Wahlen Die AfD wird zur größten Gefahr für Merkel

Wahlkampf ist wie Schlittenfahren: Rasant wird’s auf den letzten Metern. Und der kommende Sonntag könnte überraschend enden – insbesondere für die Bundeskanzlerin.

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Angela Merkel Quelle: dpa

Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin. Laut Umfragen wünscht sich das eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Deutschen. Aber wird sie es auch? Die Zweifel wachsen und der bisher so langweilige Wahlkampf wird zum spannenden Schlussspurt.

von Tim Rahmann, Konrad Handschuch, Roland Tichy

Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist die größte Gefahr für Angela Merkel. Es ist eine Partei wie ein Eisberg: Nur die Spitze ist für Meinungsforscher und Wahlbeobachter sichtbar. Aber wie viele Wähler tatsächlich dann ihr Kreuz bei der AfD machen, wenn die Vorhänge der Wahlkabine zugezogen sind, wie viele Nachbarn und Stammtischfreunde die hoch motivierten AfD-Anhänger mitziehen, und vor allem, ob diese Stimmen hauptsächlich der FDP, der CDU, aber auch der SPD fehlen werden, ist ungewiss.

Zweifellos gilt: Neue Parteien haben es  schwer sofort in den Bundestag zu kommen, und das ist vom Wahlsystem mit seiner 5-Prozent-Hürde so gewollt. Ein  bei allen Veränderungen doch recht gefestigtes Parteiensystem mit zwei größeren und drei kleineren etablierten Parteien verstärken den Eindruck der strukturellen Stabilität. Wer neu dazugehören will muss schon was zu bieten haben, um die Wähler und die Medien zu überzeugen.

Die peinlichen Pannen im Bundestagswahlkampf
Peinlich für SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles: Offensichtlich hat sich der Texter, der für Nahles' Homepage zuständig ist, inhaltlich bei der Konkurrenz bedient. So fand sich jedenfalls unter den Punkten Wahlkreis und Spenden ein Formular der CDU mit folgendem Hinweis:Spenden und Mandatsträgerbeiträge an die CDU Deutschlands oder eine oder mehrere Vereinigungen, deren Gesamtwert in einem Kalenderjahr 10 000 Euro übersteigt, sind unter Angabe des Namens und der Anschrift des Spenders/Mandatsträgers sowie der Gesamthöhe der Zuwendung im Rechenschaftsbericht, der als Bundestagsdrucksache veröffentlicht wird, zu verzeichnen. Der Bundesschatzmeister der CDU bittet in diesem Fall um Unterrichtung am Ende eines Jahres. (Der Bundesschatzmeister der CDU, Klingelhöferstraße 8, 10785 Berlin) Nahles befindet sich mit ihrem Spendenaufruf für die CDU allerdings in guter Gesellschaft: Erst vor zwei Tagen hat sich die FDP einen Fauxpas geleistet.... Quelle: dpa
Peinlich für die FDP: Sowohl die Liberalen als auch die rechtsextreme NPD haben für ihre TV-Wahlwerbespots in einer Filmsequenz identisches Material verwendet. In dem 90-Sekunden-Film mit FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle ist für einen kurzen Moment eine vierköpfige Familie zu sehen, die eine idyllische Allee entlangradelt. Exakt dieses Bild verwendet auch die NPD in ihrem Spot. FDP-Sprecher Peter Blechschmidt bestätigte die Doublette. Die von den Liberalen für die Produktion beauftragte Agentur Reinsclassen habe für den Werbefilm „frei zugängliches Material“ eingekauft. Die FDP habe keinen Hinweis gehabt, dass auch die NPD dieses Filmmaterial genutzt habe. „Die entsprechende Passage wird nun herausgenommen und durch eine andere Szene ersetzt“, sagte Blechschmidt. Das dauert allerdings: An diesem Mittwoch werde der Brüderle-Spot - der insgesamt acht Mal ausgestrahlt werden soll - noch in unveränderter Fassung im ZDF gezeigt. Quelle: AP
So war das nicht geplant: Ursprünglich wollten Grünen-Politiker mit Kanus auf der Werra von Hessen nach Niedersachsen paddeln, um auf die Verschmutzung von Flüssen und die Versalzung der Weser und der Werra aufmerksam zu machen. Der Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin konnte sich dann bei Hedemünden (Niedersachsen) selbst von der Wasserqualität überzeugen, als sein Kanu bei einem missglückten Anlegemanöver kenterte. Eher verbaler Art waren dagegen die Ausrutscher der Politiker anderer Parteien... Quelle: dpa
So verhaspelte sich beispielsweise CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt bei der Vorstellung des Wahlkampfprogramms von CDU und CSU in Berlin und begrüßte die Gäste mit den Worten: "Die Wahrheit liegt in der Urne" Quelle: dpa
Der Meister der Wahlkampfpannen ist in diesem Jahr allerdings SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück. Nicht nur, dass die Hauptaussage der Wahlplakate "die Merkel-Regierung kann nichts" ist, dann rutschen auch noch die Plakate beim kleinsten Regen von Bäumen und Häusern. Für die Wellpapp-Plakate "Eco Wave" sei beim Druck ein weniger haltbares Material verwendet worden als bei der Präsentation der Werbeträger. Quelle: dpa
Nächster Fauxaps: Der Wahl-Slogan "Das Wir entscheidet" ist geklaut. Eine Leiharbeiterfirma nutzt bereits seit gut sechs Jahren den Spruch als Werbebotschaft. Unglücklich ist die Parallele vor allem, weil sich die SPD thematisch gegen die zunehmende Leiharbeit positioniert hat. Immerhin: Das Unternehmen sieht von einer Klage gegen die SPD ab. Quelle: dpa
Eine weitere peinliche Panne Steinbrücks - von hohen Rednergagen, verbalen Ausrutschern und diktierten Tweets einmal abgesehen - war das sogenannte Eierlikörgate: Bei "Wohnzimmergesprächen" des Kanzlerkandidaten mit normalen Bürgern hatte Steinbrück ausgerechnet die Eltern einer Stadtbezirksverordneten und ehemaligen Mitarbeiterin von SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil besucht, um mit ihr über die SPD zu sprechen. Dafür musste er sich besonders im Netz Hohn und Spott gefallen lassen. Quelle: REUTERS

Doch wer sich in diesen Tagen auf den Wahlveranstaltungen der Republik umschaut, der spürt, dass bei der „Alternative“ ein Überraschungscoup nicht ausgeschlossen ist. Dass die Euro-Kritiker die Menschen mehr mitreißen, als die Etablierten. In der Studentenstadt Münster etwa, eine Hochburg der Grünen, interessierten sich höchstens 500 Menschen für eine Rede von Spitzenkandidat Jürgen Trittin. Gerade einmal 350 Zuhörer lauschten dieser Tage den Worten der versammelten FDP-Spitze um Bundesaußenminister Guido Westerwelle, Spitzenkandidat Rainer Brüderle und Gesundheitsminister Daniel Bahr vor der Reinoldikirche in Dortmund. Und die AfD? Eine wenig überraschende Anti-Euro-Rede von Parteichef Bernd Lucke beklatschen und bejubelten in Düsseldorf zuletzt fast 1500 Menschen.

Gleichzeitig legte die AfD in der politischen Stimmung zu und liegt gut eine Woche vor der Bundestagswahl bei etwa 3,5 Prozent. Niemand kann seriös sagen ob sie am Wahltag die 5-Prozent-Hürde überqueren kann oder daran scheitert. Viele Bewegungen finden erst in den letzten Tagen statt, wenn die Wähler glauben ein genaueres Bild vom Wahlausgang zu haben.

Was passiert, wenn die AfD der FDP Stimmen entzieht

Deutschlands skurrilste Wahlplakate
Dieses Plakat der Piraten erreichte uns gleich mehrfach. Als gebe es einen Wettbewerb um unrealistische Wahlversprechen fordern die Piraten einfach "einen Wombat in jedem Haushalt". Sinnvoll oder einfach nur Papierverschwendung? Quelle: Piratenpartei
Auch der CDU-Abgeordnete Karl Schiewerling aus dem Wahlkreis Coesfeld/Steinfurt II verzichtet lieber gleich auf ein Wahlversprechen und wünscht seinen potenziellen Wählern lieber schöne Ferien. Auf seiner Homepage wirbt er dafür mit dem Slogan "Ihr Abgeordneter. Hält Wort."
Die Piratenpartei ist unter den skurrilen Plakaten gleich mehrfach vertreten, denn auch der Slogan "Themen statt Möpse" irritierte so manchen Wähler. Auch wenn der Mops mit ins Bild gerückt wurde, die Anspielung auf das freizügige Wahlplakat der CDU-Politikerin Vera Lengsfeld liegt nur allzu nah. Quelle: Stefan Butz
Dieses Plakat erinnerte unseren Leser an eine Situation am Grenzübergang in Salzburg vor vielen Jahren. "Warum wollen Sie denn nach Deutschland, bleiben Sie doch in Bayern", fragte der Grenzbeamte. Das Plakat zeigt, dass die Frage für einige immer noch aktuell ist. Quelle: Ernst Fojcik
Ein Beispiel dafür, dass Wahlplakate für sich allein hochseriös sein können, zusammen aber komisch wirken. Dieses Bild bekamen wir von einer Leserin aus Leipzig, unter dem Motto: "Drei Parteien, eine Brille". Quelle: Ulrike Bertus
Die Freien Wähler haben Kreativität bewiesen - und vor allem Fingerspitzengefühl bei der Positionierung des Plakats, es hängt nämlich direkt vor dem Springer-Haus in Hamburg. Quelle: Wolfgang Beecken
Ein Problem vieler Politiker und aller Parteien: Oft werden die Plakate verschandelt und sind schon nach kurzer Zeit nicht mehr wiederzuerkennen. Quelle: Martin Fuchs

Hochgefährdet ist in jedem Fall die FDP, ihr könnte die AfD jene paar Stimmen entziehen, die zum Überspringen nötig wären. Der neue Bundestag wird mit einem möglichen Einzug der AfD vielfältiger - oder aber graumäusiger, wenn beide, AfD und FDP, an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Dies offenbart den größten innenpolitischen Fehler Merkels: Egal, ob Gesellschafts- und Familienpolitik, Energiewende und Euro – ihre CDU hat immer den Schulterschluss mit dem bei SPD und Grünen vermuteten Zeitgeist gesucht – und anderes als alternativlos dargestellt. Die AfD hat die Alternative in ihren Namen aufgenommen, wurde so zum Sammelbecken für alle, die die Energiewende für vermurkst halten, denen die Europolitik zu leichtfertig erscheint und denen generell die ganze linke Linie nicht passt. In früheren Jahren hat es die CDU verstanden, auch wertkonservative Wähler an sich zu binden. Legendär die Maxime von Franz Josef Strauß, rechts von der CSU dürfe sich keine Kraft auftun. Jetzt ist sie da - vielleicht zu klein zum Leben, aber groß genug, um Merkel um’s Amt zu bringen.

WiWo-Wahlsager: So wird Deutschland wählen

Denn nach allem, was man derzeit weiß, hat das bürgerliche Lager aus FDP und Union nur einen hauchdünnen Vorsprung gegenüber SPD, Grünen und der Linken. Nun schließt die SPD eine Koalition aus, weil die Linke auf bundespolitischer Ebene unzuverlässig sei. Ich halte das für Rosstäuscherei; schließlich hat mit Hilfe der Linken die SPD ja auch den Regierungswechsel im wichtigen Bundesland Nordrhein-Westfalen erzwungen und immer wieder galt dieses große Land als Modell für den Bund (siehe WirtschaftsWoche 33/2013). In Hessen, wo ja am Sonntag ebenfalls gewählt wird, eiert der SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel herum; ganz ausschließen will er die rot-rote Zwangsehe nicht. Wie eine verhuschte Maus, deren Auftauchen im Sterne-Restaurant den Appetit verdirbt, taucht diese Wahrheit in einem Wahlkampf auf, der alles schön redet. Dazu kommt: In diesen Tagen stürzen die Grünen in der Wählergunst ab. Zu selbstgerecht und rechthaberisch tritt die Partei auf, zu weinerlich macht sie jetzt Journalisten für ihr Absacken verantwortlich - ausgerechnet jene Partei, die wie keine andere bisher Liebling der Medien war.

Grün verwelkt zu Spiessergrau

Es ist die ganz große Show, wenn ausgerechnet Gregor Gysi mit seiner gewendeten Mauerpartei den Grünen vorwerfen kann, so viele kleinliche Gebote und muffige Verbote wie mit den Grünen werde es mit den Linken nie geben. Auf die Idee, dass etwas falsch läuft, wenn lebensfrohes Grün zum tristen Spießergrau verwelkt, ist diese Partei ebenso wenig gekommen wie zu einer Entschuldigung bei den Opfern ihrer „Arbeitsgemeinschaft Schwule- und Päderasten“: So wenig Fähigkeit zur Selbstkritik war nie. Damit verschiebt sich die Macht im linken Lager - die Linke gewinnt auf Kosten von SPD und Grünen und wird nicht mehr zu ignorieren sein.

In den entscheidenden Tagen, an denen sich die Bürger ihre Wahlabsicht bilden, werden nun sogar Wahlumfragen als Wahlkampfmittel instrumentalisiert. Ein schwaches Ergebnis der FDP bei den Demoskopen und möglicherweise auch bei der Bayern-Wahl am Sonntag wird zur Steilvorlage, um die eigenen Anhänger zu mobilisieren.

„Seht her, wir brauchen jede Stimmen“, können die Liberalen dann wieder in die Welt rufen. Das könnten freilich auch die Unionswähler hören, die – bei ach dem großen Vorsprung der Kanzlerin – dann vielleicht doch lieber den kleinen, notdürftigen Koalitionspartner unterstützen. In Niedersachen ließen sich Anfang des Jahres viele CDU-Wähler von den Lockrufen der Liberalen verunsichern. Das Ergebnis: Die FDP holte fast zehn Prozent der Stimmen, Schwarz-Gelb aber flog aus der Regierung, weil viele CDU-Anhänger lieber gleich zu Hause blieben.

Auch für den kommenden Sonntag gilt: Alles ist möglich. Weiter wie bisher, ein Kanzler von links; oder aber Merkel rettet sich in eine Koalition mit der SPD, die dann nur noch irreführend „große“ heißt.

Passen Sie bloß auf, dass dieses Land nicht unter den Schlitten kommt.

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