Vulgarität Der Triumph des dreckigen Lachens

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Erlaubt ist, was gefällt

Vom antiautoritären Aufstand des Pop indes und von den anarchischen Impulsen der Mode ist außer „Schamverlust“ nicht viel geblieben. Madonna und Lady Gaga sind heute die Galionsfiguren eines exhibitionistischen Überbietungswettbewerbs, nichts weiter: Die Vulgarität des Pop ist längst in den Alltag eingesickert, in unsere Umgangsformen. Soziologen sprechen von Informalisierung: Erlaubt ist, was gefällt. Man kann das als Befreiung aus dem Gefängnis der Moral verbuchen. Aber auch als Verwahrlosung: Es geht das Gefühl verloren für das, was sich gehört – und was nicht. Der Geist des Laisser-faire führt, wie Wolfgang Sofsky sagt, zur „Anpassung nach unten“.

Man läuft dann mit der Bierflasche durch die Stadt, schminkt sich im Zug oder stellt das Bikini-Selfie auf Facebook.

Vor allem die Frauen haben in einem Akt nachholender Enttabuisierung die Vulgarität entdeckt: Für die Generation Alice Schwarzer war es noch verpönt, mit Sexismen zu spielen. Heute posaunen nassforsche Jungfeministinnen ihre Lust am Sex als Ausrufezeichen einer vollendeten Emanzipation in die Welt. Weibliche Comedians suhlen sich in „Feuchtgebieten“ und begröhlen ihre „Fuckability“. Die Krawall-Komikerin Carolin Kebekus tritt breitbeinig, „mit Eiern in der Hose“ auf, spricht gern über Frauenfürze („unfassbar lustig“) und fordert im Namen von „Pussy-Terror“ einen „sexy Feminismus“, der nicht nach „unrasiert und ungebumst“ klingt. Vulgär? Für Kebekus ist das ein Kompliment.

Darin besteht das Betriebsgeheimnis der Vulgarität: Die Unverschämtheit sichert ihr Applaus, mit ihrer Selbstzufriedenheit macht sie Punkte. Der Vulgäre ist ganz bei sich und seinem Publikum, wenn er andere herabsetzen kann. Die Unterhaltungsbranche lebt vom feixenden Einverständnis, vom Appell an die niedrigsten Instinkte. Komiker wie Atze Schröder oder Mario Barth ernten Brüller, wenn sie die Welt auf den unterleiblichen Nenner bringen können. Der Star ist stellvertretend vulgär. Für seine Ruchlosigkeit wird er vom Publikum geliebt: Er kann sich alles erlauben. Sein Niemand-kann-mir-was-Ego setzt sich über alle Grenzen des Gebotenen hinweg.

Darin ist er stilbildend geworden, auch für Politiker: Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück packen den Mittelfinger aus, CDU-General Peter Tauber bringt ein „Arschloch“ zum Schweigen, und Roland Pofalla kann als Kanzleramtschef die „Fresse“ eines Parteifreunds nicht mehr sehen. Doch das alles ist nichts angesichts des gegenwärtigen Vulgaritätsspektakels in den USA. Der Hang zum Pomp, zur Selbstanpreisung, zum offenen Sexismus und zur Demütigung Andersdenkender – Donald Trump ist der lebende Beweis für das Dekret von Manieren-Papst Asfa-Wossen Asserate: „Wer vulgär ist, ist immer und ganz und gar vulgär.“

Stimmt das, so wird der Sieg des Vulgären total. Durch schiere Präsenz, durch die bloße Unverschämtheit seines Auftretens degradiert er alle anderen zu sprachlosen Zuschauern. Ein Dialog wird so unmöglich. Die „heute-show“ im ZDF etwa, die sich von lauter „Vollpfosten“ umstellt sieht, ist das Paradebeispiel einer Vulgarität, die im Namen der guten Absicht alles Politische mit Geschrei zum Verstummen bringt. Tatsächlich inszeniert sich hier das öffentlich-rechtliche Fernsehen als verlängerter Arm der asozialen Medien, die man sich nicht als Echokammern der eigenen Meinung vorstellen sollte – sondern als Paviankäfige, in denen sich entzähmte Menschengruppen auf die Brust klopfen und Beißbereitschaft signalisieren.

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