Es könnte alles so einfach sein: Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre CDU suchen einen zuverlässigen Koalitionspartner. Schließlich dürften die Konservativen als stärkste Fraktion aus den Bundestagswahlen in knapp einem Monat herausgehen. Doch ob die FDP über die Fünf-Prozent-Hürde springt und Schwarz-Gelb weitere vier Jahre regieren können, ist ungewiss.
Auf der anderen Seite drängen die Grünen auf die Regierungsbank. Doch ihr natürlicher Partner, die SPD, schwächelt allzu sehr. Rot-Grün im Bund? Daran glauben selbst die Optimisten in den beiden Oppositionsparteien nicht. CDU und Grüne könnten aus der Not eine Tugend machen und zusammenarbeiten. Schnittmengen gäbe es: Die Energiewende genießt bei beiden hohe Priorität, nach dem Linksrutsch der Kanzlerinnen-Parteien sind auch Einigungen bei der Mietpreisbremse, beim Mindestlohn und bei der Krankenversicherung realistisch.
Was die Grünen in der Finanz- und Wirtschaftspolitik durchsetzen wollen
Die Grünen fordern eine europäische Bankenaufsicht, die auf nationale Kontrollbehörden und Kreditinstitute durchgreifen kann. Allerdings würde das auch eine gemeinschaftliche Haftung bedeuten.
Wie von den „Fünf Wirtschaftsweisen“ vorgeschlagen, will Trittin für Verbindlichkeiten der Euro-Länder einen Schuldentilgungsfonds aufbauen. Die Staatsverschuldung der Euro-Staaten soll so auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung gedrückt werden, wie es der Maastricht-Vertrag vorsieht. Darüber hinausgehende Verbindlichkeiten sollen in einen Tilgungsfonds mit gemeinschaftlicher Haftung ausgelagert werden.
Gemeinsame Bonds der Euro-Länder sollen es hoch verschuldeten Staaten der Währungsunion leichter machen, an neues Geld zu gelangen. Deutschland und andere stabile Länder würden dann allerdings mit höheren Zinsen und gemeinsamer Haftung einstehen müssen.
Zum Schuldenabbau sollen nach dem Willen der Grünen reiche Privatleute mit einem Vermögen ab einer Million Euro sowie Privatunternehmer ab fünf Millionen Euro jährlich 1,5 Prozent zusätzlich abgeben. Die Grünen betrachten dies als Beitrag der Reichen, deren Wohlstand die Steuerzahler in der Bankenkrise gesichert hätten.
Die Grünen fordern einen Spitzensteuersatz von mindestens 45 Prozent, Jürgen Trittin will sogar 49 Prozent durchsetzen.
Doch eine schwarz-grüne Koalition wird es nach der Wahl nicht geben. Darin ließen Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen, und Bundeskanzlerin Angela Merkel in Münster (NRW) keine Zweifel. Nur wenige Hundert Meter und 45 Minuten voneinander getrennt, machten die beiden Spitzenkandidaten ihrer jeweiligen Partei Wahlkampf in der Studentenstadt. Die Grünen legten vor – und attackierten die Kanzlerin. Die „schwarzen Socken“ von der CDU würden einen Anti-Wahl-Wahlkampf führen. Statt über Inhalte spräche die Kanzlerin lieber über ihre private Vergangenheit in der ehemaligen DDR. „Merkel organisiert einen Wahlkampf, dessen Ziel es ist, die Leute von der Stimmabgabe abzuhalten“, so Trittin. Sie freue sich, wenn ein CDU-Wähler zu Hause bleibt, solange gleichzeitig zwei SPD-Anhänger der Wahlurne fernblieben.
Die Frauenministerin (Kristina Schröder, CDU) sei gegen die Frauenquote, das Betreuungsgeld „pure Geldverschwendung“ und die Kampfdrohne Euro-Hawk „hätte man sich sparen können“. Die Grünen machen in Münster einen Anti-CDU-Wahlkampf. Wofür die Öko-Partei selbst steht, wird nur nebenbei erwähnt (Stopp der Massentierhaltung, Bürgerversicherung, Kita-Plätze). Für die umstrittenen Steuererhöhungspläne der Grünen bleiben gerade einmal zwei der über 60 Minuten Redezeit.
Und die CDU? Die antwortet durch Bundeskanzlerin Angela Merkel im ähnlichen Stil. Sie bittet die Bürger um ihre Stimme – „damit Trittin nicht Finanzminister wird“. „Wir wollen nicht, dass Rot-Rot-Grün über unser Land entscheidet.“ Und noch eine weitere Spitze gegen die „Verbotspartei“ kann sie sich nicht verkneifen. „Wenn Sie eine Partei wollen, die Ihnen sagt, wann sie Fleisch essen dürfen und wann nicht, dann sind Sie bei uns falsch“, sagt Merkel und spielt auf den Vorschlag der Grünen an, einen vegetarischen Tag in deutschen Kantinen einzuführen. Das Publikum johlt und applaudiert.
Ähnliche Einstellung in den wichtigen Fragen
Ihre CDU stehe für soziale Marktwirtschaft und für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Nie seien so viele Menschen in Deutschland in Arbeit wie heute. Deutschland stehe gut da. Und auch in der Euro-Krise gebe es positive Entwicklungen. „Wir sind solidarisch mit den anderen Ländern der Euro-Zone, fordern aber gleichzeitig, dass die Krisenländer Eigenverantwortung zeigen und ihren Teil zur Lösung der Probleme beitragen.“
Die SPD und ihr Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück erwähnt sie nicht ein einziges Mal. Viel lieber spricht sie über die anstehenden Aufgaben. Deutschland müsse den demografischen Wandel gestalten („Die Lebensarbeitszeit muss langsam steigen“), die Ausbildung der jungen Menschen auf hohem Niveau halten und ja, auch für mehr Gerechtigkeit sorgen.
Was Merkel in der vergangenen Legislaturperiode erreichte
Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin machte sie deutlicher als ihr Vorgänger Gerhard Schröder ("ein lupenreiner Demokrat") klar, dass sie seine Anwandlungen als sportlich-durchtrainierter Halbdiktator nicht goutiert. Auch wenn darunter das deutsch-russische Verhältnis gelitten hat.
Da es in immer mehr Unternehmen keine Tarifverträge gäbe, brauche es eine Lohnuntergrenze. Gewerkschaften und Arbeitgebervertreter müssten darüber verhandeln. „Geschieht das nicht, müssen die Unternehmen gesetzlich zur Zahlung von Mindestlöhnen gezwungen werden“, sagt Merkel – und hört sich an wie Jürgen Trittin. Der kritisierte zuvor, dass Friseure in Ostdeutschland für fünf Euro die Stunde arbeiten und Verkäuferinnen in Bäckereien für 3,40 Euro die Stunde Brötchen verkaufen müssten. „Das darf so nicht bleiben.“
Was Merkel in der vergangenen Legislaturperiode verpasste
Das Verhältnis zum wichtigsten außenpolitischen Verbündeten hat sich dramatisch abgekühlt, obwohl die transrheinische Partnerschaft traditionell stark vom persönlichen Verhältnis der Spitzenleute abhängt. Mit Frankreichs neuem Präsidenten Francois Hollande hat Merkel keinen Draht gefunden, der die großen inhaltlichen Unterschiede - gerade in puncto Eurorettung - ausgleichen könnte.
Für eine Vision, wohin Deutschland für die nächsten zehn Jahre aufbrechen sollte, reichte es nicht. Und eines der wichtigsten Zukunftsthemen blieb fast gänzlich liegen: der demographische Wandel.
Warum gehen beide Parteien also nicht gemeinsam das Problem an? Was soll all die Aufregung und die Konzentration auf die andere Partei im eigenen Wahlkampf? CDU und Grüne attackieren sich offenbar deshalb so gerne, weil sie sich – fernab des Getöses und der Banalität eines Veggie Days– näher sind, als beiden lieb ist. Nicht nur beim Mindestlohn. Im Bundestag stimmten Trittin und die Mehrheit der Grünen für die Rettungspakete für Südeuropa, Und: Angela Merkel ist bei der Energiewende viel eher bereit, von der Kohle abzurücken, als die SPD.
Keine Frage: Einige Hardliner in der Union (Marks Söder, Volker Kauder) sorgen für blankes Entsetzen bei der Grünen-Basis. Doch ein Großteil der Anhänger der Ökopartei führt ein bürgerliches, fast schon spießig-konservatives Leben. Eine Mehrheit der Grünen-Wähler, so eine aktuelle Umfrage, sieht lieber Angela Merkel im Bundeskanzleramt, als SPD-Mann Peer Steinbrück. Auch andersherum können sich Unionswähler viel eher vorstellen, alternativ ihr Kreuz bei den Grünen zu machen, als bei der SPD. So ist die CDU den Grünen gefährlicher als die FDP, und die Grünen könnten der CDU ihre Wähler abwerben. Grund genug, gegen die andere Partei Stimmung zu machen. Trotz so mancher Übereinstimmung.
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