Wahl-O-Mat Wie digitale Helfer die Wahl erleichtern

Vor den NRW-Landtagswahlen sind viele Menschen unentschlossen. Der Wahl-O-Mat und andere Online-Angebote können helfen. Aber es gibt auch Kritik an deren Funktionsweise.

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Wahl-o-Mat: Wie gut ist Ihre Wahlprognose? Quelle: dpa Picture-Alliance

Bei den meisten Umfragen zur NRW-Landtagswahl kommt die "Piratenpartei" gar nicht mehr vor. Sie gehört zu den "Sonstigen" und hat demnach keine Aussichten, im Landtag zu bleiben. Beim Selbst-Test mit dem Wahl-O-Mat werden die Piraten dennoch genauso berücksichtigt wie andere Splitterparteien - ob "Freie Bürger-Initiative" (FBI) oder "Bündnis Grundeinkommen" (BGE).

Der Wahl-O-Mat ist ein sogenanntes VAA (voting advice application) und wird seit den Bundestagswahlen 2002 von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) angeboten, um Wählern die Entscheidung auf Basis der Forderungen der Parteien zu erleichtern. Der Nutzer klickt sich durch 38 politischen Thesen und entscheidet jeweils mit "stimme zu", "stimme nicht zu" oder "neutral". Nach der Auswahl von acht Parteien, die für den Nutzer in Betracht kommen, wird der Grad der Übereinstimmung mit den Positionen dieser Parteien in Prozent angegeben. Die Parteien erscheinen dann in einer Reihenfolge mit der am meisten übereinstimmenden Partei ganz oben.

Die 38 Thesen hat eine Redaktion aus Wählern zwischen 18 und 26 Jahren mit verschiedenen Schulabschlüssen und Berufen zusammen mit Experten und Politikwissenschaftlern entwickelt. Sie wurden wie vor jeder betreffenden Wahl im Voraus an die Parteien geschickt und von diesen offiziell beantwortet. Seit 2003 gehört der Politikwissenschaftler Stefan Marschall von der Heinrich-Heine-Universität zur Redaktion des Wahl-O-Mat und nutzt die Ergebnisse für eigene Forschungen. "Nicht jede Partei hat zu jedem Thema eine Meinung. Deswegen kostet es viel Zeit und Arbeit, die Thesen zu entwickeln", sagt Marschall. Am Ende der Befragung haben Nutzer die Chance, Daten über sich selbst anzugeben. Laut Bundeszentrale ist die Mehrheit der Nutzer männlich, ein Drittel ist unter 30 Jahre alt.

Bislang wurde der Wahl-O-Mat mehr als 50 Millionen mal vor Landtags- und Bundestagswahlen genutzt – der NRW-Wahl-O-Mat 2017 bislang 1,5 Millionen mal. Der Bundeszentrale entstanden dadurch Kosten für die NRW-Wahlen von rund 50.000 Euro.

Kritiker bezeichnen den Wahl-O-Mat auch als "Wahlhelfer für Kurzentschlossene". Marschall weist das zurück: "Das ist nicht das, was er kann, und auch nicht das, was er will. Er hilft bei der politischen Meinungsbildung. Die meisten Nutzer geben an, dass sie im Anschluss über ihre Ergebnisse sprechen oder sich weiter über Parteipositionen informieren werden." Auch Regina Renner, Politikwissenschaftlerin an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg betont den "wichtigsten Punkt" der Wahl-O-Mat-Forschung: "Er regt zur Diskussion und zur Auseinandersetzung mit politischen Inhalten an. Das hilft gerade jungen Leuten, sich als politische Wesen zu verstehen und zu üben."



Nach der Beantwortung können Nutzer mehr Infos zu Parteipositionen und zur politischen Debatte bekommen. Pamela Brandt, verantwortlich für den Wahl-O-Mat bei der bpb, erklärt: "Die Nutzungszahlen unserer Website steigen ebenfalls, wenn es den Wahl-O-Mat gibt. Denn die Mehrheit der User informiert sich weiter. Sie wollen dann wissen: 'Wie ist das eigentlich mit der Autobahnmaut?'"

Der Wahl-O-Mat ist die bekannteste, aber nicht die einzige Wahlhilfe im Netz.

Weitere Wahlhilfen

Während der Wahl-O-Mat nur Parteien miteinander vergleicht, nimmt abgeordnetenwatch.de einzelne Kandidaten unter die Lupe. Der Nutzer gibt seine Postleitzahl ein und sieht alle Kandidaten für den entsprechenden Stimmbezirk. Auch kann er Fragen beantworten und vergleichen, wie die Kandidaten dazu stehen.

Für den Kandidatencheck des WDR haben sich 960 angetretene Politiker Video-Interviews gestellt. Die Mehrheit der AfD-Kandidaten hat sich allerdings nicht beteiligt.

Parteivergleich.eu funktioniert etwas anders: Das Tool gibt vor, unabhängig zu sein, weil nicht eine Redaktion aus Experten die Fragen formuliert, sondern die Parteien selbst Thesen in einem mehrstufigen Prozess einreichen. "Zielgruppe sind alle, die ein Wahlvergleichsprogramm haben wollen, das die Themen aller Parteien gleichstark berücksichtigt und staatsfern ist", sagt Michael Schultz von parteivergleich.eu. "Anders als beim Wahl-O-Mat kommen die Themen aller Parteien gleichberechtigt vor", wie es auf der Seite heißt. Der Nachteil: Das Verfahren ist freiwillig – dementsprechend machen nicht alle Parteien mit und die politische Realität wird nicht zu hundert Prozent abgebildet. Bei der Bundestagswahl 2013 beantworteten vier große Parteien, CDU, CSU, SPD und Grüne, die Fragen nicht. Parteivergleich wich auf Parteiprogramme und Interviews aus.

Thorsten Faas, Professor für Empirische Politikforschung an der Johannes Gutenberg Universität Mainz, findet Wahlhilfe-Programme für die politische Meinungsbildung sinnvoll: "Gerade durch ihren spielerischen Ansatz bauen Wahltools Brücken bei Menschen, an denen der Wahlkampf ansonsten vorbeizieht. Das ist eine wichtige Funktion – das heißt aber im Umkehrschluss auch, dass gerade in politikferneren Gruppen von einem beachtlichen Einfluss ausgegangen werden kann."

Eine Schwäche vieler VAAs ist das Fehlen differenzierter Antwortmöglichkeiten. Beim NRW-Wahl-O-Mat lautete eine Frage beispielsweise: "Alle Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen sollen ausschließlich an Regelschulen unterrichtet werden." Doch vermutlich gibt es viele Bürger, die Inklusion grundsätzlich begrüßen, aber verstehen, dass sie nicht immer funktionieren kann. Das "ausschließlich" schränkt die Frage stark ein. Klare Aussagen seien in der Politik aber wichtig, findet Regine Renner. Sie begrüßt, dass die Thesen nicht "hochschwellig" formuliert seien, also verständlich für junge Wähler, für die der Wahlhelfer der bpb hauptsächlich gedacht sei. Andere VAAs wie ParteieNavi für die Landtagswahlen im Saarland seien komplexer formuliert und hätten einen akademischen Anspruch.

Wer erst wenige Tage vor den Wahlen Online-Tools zu Rate zieht, hat weniger Zeit, um sich weiter mit Wahlkampfthemen auseinander zu setzen. Für einen Überblick über die wichtigen Themen dürften aber alle VAAs herhalten. Thorsten Faas von der Uni Mainz meint: „Es steht jeder Wählerin und jedem Wähler völlig frei, sich zu informieren, wie sie oder er möchte.“ Es ist im Netz eine Plattform für Wahlkommunikation entstanden – und es gibt viele Profiteure, die Parteien und die Wähler. „Der Wahl-O-Mat ist ein Einstieg in die Politik, kein Ausstieg“, betont Wahlforscher Marschall.

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