Angela Merkel bleibt Bundeskanzlerin. Laut Umfragen wünscht sich das eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Deutschen. Aber wird sie es auch? Die Zweifel wachsen und der bisher so langweilige Wahlkampf wird zum spannenden Schlussspurt.
Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist die größte Gefahr für Angela Merkel. Es ist eine Partei wie ein Eisberg: Nur die Spitze ist für Meinungsforscher und Wahlbeobachter sichtbar. Aber wie viele Wähler tatsächlich dann ihr Kreuz bei der AfD machen, wenn die Vorhänge der Wahlkabine zugezogen sind, wie viele Nachbarn und Stammtischfreunde die hoch motivierten AfD-Anhänger mitziehen, und vor allem, ob diese Stimmen hauptsächlich der FDP, der CDU, aber auch der SPD fehlen werden, ist ungewiss.
Zweifellos gilt: Neue Parteien haben es schwer sofort in den Bundestag zu kommen, und das ist vom Wahlsystem mit seiner 5-Prozent-Hürde so gewollt. Ein bei allen Veränderungen doch recht gefestigtes Parteiensystem mit zwei größeren und drei kleineren etablierten Parteien verstärken den Eindruck der strukturellen Stabilität. Wer neu dazugehören will muss schon was zu bieten haben, um die Wähler und die Medien zu überzeugen.
Doch wer sich in diesen Tagen auf den Wahlveranstaltungen der Republik umschaut, der spürt, dass bei der „Alternative“ ein Überraschungscoup nicht ausgeschlossen ist. Dass die Euro-Kritiker die Menschen mehr mitreißen, als die Etablierten. In der Studentenstadt Münster etwa, eine Hochburg der Grünen, interessierten sich höchstens 500 Menschen für eine Rede von Spitzenkandidat Jürgen Trittin. Gerade einmal 350 Zuhörer lauschten dieser Tage den Worten der versammelten FDP-Spitze um Bundesaußenminister Guido Westerwelle, Spitzenkandidat Rainer Brüderle und Gesundheitsminister Daniel Bahr vor der Reinoldikirche in Dortmund. Und die AfD? Eine wenig überraschende Anti-Euro-Rede von Parteichef Bernd Lucke beklatschen und bejubelten in Düsseldorf zuletzt fast 1500 Menschen.
Gleichzeitig legte die AfD in der politischen Stimmung zu und liegt gut eine Woche vor der Bundestagswahl bei etwa 3,5 Prozent. Niemand kann seriös sagen ob sie am Wahltag die 5-Prozent-Hürde überqueren kann oder daran scheitert. Viele Bewegungen finden erst in den letzten Tagen statt, wenn die Wähler glauben ein genaueres Bild vom Wahlausgang zu haben.
Was passiert, wenn die AfD der FDP Stimmen entzieht
Dies offenbart den größten innenpolitischen Fehler Merkels: Egal, ob Gesellschafts- und Familienpolitik, Energiewende und Euro – ihre CDU hat immer den Schulterschluss mit dem bei SPD und Grünen vermuteten Zeitgeist gesucht – und anderes als alternativlos dargestellt. Die AfD hat die Alternative in ihren Namen aufgenommen, wurde so zum Sammelbecken für alle, die die Energiewende für vermurkst halten, denen die Europolitik zu leichtfertig erscheint und denen generell die ganze linke Linie nicht passt. In früheren Jahren hat es die CDU verstanden, auch wertkonservative Wähler an sich zu binden. Legendär die Maxime von Franz Josef Strauß, rechts von der CSU dürfe sich keine Kraft auftun. Jetzt ist sie da - vielleicht zu klein zum Leben, aber groß genug, um Merkel um’s Amt zu bringen.
Denn nach allem, was man derzeit weiß, hat das bürgerliche Lager aus FDP und Union nur einen hauchdünnen Vorsprung gegenüber SPD, Grünen und der Linken. Nun schließt die SPD eine Koalition aus, weil die Linke auf bundespolitischer Ebene unzuverlässig sei. Ich halte das für Rosstäuscherei; schließlich hat mit Hilfe der Linken die SPD ja auch den Regierungswechsel im wichtigen Bundesland Nordrhein-Westfalen erzwungen und immer wieder galt dieses große Land als Modell für den Bund (siehe WirtschaftsWoche 33/2013). In Hessen, wo ja am Sonntag ebenfalls gewählt wird, eiert der SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel herum; ganz ausschließen will er die rot-rote Zwangsehe nicht. Wie eine verhuschte Maus, deren Auftauchen im Sterne-Restaurant den Appetit verdirbt, taucht diese Wahrheit in einem Wahlkampf auf, der alles schön redet. Dazu kommt: In diesen Tagen stürzen die Grünen in der Wählergunst ab. Zu selbstgerecht und rechthaberisch tritt die Partei auf, zu weinerlich macht sie jetzt Journalisten für ihr Absacken verantwortlich - ausgerechnet jene Partei, die wie keine andere bisher Liebling der Medien war.
Grün verwelkt zu Spiessergrau
Es ist die ganz große Show, wenn ausgerechnet Gregor Gysi mit seiner gewendeten Mauerpartei den Grünen vorwerfen kann, so viele kleinliche Gebote und muffige Verbote wie mit den Grünen werde es mit den Linken nie geben. Auf die Idee, dass etwas falsch läuft, wenn lebensfrohes Grün zum tristen Spießergrau verwelkt, ist diese Partei ebenso wenig gekommen wie zu einer Entschuldigung bei den Opfern ihrer „Arbeitsgemeinschaft Schwule- und Päderasten“: So wenig Fähigkeit zur Selbstkritik war nie. Damit verschiebt sich die Macht im linken Lager - die Linke gewinnt auf Kosten von SPD und Grünen und wird nicht mehr zu ignorieren sein.
In den entscheidenden Tagen, an denen sich die Bürger ihre Wahlabsicht bilden, werden nun sogar Wahlumfragen als Wahlkampfmittel instrumentalisiert. Ein schwaches Ergebnis der FDP bei den Demoskopen und möglicherweise auch bei der Bayern-Wahl am Sonntag wird zur Steilvorlage, um die eigenen Anhänger zu mobilisieren.
„Seht her, wir brauchen jede Stimmen“, können die Liberalen dann wieder in die Welt rufen. Das könnten freilich auch die Unionswähler hören, die – bei ach dem großen Vorsprung der Kanzlerin – dann vielleicht doch lieber den kleinen, notdürftigen Koalitionspartner unterstützen. In Niedersachen ließen sich Anfang des Jahres viele CDU-Wähler von den Lockrufen der Liberalen verunsichern. Das Ergebnis: Die FDP holte fast zehn Prozent der Stimmen, Schwarz-Gelb aber flog aus der Regierung, weil viele CDU-Anhänger lieber gleich zu Hause blieben.
Auch für den kommenden Sonntag gilt: Alles ist möglich. Weiter wie bisher, ein Kanzler von links; oder aber Merkel rettet sich in eine Koalition mit der SPD, die dann nur noch irreführend „große“ heißt.
Passen Sie bloß auf, dass dieses Land nicht unter den Schlitten kommt.