Natürlich wissen die Wahlkämpfer der FDP, wie man für Stimmung sorgt. „Ich bin ein Fan von Schwarz-Gelb“, ruft Gesundheitsminister Daniel Bahr bei einer Kundgebung im fußballverrückten Dortmund in die Menge. Dass er nicht nur den BVB meint, sondern auch die Bundesregierung, interessiert die Zuhörer nicht. Der Applaus ist sicher. Und auch in der Festzelten von Bayern finden die Liberalen den richtigen Ton: „Ich bin in den stolzen Freistaat Bayern gekommen, um endlich wieder den Ruf der Freiheit zu atmen“, so der nordrhein-westfälische Fraktionschef Christian Lindner vor Kurzem in München. Nur: Den Jubel kann die FDP schon länger nicht mehr in Wählerstimmen ummünzen. Die Liberalen sind bei den Landtagswahlen in Bayern abgestraft worden. Und auch im Bund droht am kommenden Sonntag der Rauswurf aus dem Parlament.
Die Konkurrenz feixt bereits. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sieht bei einem Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde größere Chancen dafür, doch noch einen rot-grünen Erfolg bei der Bundestagswahl zu schaffen. „Wäre die FDP nicht im Bundestag, steigen die Chancen deutlich für Peer Steinbrück, Kanzler zu werden“, sagte Gabriel. Er wünsche dem politischen Gegner nichts Schlechtes. Aber der deutsche Parlamentarismus sei „ohne diesen Lobbyismus der FDP“ besser aufgestellt.
Das Wahlprogramm der FDP
Für die FDP gehört ein stabiler Euro zur deutschen Staatsräson. Der Schutz vor Inflation soll ins Grundgesetz. Die Europäische Zentralbank (EZB) müsse unabhängig bleiben. Eine dauerhafte Staatsfinanzierung von Krisenländern durch die Notenpresse sei grundfalsch, ebenso eine gemeinsame Haftung für Staatsanleihen (Eurobonds). Die Bundesbank soll im EZB-Rat bei wichtigen Beschlüssen ein Vetorecht bekommen.
Die FDP bekennt sich als Europa-Partei zur Europäischen Union (EU), die im Licht der Schuldenkrise weiterentwickelt werden müsse. „Am Ende dieser Entwicklung sollte ein durch eine europaweite Volksabstimmung legitimierter europäischer Bundesstaat stehen.“
Die FDP zieht mit der Forderung nach einer Ausweitung von Lohnuntergrenzen in einzelnen Branchen mit besonders niedriger Bezahlung in den Wahlkampf. Die Delegierten des FDP-Parteitags in Nürnberg votierten am Samstagabend nach hitziger Debatte für einen entsprechenden Antrag der Parteiführung. Auf diesen Antrag entfielen 57,4 Prozent der Stimmen.
Den Liberalen geht es insbesondere um solche Branchen, in denen Arbeitnehmer und Gewerkschaften keinen Mindestlohn vereinbaren können, weil die Tarifbindung zu gering ist. Zur Festsetzung der Lohnuntergrenze will die FDP die bestehenden gesetzlichen Instrumente überarbeiten und besser aufeinander abstimmen, mit denen auch in den vergangenen Jahren schon Mindestlöhne vereinbart worden sind. Die Löhne sollen von den Tarifpartnern etwa in einer Kommission „Branche für Branche“ festgelegt werden. Einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn, wie ihn SPD, Grüne und Linke befürworten, lehnt die FDP strikt ab.
Die Liberalen wollen die schwarze Null beim Staatsdefizit erreichen und so schnell wie möglich mit dem Schuldenabbau starten. „Denn weniger Staatsschulden sind der beste Schutz vor Inflation.“
Die FDP lehnt höhere Steuern ab. Im Grundgesetz soll ein Halbteilungsgrundsatz verankert werden. Mehr als die Hälfte des Einkommens über Ertragsteuern an den Staat abzuführen sei leistungsfeindlich. „Deshalb brauchen wir neben der Schuldenbremse auch eine Steuerbremse.“ Falls es Spielräume im Haushalt gibt, tritt die FDP für Entlastungen von Bürgern und Firmen ein. „Unser Ziel bleibt die Entlastung der arbeitenden Mitte.“ Das Steuerrecht soll grundlegend umgebaut werden, am besten in einem Stufentarif. Die Steuerklasse V soll verschwinden. „Die Haushaltskonsolidierung hat allerdings Vorrang.“
Die Folgen heimlicher Steuererhöhungen (kalte Progression) sollen alle zwei Jahre überprüft und bereinigt werden, „damit der Staat sich nicht auf Kosten der Bürger an der Inflation bereichert“.
Hier muss der Parteitag zwischen zwei Varianten entscheiden. In Vorschlag A soll das Splitting beibehalten werden, Kinder sollen schrittweise den gleichen steuerlichen Freibetrag wie Erwachsene bekommen. In Variante B soll das Verfahren zu einem Realsplitting weiterentwickelt werden. Dabei werden Ehegatten und eingetragene Lebenspartner individuell besteuert, können aber jeweils einen Teil ihres Einkommens auf den Partner übertragen, um die Progression abzumildern.
Auch hier konkurrieren zwei Modelle. In Variante A wird eine einheitliche Bemessungsgrundlage nach dem Verkehrswert zusammen mit moderaten Steuersätzen und Freibeträgen vorgeschlagen. „Bei jeder Unternehmensnachfolge muss die Erbschaftsteuer aus den Erträgen erwirtschaftet werden können.“ In Variante B wird gefordert, dass die Länder jeweils allein über die Vorgaben der Steuer entscheiden und Einnahmen nicht beim Länderfinanzausgleich herangezogen werden.
Der 2019 auslaufende „Soli“ soll bereits ab 2014 schrittweise reduziert werden.
Große Finanzkonzerne sollen durch eine gemeinsame europäische Aufsicht kontrolliert werden. Abgelehnt wird aber ein Zugriff auf die deutschen Einlagensicherungs- und Restrukturierungsfonds. „Die deutschen Sparer sollen nicht mit ihrem Geld für das finanzielle Risiko anderer Bankensysteme geradestehen.“ Die FDP ist gegen neue Steuern für die Finanzwelt. Die Anteilseigner von Börsen-Unternehmen sollen mehr Rechte in der Hauptversammlung erhalten, um die Bezahlung der Topmanager zu kontrollieren.
Bei der Energiewende dürfe sich der Staat nicht an steigenden Strompreisen bereichern. Die FDP will deshalb eine Absenkung der Stromsteuer. „Sie soll in dem Umfang gesenkt werden, wie der Bund Umsatzsteuer-Mehreinnahmen durch die steigende EEG-Umlage erzielt.“ Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zur Ökostromförderung soll für neue Anlagen grundlegend und kostensenkend reformiert werden. Für Altanlagen mit 20-jähriger Fördergarantie gelte aber Bestandsschutz. Rabatte für die Industrie bei EEG-Umlage und Stromsteuer verteidigt die FDP: „Anderenfalls drohen Arbeitsplatzverluste durch Abwanderung der Industrie.“
Die FDP will Sozialleistungen für Bedürftige und Arbeitslose in einem liberalen Bürgergeld zusammenfassen. „Wer sich anstrengt und eine Arbeit annimmt, der soll im Bürgergeldmodell mehr von seinem Einkommen haben.“
Die FDP ist gegen starre Altersgrenzen wie bei der Rente mit 67. Arbeitnehmer sollen ab dem 60. Lebensjahr frei über den Renteneintritt entscheiden, wenn ihre gesamten Ansprüche über der Grundsicherung liegen. Entscheiden muss sich die Partei, ob sie die Einführung einer Rentenversicherungspflicht für Selbstständige will.
Die FDP ist für die volle rechtliche Gleichstellung von Homo-Ehen mit der normalen Ehe. „Wer gleiche Pflichten hat, verdient auch gleiche Rechte.“ Beim Elterngeld soll es mehr Teilzeit-Modelle und Stärkung der Partnermonate geben. Das von der FDP gerade mit eingeführte Betreuungsgeld soll in der nächsten Wahlperiode wieder überprüft werden.
Die FDP will mehr Frauen in Führungsverantwortung, lehnt feste Quoten jedoch ab. „Wir setzen auf Anreize für Unternehmen, verbindliche Berichtspflichten und transparente Selbstverpflichtungen.“
Die FDP betont, Deutschland sei ein Einwanderungsland und brauche Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte. Vorbild soll das Punktesystem in Kanada sein. Eine Einbürgerung soll schon nach vier Jahren möglich sein sowie grundsätzlich auch die doppelte Staatsbürgerschaft. Asylbewerber sollen vom ersten Tag an arbeiten dürfen.
Die FDP lehnt die anlasslose Vorratsdatenspeicherung ab. „Die Menschen in Deutschland dürfen nicht pauschal unter Verdacht gestellt werden.“ Auch die heimliche Online-Durchsuchung sei überflüssig.
Die wertneutrale Datenübertragung soll geschützt bleiben (Netzneutralität). Quelle: dpa
Um das totale Scheitern zu verhindern, denkt die FDP nun offen über eine Zweitstimmen-Kampagne nach. Bürgerliche Wähler könnten der Koalition helfen, „indem sie einen starken Kandidaten vor Ort von der Union unterstützen und mit der Zweitstimme FDP wählen“, sagte FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Die CDU hält das für keine gute Idee. Zu prägnant sind die Erinnerungen an die Landtagswahl in Niedersachsen. Dort holte die in Umfragen abgeschriebene FDP aus dem Stand fast zehn Prozent der Stimmen – auf Kosten der CDU. Ihre Wähler wechselten kurzfristig zu den Liberalen oder bleiben angesichts des vermeintlich sicheren Triumphs gleich zu Hause. Die Folge: Der beliebte Ministerpräsident David McAllister wurde abgewählt. Das soll der Union nicht noch einmal passieren. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe betonte im Deutschlandfunk, dass nicht Koalitionen, sondern Parteien gewählt würden: „Zweitstimme ist Merkel-Stimme“, sagte er.
Die FDP ist also auf sich alleine gestellt – und sollte die Möglichkeit nutzen, sich endlich wieder um ihre Kernthemen zu kümmern. Die nämlich sind aktueller denn je. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger etwa hatte in den vergangenen vier Jahren alle Hände voll zu tun – vor allem mit Distanzgewinnung gegenüber dem Innenministerium. Sie wehrte regelmäßig Forderungen der Union nach der Einführung der Vorratsdatenspeicherung ab, forderte die rechtliche Gleichstellung der Homo-Ehe sowie das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare und kritisierte erfrischend offensiv die Datensammelwut des US-Geheimdienstes NSA. „Hätten wir statt Innenminister Hans-Peter Friedrich unsere Justizministerin in die USA zur Aufklärung der Späh-Affäre geschickt, dann verspreche ich ihnen, stünden wir heute mit einem ganz anderen Ergebnis da“, unterstrich Ministerkollege Daniel Bahr in Dortmund. Das mag stimmen. Nur: Warum hat sich die FDP dann nicht durchgesetzt?