Vor dem Antrittsbesuch des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Montag in Berlin nimmt die Debatte über Reformen der Eurozone und eine gemeinsame Investitionsoffensive Fahrt auf. Außenminister Sigmar Gabriel schlägt vor, für zusätzliche Investitionen einen Teil der Rücklagen für die Altlasten der deutschen Atomenergie einzusetzen, berichtet „Der Spiegel“ unter Berufung auf ein Papier Gabriels.
„Gemeinsam sollten wir darüber nachdenken, so etwas wie eine Fortschreibung des Élysée-Vertrages auszuarbeiten“, schreibt Gabriel dem Nachrichtenmagazin zufolge in dem fünfseitigen Entwurf. Dort greift er auch die Forderung Macrons nach einem gemeinsamen Haushalt für die Eurozone auf. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich für gemeinsame Investitionen offen gezeigt.
Gabriel schreibt zur Finanzierung eines solchen Fonds: „Warum denken wir nicht darüber nach, einen Teil der bereits zur Verfügung stehenden, gewinnbringend anzulegenden Gelder aus dem deutschen Fonds zur Finanzierung der atomaren Zwischen- und Endlagerung nutzbar zu machen?“
Was Macrons Sieg für Europa bedeuten könnte
Wichtig ist der Erfolg Macrons vor allem deswegen, weil sonst Marine Le Pen Staatschefin geworden wäre. Die Rechtspopulistin hatte im Wahlkampf für eine Abkehr Frankreichs von der Europäischen Union und vom Euro geworben. Ein EU-Austritt Frankreichs würde das komplette europäische Einigungsprojekt infrage stellen - vor allem vor dem Hintergrund des bevorstehenden Brexits.
Frankreich ist nach Deutschland das bevölkerungsreichste EU-Land. Zudem wird es nach dem Brexit das einzige EU-Land mit Atomwaffen und ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat sein. Auch die Wirtschaftleistung ist enorm.
Macron will sich für tiefgreifende Reformen der Union einsetzen. Die Eurozone mit 19 Ländern soll einen eigenen Haushalt, ein Parlament und einen Finanzminister bekommen. Zudem spricht er sich für europäische Mindeststandards in Bereichen wie Gesundheitsvorsorge und Arbeitslosenversicherung aus.
Macron sagt: „Ich bin ein Pro-Europäer.“ Er verteidige die europäische Idee und die europäische Politik, weil er glaube, „dass sie sehr wichtig für die französische Bevölkerung und für unser Land in Zeiten der Globalisierung sind.“
Auf absehbare Zeit gering. Vieles, was Macron fordert, wird in der EU schon seit langem diskutiert. Mangels Einigkeit gab es allerdings kaum Fortschritte. In Brüssel wird darauf gehofft, dass sich das nach dem für 2019 vorgesehenen EU-Austritt Großbritanniens ändern könnte. Macron warnt davor, sich zuviel Zeit zu lassen. Wenn in der EU alles beim Alten bleibe, drohe der „Frexit“ (Austritt Frankreichs) oder ein weiteres Erstarken der Front National.
„Ich bin überzeugt, das Emmanuel Macron ein guter Partner für Deutschland sein wird.“ Mit diesen Worten hatte Frankreichs scheidender Präsident François Hollande in der vergangenen Woche auf den möglichen Wahlsieg seines früheren Wirtschaftsministers geblickt. Das dürfte jedoch nicht heißen, dass Macron immer ein leichter Partner sein wird.
Das ist schwer zu sagen. Macron selbst sagt, er sei „weder rechts noch links.“ Im Wahlkampf bekam der frühere Sozialist deswegen sowohl von Unionspolitikern als auch von Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen Unterstützung. Kanzlerin Merkel sagte jüngst mit Blick auf einen möglichen Wahlsieg Macrons: „Sein Erfolg wäre ein positives Signal für die politische Mitte, die wir ja auch hier in Deutschland stark halten wollen.“ Nachdem Merkel ihn im März im Kanzleramt empfangen hatte, sprach Macron von „großer Übereinstimmung“.
Der SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz stellte schon einmal selbstbewusst fest: Macron als Präsident in Frankreich und „ich als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland“ würden die Reform der EU in Angriff nehmen. Für Schulz etwas misslich ist nur, dass er sich in der ersten Wahlrunde für Benoît Hamon von den französischen Sozialisten stark gemacht hatte. Der Kandidat der SPD-Schwesterpartei PS war dort mit einem deutlich linkeren Programm angetreten als Macron und klar gescheitert.
Abgesehen von der Reform der Euro-Zone vor allem in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Macron ist - wie US-Präsident Donald Trump - ein scharfer Kritiker des deutschen Exportüberschusses. Neulich sagte er: Deutschland müsse zu der Einsicht kommen, „dass seine wirtschaftliche Stärke in der jetzigen Ausprägung nicht tragbar ist“. Deutschland profitiere vom Ungleichgewicht in der Eurozone und erziele sehr hohe Handelsüberschüsse. „Hier muss ein Ausgleich geschaffen werden.“
Der deutsche Exportüberschuss könnte zum Beispiel abgebaut werden, indem die Bundesregierung die Überschüsse im Bundeshaushalt nutzt, um mehr zu investieren, etwa in den Straßenbau. Zudem fordern manche Ökonomen, dass die Löhne in Deutschland stärker steigen müssten, um die Binnennachfrage zu stärken. Die Kaufkraft ließe sich auch über Steuersenkungen erhöhen.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt wies den Vorschlag zurück. „Finger weg. Aufgebaut wurde der Nuklearfonds schließlich nicht ohne Grund. Plündert Gabriel diesen Fonds, stehen unsere Kinder vor leeren Kassen, wenn es um AKW-Rückbau und Atommüll-Entsorgung geht.“ Bayerns Finanzminister Markus Söder erteilte Macrons Forderungen zur Reform der europäischen Finanzpolitik eine Absage. „Es geht mehr um eine französische Agenda 2010, als um Finanzhilfen“, sagte der CSU-Politiker der „Welt am Sonntag“. Auch Eurobonds, also gemeinsame Anleihen, lehnte er strikt ab: „Die europäische Idee ist etwas anderes als eine Transferunion.“
Macrons europapolitische Beraterin Sylvie Goulard zeigte sich verwundert. Der künftige Präsident, der am Sonntag ins Amt eingeführt wird, habe sich zu keinem Zeitpunkt des Wahlkampfs für Eurobonds ausgesprochen, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Nach einer „Spiegel“-Umfrage sind 64 Prozent der Deutschen dagegen, dass Frankreich mehr Schulden machen darf als nach den europäischen Verträgen erlaubt. Nur 31 Prozent sind dafür. Mehr Geld für gemeinsame Investitionen befürworten 51 Prozent, 44 Prozent sind dagegen. Einen eigenen Haushalt für die Eurozone und einen europäischen Finanzminister unterstützten 46 Prozent, 45 Prozent sind dagegen.