Wachsende Ungleichheit Trägt Hartz die Schuld?

Die Spreizung der Einkommen in Deutschland hat zugenommen, zeigt eine neue Studie des DIW. Und nicht alle Schichten profitieren gleichermaßen vom Jobwunder.

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Das Jobwunder kommt nicht allen gleichermaßen zugute Quelle: dpa

Berlin CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat die Frage wieder in den Fokus gerückt – wenn auch unabsichtlich mit einem unbedachten Tweet über Minijobber: Wie hat sich die Einkommensverteilung in Deutschland verändert und welche Rolle haben dabei die Arbeitsmarktreformen und das Jobwunder gespielt? Antworten liefert eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Demnach sind die Einkommen heute ungleicher verteilt als vor 20 Jahren. Und die atypische Beschäftigung, also Minijobs, Zeitarbeit oder kleine Teilzeit, hat bis hinein in die Mittelschicht zugenommen.

Die Autoren Peter Krause, Christian Franz und Institutspräsident Marcel Fratzscher haben für ihre Studie auf Basis des Sozio-Ökonomischen Panels die Entwicklung der Einkommensverteilung und der Erwerbsformen zwischen 1995 und 2015 untersucht. Dabei zeigt sich, dass nicht alle Bürger gleichermaßen von den Beschäftigungsrekorden der letzten Jahre profitiert haben.

So ist der Anteil der Bevölkerung mit mittlerem Haushaltseinkommen im untersuchten Zeitraum um gut sechs Prozentpunkte von 47,8 auf 41,4 Prozent gesunken. Als mittleres Einkommen gilt dabei eine Spanne von 77 bis 130 Prozent des Medians. Der Median ist das Einkommen, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt. Für 2015 lag dieser Wert bei 20.053 Euro pro Person.

Größer geworden sind dafür der untere und der obere Rand der Einkommensverteilung. So ist der Anteil der Bevölkerung mit weniger als 77 Prozent des Medianeinkommens von 2005 bis 2015 um vier Prozentpunkte auf 29 Prozent gestiegen. Mehr Menschen sind zudem armutsgefährdet, haben also ein Einkommen von weniger als 60 Prozent des Medians. Die Quote ist seit Mitte der 1990er-Jahre  von elf auf 14,5 Prozent gestiegen. Aber: Auch der Anteil der Reichen mit mehr als 169 Prozent des mittleren Einkommens hat zugelegt – von 12 auf 14 Prozent. „Zusammengenommen ergibt sich so ein Bild der gestiegenen Ungleichheit“, heißt es in der Studie.

Mit den 2003 eingeleiteten Hartz-Reformen hat diese zunehmende Spreizung aber wenig zu tun, auch wenn die Linke und Teile der SPD anderes behaupten. „Der Rückgang in der Mitte fand insbesondere bis 2005 statt“, sagt DIW-Chef Fratzscher. „Seitdem hat sich der Prozess stabilisiert und verlangsamt.“

Untersucht haben die Wissenschaftler auch, wie sich die seit Jahren gefeierten Beschäftigungsrekorde in den einzelnen Einkommensgruppen widerspiegelten. Zwar hat die Erwerbsbeteiligung seit 1995 deutlich zugenommen, vor allem von Frauen und Älteren, die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Im Jahresdurchschnitt der Jahre 2014 und 2015 waren knapp 80 Prozent der 25- bis 64-Jährigen erwerbstätig. 20 Jahre zuvor lag die Quote nur bei gut 68 Prozent.

Allerdings kommt das Jobwunder nicht allen gleichermaßen zugute. So ist der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten binnen 20 Jahren kontinuierlich gestiegen – von  rund 17 auf knapp 25 Prozent. Die Niedriglohnschwelle lag im Jahr 2015 bei 10,66 Euro pro Stunde. Seit 2007 ist der Niedriglohnsektor allerdings nicht mehr deutlich gewachsen.

Die DIW-Forscher haben aber auch untersucht, wie sich reguläre Arbeitsverhältnisse, also klassische Vollzeitjobs, und die atypische Beschäftigung in den verschiedenen Einkommensgruppen entwickelt haben. So ist in den unteren Schichten der Anteil der Geringverdiener stetig gestiegen, und zwar mehr als in den anderen Schichten. Es sind zwar mehr Menschen erwerbstätig als vor 20 Jahren, aber oft nur in Teilzeit oder zu einem niedrigen Verdienst. In der mittleren Einkommensgruppe ist der Anteil der Vollzeitbeschäftigten konstant geblieben, es gingen aber auch hier mehr Menschen einer niedrig entlohnten Beschäftigung nach als vor 20 Jahren. Dagegen hat in den oberen Einkommensgruppen die Zahl der Beschäftigten in „normalen Arbeitsverhältnissen“ zugelegt.

„Insgesamt machen diese Entwicklungen deutlich, dass der erfreuliche Beschäftigungsanstieg der vergangenen Jahre nicht alle gleich erreicht hat und alleine nicht ausreichen dürfte, um allen in der Gesellschaft Wohlstand und Teilhabe zu ermöglichen“, sagte Fratzscher.  Die Bedeutung des Normalarbeitsverhältnisses insgesamt habe nicht abgenommen, so DIW-Forscher Krause. Es sei aber weniger als früher auch in unteren Einkommensschichten verbreitet.

Das DIW macht aber auch klar, dass die Befunde keine abschließende Antwort auf die Frage liefern, welche Rolle die Veränderungen am Arbeitsmarkt bei der tendenziell zunehmenden Ungleichheit der Einkommen spielen.  So ist zwar der Anteil der geringfügig Beschäftigten mit weniger als 15 Wochenstunden von 4,4 auf 8,6 Prozent gestiegen. Die Jobs seien aber „nicht a priori mit problematischen Einkommenslagen im Haushalt gleichzusetzen“, heißt es in der Studie. Denn der jobbende Student wird ebenso mitgezählt wie die Hausfrau des Rechtsanwalts, die sich ein paar Euro dazuverdient.

Teilzeit oder Minijobs hätten sicher zu einer insgesamt höheren Erwerbsbeteiligung beigetragen und auch höhere Haushaltseinkommen ermöglicht, heißt es in der Studie. „Andererseits scheinen sich gering entlohnte Arbeitsverhältnisse in niedrigeren Einkommensschichten tiefer verankert zu haben.“

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