Männer im Alter zwischen 15 und 65 Jahren erwerbstätig. Die Zahl steigt kontinuierlich - und damit die gesundheitlichen Risiken: Die Belastungen und Anforderungen im Job haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen – Fehlzeiten und Erwerbsminderungsrenten aufgrund psychischer Erkrankungen sind typische Folgen. Die Arbeitsbedingungen insgesamt haben sich in den vergangenen Jahrzehnten jedoch deutlich verbessert: Immer mehr Menschen arbeiten im Dienstleistungsbereich, weniger im Industrie- oder Agrarsektor. Quelle: dpa
ArbeitslosigkeitKnapp 2,9 Millionen Menschen waren in Deutschland im Jahr 2014 ohne Job. Das kann sich auch auf die Gesundheit auswirken: Wer arbeitslos oder geringfügig beschäftigt ist, leidet häufiger unter seelischen Belastungen, greift häufiger zur Zigarette und treibt weniger Sport als jemand, der ein geregeltes Berufsleben hat. Quelle: dpa
Familiäre LebenssituationDie private Lebensform beeinflusst das gesundheitliche Wohlbefinden sowie die eigene Einstellung zur Gesundheit. Vor allem Kinder leben dann besonders gesund und können ein sicheres Bindungsverhalten entwickeln, wenn sie eine gute Beziehung zu den Eltern oder anderen primären Bezugspersonen pflegen. Auch das Familienklima, der Erziehungsstil sowie schwere Erkrankungen eines Elternteils haben Einfluss auf die gesundheitliche Entwicklung von Kindern. Eine Trennung der Eltern wiegt besonders schwer im Kindes- und Jugendalter. Starke Konflikte, ein Umzug in ein neues Wohngebiet sowie ein Schulwechsel können zu psychosozialen Belastungen führen. Im Erwachsenenalter leben in der Regel die Frauen und Männer gesünder, die in einer festen Partnerschaft oder Ehe leben. Quelle: dpa
MigrationEtwa 20 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen haben einen Migrationshintergrund (Statistisches Bundesamt, 2013). Der gesundheitliche Zustand von Migranten hängt sowohl vom Herkunfts- als auch vom Zuwanderungsland ab. Je länger der Aufenthalt dauert, desto mehr nehmen die Einflüsse aus dem Herkunftsland wie beispielsweise schlechtere Hygiene oder eine mangelhafte ärztliche Versorgung ab. Doch oft verhindern sprachliche und kulturelle Barrieren weiterhin eine optimale gesundheitliche Versorgung in der neuen Heimat. Häufiger leiden Migranten aber auch an seelischen Belastungen. Viele von ihnen treiben weniger Sport und ernähren sich weniger gesund. Allgemein sind Menschen mit Migrationshintergrund jedoch nicht gesünder oder häufiger krank als andere. Quelle: dpa
Wohnen und UmweltDie Wohnverhältnisse in Deutschland sind in den vergangenen Jahrzehnten wesentlich besser geworden – vor allem in den Städten. Da immer mehr Menschen vom Land in die Stadt ziehen und dieser Trend auch künftig zunehmen wird, wandeln sich die Wohn- und Lebensbedingungen entsprechend. In den Städten ist zwar die Infrastruktur besser, doch auch die Schadstoffbelastung höher: Zu den Emissionen des Straßenverkehrs kommen Abgase aus verschiedenen Fabriken. Besonders schädlich für die Menschen sind Feinstaub und Stickstoffdioxid – und der mit Abstand größte Verursacher von Stickstoffoxiden sind Autos, insbesondere Dieselfahrzeuge. Auch Lärmbelästigungen durch Verkehr oder Nachbarn sind in den Ballungszentren verbreiteter als in ländlichen Regionen. Quelle: dpa
Körperliche und sportliche AktivitätenWer häufig Sport treibt, fühlt sich nicht nur gut, sondern tut gleichzeitig etwas Gutes für die Gesundheit: Das Risiko, an Diabetes, Krebs, Osteoporose oder Depression zu erkranken, sinkt automatisch. Und regelmäßiger Sport hilft dabei, Herz und Kreislauf fit zu halten und entsprechenden Erkrankungen vorzubeugen. In Deutschland treiben mehr als drei Viertel der Kinder und Jugendlichen Sport. Etwa zwei Drittel der Erwachsenen sind zumindest gelegentlich aktiv. Je älter die Menschen werden, desto häufiger vergeht ihnen die Lust, sich zu bewegen. Fitness-Fazit: Die Bewegungsempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erfüllen lediglich zwei Fünftel der Erwachsenen und ein Viertel der Minderjährigen. Quelle: dpa

Die Gebührenordnung von 1982 wurde zuletzt 1996 überarbeitet. Viele neue Therapien lassen sich nur ungenau abrechnen, auch die Inflation hat die Sätze reduziert.

Eigentlich ist es Aufgabe der Bundesregierung, die Gebührenordnung (GOÄ) zu erneuern. Doch haben das mehrere Gesundheitsminister nicht geschafft. Gröhe ließ deshalb wissen, beide Seiten sollten sich untereinander einigen. Darüber sind schon einige Verhandlungsführer der Mediziner verschlissen worden. Immer wieder meckern Arztgruppen, ihre Interessen würden nicht berücksichtigt und insgesamt seien die Honorare zu niedrig.

Doch auch wenn Ärzte und Privatversicherer sich vielleicht noch einigen, mit höheren Gebühren wird es so schnell nichts. Denn der Staat müsste die neuen Preise für seine Beamten – von denen viele privat versichert sind – ebenso bezahlen. Da will die SPD nicht mitziehen. Deren Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ließ schon wissen, neue Gebührensätze würden nur „dazu führen, dass ein Facharztbesuch für den Privatversicherten teurer und für den Arzt lukrativer wird". Das sei eine schlechte Reform.

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