Vor dem Milchgipfel Es geht nicht um die Bauern, sondern um uns alle

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Landwirtschaftspolitik ist Stabilitätspolitik

Wie gesagt: Bauer ist kein Beruf wie jeder andere. Bauern sind nicht nur Produzenten von Nahrungsmitteln, sondern die Art und Weise, in der sie das Land bewirtschaften, prägt die in Jahrhunderten entstandene Kulturlandschaft. Dass es in Deutschland keine Kohle-Bergleute mehr gibt, ist selbst für Ruhrgebietsbewohner und Saarländer mit ein paar nostalgischen Tränen zu verkraften. Denn wir werden ohne Kohlebergbau nicht zu einem anderen Land. Aber ein Land ohne Bauern, ohne familiär betriebene Landwirtschaft, ein Land, in dem Nahrungsmittelkonzerne säen, ernten, melken und mästen lassen, wäre ein anderes Land – im konkretesten Sinne des Wortes. Das Ergebnis wären vermutlich Landschaften, wie wir sie aus den USA und Brasilien kennen und auch aus eigenen Erfahrungen im real existierenden Sozialismus der „Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften“. Landwirtschaftswüsten, öde und eintönig. Wollen wir das?

Die Mehrheit der Menschen, gerade jene, die in urbanen Räumen fern von Gülle und Kuhstall leben, wird das nicht wollen. Die Sehnsucht nach „Landlust“ äußert sich zum Beispiel im riesigen Erfolg der gleichnamigen Zeitschrift und ihrer Nachahmer. Man kann vielleicht sogar die absurde Liebe der gutverdienenden Großstädter zum Geländewagen als verkappte Landliebe verstehen. Niemand träumt dagegen vom landwirtschaftlichen Konzern. Die Alm des Bergbauern, der kleine Familienbetrieb in Süddeutschland, sind Sehnsuchts- und Ferienorte – nicht der industrialisierte Massenbetrieb, wie er in Norddeutschland schon lange die Landwirtschaft prägt.

Selbstverständlich sollte man sich davor hüten, das Bauerntum romantisch zu verklären, wie das seit dem 19. Jahrhundert immer wieder geschah. Trauriger Höhepunkt war der ideologische Missbrauch durch die Nazi-Ideologie von „Blut und Boden“, in der die Bauern als „Nährstand“ und „Urquell“ des Volkes verherrlicht wurden. Bäuerliches Leben war aber auch nie nur Bullerbü-Idylle oder Liebe im Stroh. Dazu gehörte (und gehört?) wohl ebenso eine Menge Schnaps und der „Idiotismus des Landlebens“ (Karl Marx). Die Sehnsucht des Städters ist vermutlich nur verständlich als ein Indiz der Entwurzelung und Entfremdung vom Land.

Doch das mindert nicht die Berechtigung dieser Sehnsucht: Eine Gesellschaft, die die dauernde Erneuerung zu ihrem Wesenskern gemacht hat, braucht tatsächlich das Bodenständige und Bleibende als stabilisierenden Gegenpol. Das verträgt sich auch mit einer grundsätzlich liberalen Ordnungspolitik. Die muss nämlich, wenn sie vernünftig und nicht dogmatisch sein soll, immer auch eine Politik der Stabilität sein. Zu dieser Stabilität für moderne Gesellschaften tragen die wenigen noch verbliebenen Bauern und die von ihnen nicht nur bewirtschafteten, sondern auch gepflegten Kulturlandschaften als Rückzugsmöglichkeit bei.

Wenn Landwirtschaftsminister Christian Schmidt nach einer Begründung dafür sucht, warum Bauern des Schutzes durch den Staat bedürfen, so ist diese eben nicht in deren persönlicher Lage zu finden. Mitleid ist kein vernünftiger Subventionsgrund. Die beste Begründung lautet: Es geht nicht um die Subvention bestimmter Unternehmer, sondern um ein gemeinsames Gut. Es geht darum, etwas zu bewahren, an dem wir alle, die gesamte Gesellschaft, ein existentielles Interesse haben. Es ist gut und richtig, wenn Bauern für unsere Kulturlandschaften (und Nutztiere) verantwortlich sind, die diese nicht nur mit ökonomischem, technischem Blick betrachten, sondern vor dem Hintergrund eines oft Jahrhunderte alten Erbes. Wenn das einmal verspielt ist, ist mehr verloren als ein paar Arbeitsplätze.    

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